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Wirtschaft: Im Griff des Geiers

Weltweit verschulden sich die Länder immer hemmungsloser. Ein Staat kann nicht Pleite gehen – doch spätere Generationen werden von der Zinslast erdrückt

WENN DER STAAT SCHULDEN MACHT

Hans Eichel steckt in der Zwickmühle. Er will die für 2005 geplante Steuerreform nun um ein Jahr vorziehen, um das Wachstum anzukurbeln. Sinken die Steuereinnahmen aber, fehlt Eichel Geld. Selbst wenn Eichel es schafft, einen Teil davon mit dem Abbau von Subventionen zu finanzieren, ist die Gefahr groß, dass der ohnehin schon zu große Schuldenberg weiter wächst.

Dass Schulden schlecht sind, weiß jeder Privatmensch, der einen Kredit für den Autokauf oder das eigene Haus aufnimmt. Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, sind Zinsen fällig, müssen Schulden getilgt werden. Kann er nicht zahlen, steht schnell der Gerichtsvollzieher vor der Tür. Und die Insolvenzwelle zeigt: Auch Unternehmer haben ein Schuldenproblem. Staaten dagegen – so scheint es – machen Schulden nach Belieben. Selbst unterentwickelte Länder, die nicht einmal mehr ihre Zinsen zahlen können, gehen nicht in Konkurs.

Dabei sind Schulden selbst in den so genannten reichen Ländern ein gravierendes Problem. Heute wird das Geld ausgegeben, die Rechnung aber erst morgen bezahlt. Schuldenmachen heißt, Lasten auf künftige Generationen abzuwälzen.

Das haben die Europäer erkannt. Das Thema hat deshalb vor allem wegen des EU-Stabilitätspaktes Konjunktur: bei der Neuverschuldung bloß nicht die Drei-Prozent-Grenze überschreiten, schreibt die Regel aus Brüssel vor. Weil die Konjunktur aber momentan lahmt, drücken die Hüter des Pakts schon mal ein Auge zu.

Viktor Steiner vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) warnt jedoch davor, Staatskredite auf die leichte Schulter zu nehmen. Deutschland hat derzeit fast 1,3 Billionen Euro Schulden. Das Geld holt sich der Staat größtenteils von Banken und Versicherungen im In- und Ausland. Aber auch Privatleute leihen dem Staat Geld. Dafür muss der Bund in diesem Jahr allein 38 Milliarden Euro ausgeben. Das ist der zweitgrößte Haushaltsposten direkt nach den Sozialabgaben. „Wenn wir so weiter machen, überflügelt der Zinsendienst bald den Sozialetat“, sagt Steiner. Dass Staaten sich so hoch verschulden, hat einen einfachen Grund. Politiker denken kurzfristig – sie wollen schließlich wieder gewählt werden. Weil die Bevölkerung aber schnell altert, müsste jetzt dringend gespart werden, meint Steiner: Immer weniger Menschen werden künftig die Sozialsysteme finanzieren, die aber immer teurer werden. Und die schlechten Wachstumsaussichten verschärfen die Lage: Wachsende Kreditaufnahme muss die sinkenden Steuereinnahmen ersetzen.

Das stagnierende Wachstum in den reichen Ländern ist auch ein Problem für die Entwicklungsländer, die in der „Schuldenfalle“ sitzen. So forderten gerade CDU und FDP von der Regierung, im Ausland auf die Rückzahlung von Schulden zu dringen. Schuldenerlasse, meint die Opposition, könne Deutschland „sich nicht mehr leisten“.

Dabei ist der Schuldenerlass für die Entwicklungsländer in Afrika, Asien oder Lateinamerika oft die einzige Hoffnung. Insgesamt haben die Entwicklungsländer laut Weltbank 2,5 Billionen Dollar Schulden – 1970 waren es noch 72 Milliarden Dollar. Über die Jahre haben die reichen Länder, Weltbank und IWF reichlich Kredite an die armen Länder vergeben. Das Problem: Die damit finanzierten Projekte rentieren sich oft nicht. Und unter korrupten Regierungen versickern die Gelder, sagt Ann-Kathrin Schneider von der Nicht-Regierungsorganisation Weed. Weil die Industrieländer ihre Märkte nicht öffnen, haben die Entwicklungsländer oft gar keine Chance, durch Export Geld einzunehmen und die Zinsen zu zahlen. Oft übersteigt der Schuldenberg die Wirtschaftsleistung des gesamten Landes. In Argentinien machen die Schulden 140 Prozent des Sozialprodukts aus, in Burundi sogar 150 Prozent.

Internationale Initiativen zur Entschuldung solcher Länder kommen seit Jahren nicht richtig voran. 1996 starteten die reichen Industrieländer, der IWF und die Weltbank eine solche Initiative: 100 Milliarden Dollar sollten den ärmsten Ländern erlassen werden. Doch laut Weed wurde bisher nur ein Drittel der Summe erlassen. Ein weiterer Vorschlag vom IWF, die Schuldenfalle zu lösen, ist die Insolvenzordnung für Staaten. Wie ein Unternehmen soll sich ein Staat als zahlungsunfähig erklären können, und sich dann mit den Gläubigern auf Erleichterungen einigen. Am Widerstand der USA ist dies jedoch bisher gescheitert.

Flora Wisdorff

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