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IG Metall: Das Ende der 35-Stunden-Woche

In seiner ersten großen Rede nahm sich der neue IG-Metall-Chef Huber das Thema Arbeitszeit vor. Er will die Debatte neu entfachen, schließlich würde in der Metallindustrie, trotz der tariflich vereinbarten 35-Stunden-Woche, fast 40 Stunden wöchtlich gearbeitet.

Leipzig - Flächendeckende Arbeitszeitverkürzungen wird es in Deutschland auf absehbare Zeit nicht mehr geben – das hat der neue IG-Metall-Chef Berthold Huber am Mittwoch in Leipzig deutlich gemacht. „Ich glaube nicht, dass wir angesichts der Globalisierung die Arbeitszeit für alle weiter kürzen können.“ In seiner ersten großen Rede als Erster Vorsitzender wies er die 500 Delegierten des Gewerkschaftstages darauf hin, dass die durchschnittliche Arbeitszeit in der Metallindustrie trotz der tariflichen 35-Stunden-Woche inzwischen bei 39,9 Stunden liege. Die Arbeitszeitfrage könne man „nur mit differenzierten Antworten lösen“, meinte Huber. An dieser Stelle war es auffallend still im Saal, schließlich gehörte die 35-Stunden-Woche seit Mitte der 80er Jahre zu den Leitbildern der Gewerkschaft und stand im Kern ihrer Beschäftigungspolitik.

Die Devise „Mut zur Vielfalt, Kraft zur Einheit“ war gewissermaßen das Leitmotto von Hubers Zukunftsreferat. Er gab der Mitgliederentwicklung den Vorrang vor allem anderen, kritisierte die Sozialpolitik hierzulande, verteidigte die Öffnung des Flächentarifvertrags und räumte Defizite in der internationalen Arbeit ein. „Wir müssen unsere eigene Europäisierung vorantreiben“, forderte er mit Blick auf den europäischen Metallgewerkschaftsbund. Bislang verbinde die 500 Millionen Menschen in der EU nur der gemeinsame Markt, der jüngste Reformvertrag von Lissabon werde den Anforderungen nicht gerecht. Unmittelbar notwendig seien einheitliche Steuersätze in der Gemeinschaft.

„Wir reden zu viel über die Menschen und zu wenig mit ihnen“, kritisierte Huber die eigene Organisation. Die Anforderungen der Beschäftigten an die Gewerkschaft differenzierten sich zunehmend, deshalb sei es erforderlich, „die Mitglieder zu beteiligen und nach ihrer Meinung zu fragen“. Die Arbeitszeit sei dort zu begrenzen, „wo jede Minute zusätzlich geleistete Arbeit eine Zumutung“ sei, etwa im Akkord- und im Schichtbetrieb. Bei Ingenieuren dagegen gehe es darum, zusätzliche Arbeitszeit überhaupt zu honorieren. „Wir brauchen eine neue Arbeitszeitdebatte“, sagte der neue Gewerkschaftschef. Als strategischen Schwerpunkt der nächsten Jahre bezeichnete Huber den Generationswechsel in der IG Metall. Jahr für Jahr gingen rund 30 000 Metaller in Rente, und es sei nur möglich, diesen Verlust aufzufangen, wenn neue Mitgliederpotenziale erschlossen würden. Huber nannte Ingenieure, technisches Personal und kaufmännische Berufe als Beispiele. „Die IG Metall muss weiter in die Mitte der Beschäftigten rücken.“

Ähnlich wie sein Vorgänger Jürgen Peters ging auch Huber kurz auf die „ökologische Erneuerung der Industrie“ ein. Allein in der Windkraftbranche seien in den letzten Jahren 75 000 Arbeitsplätze entstanden. Mehr Platz in dem Zukunftsreferat nahm aber das Thema Bildung ein. „Bildungsfragen sind heute wieder Machtfragen“, konstatierte Huber. Es sei „schreiend ungerecht“, wenn 83 Prozent der Kinder von Akademikerfamilien studierten, aber nur 17 Prozent der Arbeiterkinder. Alles in allem sei der Zustand des Bildungssystems „jämmerlich und besorgniserregend“. Das Elend beginne im Kindergarten und setze sich fort im „fatalen deutschen Sonderweg mit seinem dreigliedrigen Schulsystem“, das sich an der ständisch gegliederten Gesellschaft des 19. Jahrhunderts orientiere. Den Ausbildungspakt bezeichnete Huber als gescheitert – es sei eine Lüge, dass jeder Jugendliche einen Ausbildungsplatz bekomme. Alfons Frese

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