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Wirtschaft: "In Ostdeutschland ist die Rezession schon da"

Georg Milbradt (56) ist CDU-Vorsitzender in Sachsen und Professor an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universtät Münster. Milbradt war bis Ende Januar Finanzminister in Dresden.

Georg Milbradt (56) ist CDU-Vorsitzender in Sachsen und Professor an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universtät Münster. Milbradt war bis Ende Januar Finanzminister in Dresden. Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf hat Milbradt aus der Staatsregierung entlassen, weil er ihm vorwarf, Nachfolgeregelungen für das Amt hinter Biedenkopfs Rücken betrieben zu haben. Im September bewies die CDU auf ihrem Landesparteitag, dass sie hinter Milbradt steht: wählte die CDU Milbradt gegen das Votum von Biedenkopf wurde Milbradt zum Parteichef. Seitdem gilt er als Favorit für das höchste Amt in der sächsischen Landesregierung, die Biedenkopf nach der Bundestagswahl verlassen will. Als Finanzminister erwarb sich Milbradt vor allem Verdienste als Verhandlungsführer der Länder in den Tarfverhandlungen mit den Gewerkschaften. Milbradt galt als kenntnisreicher und zugleich sparsamer Finanzminister.

Herr Milbradt, Deutschland steht am Rande einer Rezession. Wie stark wird der Abschwung die neuen Bundesländer treffen?

In Gesamtdeutschland befinden wir uns nicht erst am Rande der Rezession. In Ostdeutschland war die Wachstumsrate der Wirtschaft in den ersten sechs Monaten des Jahres negativ. Das ist weniger als Stagnation, das bedeutet Rückgang. Und es sieht nicht so aus, als ob sich diese Entwicklung bis zum Jahresende verändern wird. In den letzten Jahren hat das Wachstum der Industrie noch das Schrumpfen der Bauwirtschaft übertroffen und zu einem geringen gesamtwirtschaftlichen Wachstum geführt. Jetzt trifft der Abschwung der westdeutschen Industrie auch die ostdeutschen Zulieferer. Auch für das Jahr 2002 ist keine Trendwende erkennbar.

Welche Auswirkungen wird das auf den Arbeitsmarkt haben?

Auch im kommenden Jahr wird es keine Abnahme der Arbeitslosigkeit geben. Natürlich sind die einzelnen Bundesländer unterschiedlich betroffen. In Sachsen haben wir durch den Automobilbau und die Chipindustrie noch mehr Potenziale und ein geringes Wachstum. Wobei auch für diese Märkte gilt, dass wir erst einmal abwarten müssen, wie stark die internationalen Einbrüche 2002 sind und wie stark wir davon betroffen werden. Anderen Regionen im Osten wird es kaum gelingen, die Arbeitslosigkeit nur auf dem gegenwärtigen Niveau zu halten.

Ostdeutschland wird sich also weiter von den alten Bundesländern entfernen?

In diesem und auch im kommenden Jahr wird es keine Annäherung geben, das steht fest. Die einzige Chance, die wir haben, ist mittelfristig eine weitere Bereinigung der stark vom Bau geprägten Wirtschaftsstruktur. Möglicherweise kann man in zwei Jahren wieder von einem beginnenden Annäherungsprozess sprechen.

Wie soll man den Menschen zur Bundestagswahl im nächsten Herbst erklären, dass sie nach zwölf Jahren wirtschaftlich im Vergleich mit dem Westen noch immer kaum Boden gut gemacht haben?

In den ersten Jahren ist es schnell zu einer deutlichen Anpassung gekommen. Dabei war die Bauwirtschaft der Motor. Die dadurch entstandenen großen Baukapazitäten sind aber heute unser Problem. Übersehen wird allerdings der erfreuliche Aufholprozess in der Industrie, insbesondere beim Export. Hier hatten wir bis Ende letzten Jahres hohe Wachstumsraten. Nur, bei der sich verschlechternden Weltkonjunktur verringert sich das Wachstum in diesem wichtigen Bereich. Die SPD hat 1998 die Wahl im Osten mit Versprechungen zum Aufbau Ost gewonnen und Erwartungen geweckt. Jetzt zeigt sich, dass der Kanzler seine Versprechen vom Abbau der Arbeitslosigkeit und der "Chefsache Ost" nicht einhalten kann.

Was werfen Sie Gerhard Schröder vor?

