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Wirtschaft: „Im Abseits haben wir keine Chance“

IG-Chemie-Chef Hubertus Schmoldt über längere Arbeitszeiten und Sozialreformen

Herr Schmoldt, werden wir alle in Zukunft mindestens 40 Stunden die Woche arbeiten, wie DIHKPräsident Ludwig Georg Braun voraussagt?

Eine generelle Arbeitszeitverlängerung ist und bleibt dummes Zeug. Wenn das sinnvoll wäre, würden viel mehr Unternehmen von entsprechenden Möglichkeiten Gebrauch machen. Aber in der Chemieindustrie nutzen zum Beispiel nur 13 Prozent der 1800 Betriebe die insgesamt 14 Flexibilisierungsinstrumente, die der Tarifvertrag erlaubt.

Also redet Braun dummes Zeug?

Herr Braun setzt eine ideologische Debatte fort. Dabei verhält er sich in der Funktion des DIHK-Präsidenten anders als in der Rolle des Unternehmers. Denn am Stammsitz der Medizintechnikfirma B. Braun im nordhessischen Melsungen haben wir eine Produktion sichern und erweitern können, indem wir eine flexible Lösung gefunden haben. Die längere Arbeitszeit wird dort für Qualifizierung genutzt. Das ist einer von den Einzelfällen, denen wir uns nie verschlossen haben. Aber eine Verlängerung der Arbeitszeit für alle Betriebe und alle Beschäftigten ist unsinnig.

Das würde aber der Industrie gegenüber den Wettbewerbern aus den neuen EU-Staaten helfen.

Wir müssen hier und da über die Arbeitszeit reden, wenn die Firmen in einem reinen Lohnwettbewerb etwa zu Betrieben in Tschechien oder Polen stehen. Aber das löst unsere Probleme nicht dauerhaft. Wir können keinen Lohnwettbewerb mit diesen Ländern gewinnen. Unsere Zukunft hängt von Innovationen ab. Bei innovativen Produkten ist der Druck durch die Billigstandorte nicht so stark.

Wie innovativ sind die Chemiefirmen und die IG BCE?

Bislang waren die deutschen Unternehmen erfolgreich, aber die anderen holen auf. Als Gewerkschaft haben wir schon vor Jahren Spielräume für Forschung und Entwicklung erweitert; in vielen Labors wird nicht nach acht Stunden das Licht ausgeknipst. Und wir sind bereit, andere Formen der Arbeitsorganisation mit zu entwickeln, die wiederum die Kreativität der Mitarbeiter fördern.

DGB-Chef Michael Sommer hat gerade eben eingeräumt, dass die Gewerkschaften bei den Sozialreformen der vergangenen zwei Jahre keine Rolle gespielt haben. Wird das 2005 anders?

Die Gewerkschaften müssen wieder das sein, was sie über Jahrzehnte waren: Reformmotor der Gesellschaft. Dazu müssen wir uns in die Auseinandersetzung begeben, um sozial gerechte Reformen mitgestalten zu können. Wer im Abseits steht, hat keine Gestaltungsmöglichkeit.

Die IG Metall plant ein weiteres Arbeitnehmerbegehren gegen die Reformen. Machen Sie mit?

Wir haben das Arbeitnehmerbegehren im letzten Jahr mitgetragen. Dabei ist es uns nicht sonderlich gut gelungen, die Diskussion über die Sozialpolitik in den Betrieben zu verankern. Bei einem neuen Anlauf wird es darum gehen, sich auf die wichtigsten Themen zu konzentrieren.

Und das wären?

Wie kriegen wir die Massenarbeitslosigkeit reduziert? Wie geht es weiter mit Tarifautonomie und Mitbestimmung? Und zum Dritten geht es um die Akzeptanz. Der Reformprozess muss sozial gerecht organisiert werden.

Und bei der Themenauswahl und dem Vorgehen sind sich die Gewerkschaften einig?

Wir sind besser dran als im vorigen Jahr. Die Einschätzung ist weiter verbreitet, dass wir uns konstruktiv einbringen müssen, wenn wir etwas erreichen wollen.

Wann erreichen die Gewerkschaften die Wende bei der Mitgliederentwicklung?

Wenn die Firmen wieder einstellen. Neben der konjunkturellen Krise haben wir aber auch das Problem, bestimmte Zielgruppen, zum Beispiel höher qualifizierte Angestellte und Frauen, nicht so zu erreichen, wie wir uns das wünschen. Der Gedanke der Solidargemeinschaft ist nicht mehr so selbstverständlich; darauf müssen wir uns einstellen und maßgeschneiderte Konzepte anbieten.

Das Gespräch führte Alfons Frese

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