zum Hauptinhalt
Jobnomaden. Drei Monate Paris, ein Jahr London, sechs Monate Sofia – beim Berufsstart ist das noch aufregend. Damit es nicht zur Belastung wird, braucht man Anker, die signalisieren, zu Hause zu sein. Foto: picture alliance/gms

© picture-alliance/ gms

Wirtschaft: Immer unterwegs

Mobilität gehört in vielen Branchen zur Berufsbeschreibung. Doch irgendwann kann es aufreiben, ständig neu anzufangen – wie man mit dem mobilen Leben trotzdem zurechtkommt.

Wenn Michael Nowarra sich eine neue Stadt erobert, erkundet er zuerst die 100 Meter im Umkreis seiner Unterkunft, fährt viel mit den Öffentlichen und sucht einen Jazzclub. Die Musik würde verbinden, mit anderen Jazzfans käme er sofort ins Gespräch, sagt der 56-jährige selbständige Unternehmensberater. Zehn bis zwölf Mal ist er in seinem Leben schon für Aufträge umgezogen. Paris war dabei, Straßburg und Utrecht, nun ist er in Berlin. Städte, in denen er für kürze Projekte drei Monate im Hotel überbrückt hat, sind dabei nicht mitgezählt. Immer ist er vom jeweiligen Arbeitsort in seine Heimatstadt Altenbeken bei Paderborn gependelt, wo seine Frau und seine Kinder waren. Manchmal hat Nowarra seine Familie drei Wochen nicht gesehen. „Meine Freunde würden verzweifeln, wenn sie mein Leben leben müssten“, sagt Nowarra, „und ich umgekehrt in ihrem“.

Neue Städte, neue Bekanntschaften, neue Kollegen – was am Anfang einer Laufbahn aufregend ist, verliert für die meisten nach ein paar Jahren seinen Reiz, meint Kathrin Böttcher, die für Software-Unternehmen Trainings zu Work-Life-Balance und beruflicher Mobilität durchführt. Für die Berater und Vertriebler in ihren Seminaren gehöre Mobilität zum Berufsbild dazu. Ab 30 Jahren wünschten sich die meisten aber statt Single-Leben oder Fernbeziehung eine stabile Partnerschaft und Familie. Wenn beide Partner berufstätig sind und sie Kinder haben, zieht selten die ganze Familie für den Job um, meint Böttcher. Die Einbindung in ein soziales Umfeld und Kinderbetreuung würden oft höher gewertet als der Reiz des Neuen. Als Konsequenz ist mindestens ein Partner unterwegs und pendelt täglich, am Wochenende oder in größeren Abständen zwischen Arbeits- und Wohnort, wobei je nach Beruf eben auch der Arbeitsort häufig wechseln kann. Unternehmen wollen die Kosten der beruflichen Mobilität ihrer Mitarbeiter oft nicht wahr haben, sagt Böttcher.

Besonders Hochmobilen falle es schwer, von der Arbeit abzuschalten. Oft werde in der Unterkunft noch bis spät abends gewerkt. „Ich bin sowieso nicht bei meiner Familie, da kann ich auch arbeiten“, sagen sich viele. Die Folgen sind typische Stresssymptome wie Schlafstörungen, schwindende Konzentrationsfähigkeit, Überreizung und Überforderung. Es sei stark typabhängig, wie viel Konstante ein Mensch benötigt, sagt Coach Jörg Kanzler, es gebe aber Rituale, die jeder brauche. „Anker“, Gesten, Tätigkeiten, die signalisieren zu Hause zu sein, unabhängig vom Aufenthaltsort. Für Menschen, die beruflich extrem mobil sein müssen oder wollen, sei es die Herausforderung sich umso intensiver um ihre „innere Heimat“ zu kümmern, meint Kanzler. Denn wenn das Büro oder der Job diese ersetzt, steigt das Risiko der Abhängigkeit vom Erfolg im Beruf.

Viel hängt davon ab, ob Berufstätige Spielraum haben, ihren mobilen Arbeitsalltag zu gestalten, etwa durch flexible Arbeitszeiten und Home-Office-Tage. Fachkräfte und Akademiker haben hier bessere Rahmenbedingungen als Menschen, die im Niedriglohnsektor arbeiten und sich dem Arbeitgeber ausgeliefert fühlen. Der Chemiekonzern BASF beschäftigt in Berlin Mitarbeiter aus 50 Staaten. Für neue Mitarbeiter werden die Umzugskosten übernommen, bei Bedarf wird im ersten Monat eine Übergangswohnung zur Verfügung gestellt. Die Mitarbeiter werden mit dreitägigen Newcomer-Tagen begrüßt und in Paten-Programmen sechs bis acht Wochen von einem Kollegen begleitet. Internationale Mitarbeiter werden laut Vera Fischer von der BASF-Personalabteilung außerdem mit Kollegen derselben Muttersprache zusammen gebracht, um das Ankommen im Unternehmen und in der Stadt zu erleichtern.

Das größte Problem der Hochmobilen liegt für Kathrin Böttcher nicht am Arbeitsort, sondern zu Hause. Das Leben dort bekommen die Hochmobilen oft nicht mit. Partner müssten deshalb die für sich jeweils passende Kommunikationsform und gute Ankommens- und Abschiedsrituale finden. Vielleicht will die Vielreisende erst mal einen Kaffee trinken und den Koffer auspacken und hat dann einen freien Kopf um zuzuhören und zu erzählen? Fehlende Absprachen führten auf beiden Seiten zu Enttäuschungen, weil jeder in seiner Lebenswelt verharre, sagt Böttcher. Manchen Beziehungen tue die räumliche Distanz und Abwechslung aber auch gut. Coaches empfehlen deshalb regelmäßig zu überprüfen, wie das mobile Leben für alle Beteiligten läuft. Vielleicht haben sich Voraussetzungen oder Werte geändert? Spätestens wenn sich auf einer Seite Entfremdung oder Überforderung abzeichnet, sollte man die Situation neu überdenken.

Michael Nowarra ist nun seit drei Jahren in Berlin. Es war sein erster Umzug, bei dem er sich mit seiner Frau zuerst für die Stadt entschieden hatte und danach die entsprechenden Aufträge suchte. Die Kinder sind mittlerweile erwachsen und das Ehepaar pendelt nun öfters gemeinsam. Dabei haben sie einen neuen Rhythmus gefunden: im Winter sind sie mehr in Altenbeken, sagt Nowarra, im Sommer mehr in Berlin.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false