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Wirtschaft: Indiens Computerbranche boomt wie nie zuvor

Nachrichten aus Deutschland machen selten Schlagzeilen in Indien. Aber die Bemerkung von Bundeskanzler Schröder, man müsse wohl tausende von Software-Experten aus Indien und Osteuropa nach Deutschland holen, um den Arbeitskräftemangel in der boomenden Informationstechnologie-Branche zu beheben, hat in Indien wie eine Bombe eingeschlagen.

Nachrichten aus Deutschland machen selten Schlagzeilen in Indien. Aber die Bemerkung von Bundeskanzler Schröder, man müsse wohl tausende von Software-Experten aus Indien und Osteuropa nach Deutschland holen, um den Arbeitskräftemangel in der boomenden Informationstechnologie-Branche zu beheben, hat in Indien wie eine Bombe eingeschlagen. "In Deutschland warten 30 000 Jobs (auf indische "techis")", titelte die wichtigste Finanzzeitung des Landes, die Economic Times.

Die Nachricht könnte zu keiner besseren Zeit kommen. Denn eben erst haben die USA, die jedes Jahr befristete Visa für eine bestimmte Zeit ausstellen, angekündigt, sie würden die Zahl dieser hochbegehrten Spezialvisa in Zukunft einschränken, weil die amerikanische Infotech-Industrie zunehmend mehr in Indien selbst arbeiten lasse.

Indien hat selbst schon Probleme, die Nachfrage auf seinem eigenen IT-Markt zu befriedigen. Rund 280 000 Techniker beschäftigen die über 700 Firmen der Software-Branche, und obwohl technische Universitäten und Fachhochschulen ihren "Ausstoß" von hochqualifizierten Diplomierten bereits auf 100 000 im Jahr gesteigert haben, reicht das noch immer nicht. In diesen Wochen, in denen sich die Studenten auf ihren Abschluss vorbereiten, sind die "Einkäufer" auf dem Campus unterwegs. Für die besten Hochschulabgänger werden mittlerweile Anfangsgehälter von 3 100 Mark im Monat geboten. Normal sind 500 Mark.

Ein Abschluss in "Computer" ist denn auch das Traumziel aller indischen Jugendlichen, die auf schlechten Schulen, wenn sie überhaupt da sind, schlecht auf die Zukunft vorbereitet werden. Indien gibt nur 3,8 Prozent seines Bruttoinlandprodukts für Erziehung und Bildung aus. Nur sehr langsam beginnt es den Politikern in Delhi zu dämmern, dass man einmal mit einer Nation von Analphabeten weltweit nicht mehr mithalten kann, und dass man das vorhandene Potenzial besser nutzen muss. So hat das Ministerium für Informationstechnologie erst in der vergangenen Woche beschlossen, ein indisches Forschungszentrum nach den Vorbild von Silicon Valley aufzubauen, in dem die in Kalifornien ja reichlich vorhandenen indischen Software-Künstler ihre Kenntnisse weitergeben sollen.

Im Handelsministerium träumt man bereits davon, dass indische Software in wenigen Jahren 25 Prozent aller Exporte ausmachen könnte, obwohl die Computer-Industrie bisher nur ein Prozent des Bruttoinlandprodukts ausmacht. Auch Experten halten dieses Ziel nicht für ausgeschlossen. Indische Software-Exporte sind explosionsartig gewachsen. Von 150 Millionen Dollar im Jahr 1990 auf vier Milliarden, die in diesem Haushaltsjahr erreicht werden sollen. Für 2008 werden 50 Milliarden angestrebt. In den vergangenen beiden Wochen sind indische Technologiewerte vor allem durch Zukäufe ausländischer Fonds in schwindelnde Höhen gestiegen. Der Inder Azim Hasham Premji, Chef der Wipro Corp., ist zum zweitreichsten Mann der Welt nach Bill Gates geworden. Seine Firma, die einmal mit Seife und Kurzwaren ihr Geld verdient hat, hat einen Marktwert von über 38 Milliarden Dollar erreicht. Die Börsenkurse von Infosys, HCL Technologies und Satyam - Platz zwei, drei und vier nach Wipro - sind um mehrere hundert Prozent gestiegen und das kleine Information Technologies India (ITIL) hat sich mit einem Marktwert von 7,5 Milliarden Mark auf Platz fünf geschoben.

Das explosive Wachstum der indischen Hochtechnologie hat breiten Wohlstand geschaffen. Ein ganz neuer Software-Mittelstand ist entstanden, der durch die Börse oder als Angestellte mit Aktienbeteiligungen reich geworden sind. Viele in der Technologie-Branche sind freilich nicht erfreut über das Angebot des deutschen Bundeskanzlers, indische Software-Leute nach Deutschland zu holen. "Wir sind groß darin, die Probleme anderer zu lösen, indem wir dem Westen billige Arbeitskräfte zur Verfügung stellen," sagen die IT-Unternehmer. Wenn Indien wirklich zu einem Tiger in der digitalen Welt werden wolle, dann müsse es sich darauf konzentrieren, höchste Professionalität, Qualität und Gesamtlösungen anzubieten.

vy

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