Dass er sich um nichts gekümmert hat. Es gab nur Worte und Sommerreisen, aber nie eine mittelfristige Aufbaustrategie der SPD-Bundesregierung für die neuen Länder. Mit kurzatmigen Maßnahmen, die an strukturelle Probleme nicht herangehen, kann man der Wirtschaft im Osten nicht auf die Beine helfen. Gerhard Schröders Politik wurde vom gesamtwirtschaftlichen Boom in Deutschland, ausgelöst durch den Export, getragen. Dass die Situation im Osten ganz anders aussieht, hat er nicht zur Kenntnis genommen. Das rächt sich jetzt in der Krise besonders. Nehmen Sie den Arbeitsmarkt. Der lang anhaltende Aufschwung in Amerika und Europa hat die Defizite auf dem Arbeitsmarkt in ganz Deutschland jahrelang überdeckt. Dringend nötige Reformen wurden deshalb verschoben. Jetzt offenbart sich in Ostdeutschland zum Beispiel die mangelnde Abstimmung von Sozialpolitik und Arbeitsmarkt, insbesondere im Niedriglohnbereich. Bei unseren Rahmenbedingungen, zu denen noch hohe Steuern und Sozialabgaben gehören, kommt legale Arbeit oft nicht zustande. Hier müssen wir ansetzen.

Sie sprechen über die Subventionierung von Sozialabgaben bei kleinen Einkommen. Dass das nicht funktioniert, zeigen doch die Modellprojekte in Rheinland-Pfalz und Brandenburg.

Es reicht nicht, nur an Rädchen herumzudrehen. Wir müssen alle Maßnahmen aufeinander abstimmen. Das zeigen gerade die Modelle. Die Absenkung von Sozialabgaben bleibt wirkungslos, wenn ich gleichzeitig besser dotierte AB-Maßnahmen anbiete.

Was halten Sie davon, jetzt eine Stufe der Steuerreform vorzuziehen, um die Nachfrage und damit das Wachstum der deutschen Wirtschaft zu stimulieren?

Steuersenkungen können die Konjunktur beleben. Weil die Unternehmen und Verbraucher aber verunsichert sind, muss man auch dafür sorgen, dass das Geld nicht gespart, sondern ausgegeben wird. Man sollte daher auch prüfen, ob man nicht sowieso geplante Infrastrukturinvestitionen vorzieht. Das würde insgesamt die Verschuldung, über mehrere Jahre gerechnet, nicht ausweiten, sondern nur zu einer anderen zeitlichen Verteilung führen.

Gerade Ihre Partei würde dem Finanzminister doch im Wahlkampf vorwerfen, dass er den Konsolidierungskurs verlassen hat.

Wenn man die Politik von Hans Eichel genauer betrachtet, dann sind seine Konsolidierungserfolge ohnehin viel kleiner, als er vorgibt. Die um die konjunkturellen und Sonder-Einflüsse bereinigte Verschuldung zeigt ganz klar, dass die Bundesregierung die strukturellen Haushaltsprobleme keineswegs gelöst hat. Viele Erfolge waren auf die gute Konjunktur, UMTS und ähnliches zurückzuführen, also nicht nachhaltig.

Könnten die öffentlichen Haushalte der Bundesländer und Kommunen eine Beschleunigung der Steuerreform verkraften?

Das wird schwer. Insbesondere die Kommunen wären wegen der fehlenden Einnahmen wohl gezwungen, Investitionen zu kürzen. Auch für die Bundesländer bedeuten Steuersenkungen einen Kraftakt. Zumal sich nach meiner Überzeugung schon bald zeigen wird, dass viele Landeshaushalte in diesem Jahr zu optimistisch geplant wurden. Wenn wir Anfang November die Ergebnisse der Steuerschätzung haben, wird sich die Wucht der Ausfälle zeigen. Unsere öffentlichen Haushalte sind leider nicht in einer amerikanischen Verfassung, die auf Grund einer konsequenten Sanierung in der Vergangenheit nun Milliarden-Konjunkturprogramme ermöglicht. Ich fürchte deshalb, dass wir auf positive Auswirkungen der US-Maßnahmen bei uns hoffen müssen.

Wie kann dem Osten geholfen werden?

Die Verkehrsinfrastruktur ist oft noch ein Entwicklungshemmnis. Abseits der Ballungszentren ist noch viel zu tun. Dort, wo die Verkehrswege und technischen Medien modernisiert wurden, haben auch Investitionen angezogen. Der Nachholbedarf ist so groß, dass die umfangreichen Programme nach der Wende noch nicht ausgereicht haben. Am wichtigsten ist jedoch, dass sich die Bundesregierung klar macht, dass der Osten nicht ein Anhängsel der alten Bundesrepublik ist, sondern ein noch oft anders strukturierter Teil Deutschlands, zum Beispiel bezogen auf den Arbeitsmarkt oder die Wohnungswirtschaft. Bei unterschiedlichen Problemen braucht man aber auch differenzierte Maßnahmen. Eine reine Kopie West reicht dann nicht aus.

Herr Milbradt[Deutschland steht am Rande einer Re]

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