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Youtube-Star Bianca „Bibi“ Heinicke präsentiert ein Hologramm ihrer selbst bei „Madame Tussauds“ in Berlin.

© imago/Gartner

Influencer-Marketing: Das lukrativste Hobby der Welt

„Influencer“ verpacken Werbebotschaften als freundschaftliche Empfehlungen. Doch die Geschäfte der Netzpromis sorgen zunehmend für Ärger.

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Fashion Week, Modenschau im Berliner Tempodrom. Im weißen XL- Vorzelt sind Couchtische, Teppiche und Polstermöbel in Szene gesetzt, höchstpersönlich entworfen von Guido Maria Kretschmer und bestens ausgeleuchtet vom Otto-Konzern, der zu diesem Abend eingeladen hat. Auf den rosa Boxspringbetten und blauen Chesterfield-Sofas des Designers lümmeln sich Dutzende Teenager in Highheels und Miniröcken. Für das Gelingen der Veranstaltung und den Erfolg der Produktlinie sind sie wichtiger als die anwesenden Celebrities von Jenny Elvers bis Katy Karrenbauer: Sie sind sogenannte „Influencer“, Beeinflusser.

Das bedeutet, sie zählen in Sozialen Medien mindestens 20.000 Follower – weil sie Schminktipps geben, gekonnt Klamotten kombinieren oder einfach nur hübsch sind. Der Versandhändler hat ihnen Produktpakete geschickt, Anreise und Hotelzimmer bezahlt, damit sie irgendwann ihr Smartphone aus dem Handtäschchen holen, das sie Clutch nennen, ein Foto schießen und es bei Instagram, Facebook oder Snapchat hochladen. Auch so ein Foto lassen sich viele der jungen Gäste bezahlen – weil sie es können.

Millionenverdienst für Influencer

250 Euro aufwärts pro Foto-Post, heißt es. Je nach Bekanntheitsgrad, Gesicht und Gelegenheit sind es auch schon mal ein paar tausend. Denn die Bewunderten verheißen den Händlern und Herstellern Zugang zu einer Zielgruppe, die für sie sonst nur noch schwer zu erreichen ist. Sie sieht nicht fern, sondern YouTube, liest keine Magazine, sondern Blogs. Etliche von ihnen sind längst junge Erwachsene geworden. Sie heißen Farina Opuku alias Novalanalove, Laura Noltemeyer oder Lamiya Slimani – die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Einige können sogar davon leben: Von Caro Daur, 21 Jahre jung und BWL-Studentin aus Hamburg, erzählt man sich, sie verdiene eine Million Euro im Jahr – indem sie sich selbst an wechselnden Orten, in wechselnden Outfits und mit wechselnden Accessoires fotografiert. Bei der 24-jährigen Bianca Heinicke, deren Webauftritt „BibisBeautyPalace“ Millionen Jugendliche begeistert, sollen es mehr als 100.000 Euro im Monat sein. Schüler stürmten in Scharen in die Filialen der Drogeriekette dm, nachdem Bibi für sie ihren eigenen, nach Donuts duftenden Duschschaum kreiert hatte.

Ministerpräsidentensohn im Selfie-Fieber

Dabei sind die Instagram-Stars längst nicht nur Frauen. Auch Männer wie Johannes „Joe“ Laschet sind im Selfie-Fieber. Seitdem er elf Jahre alt ist, begeistert sich der Sohn des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet für Krawatten und Anzüge. Im Bücherregal des Vaters will er einst das Buch „Der Gentleman“ entdeckt haben – und seither feilt er am klassischen Herrenlook. Mehr als 38.000 Fans überzeugen sich regelmäßig von seiner Geschmackssicherheit bei Instagram. Dabei spielt es sicherlich auch eine Rolle, dass Laschet optisch ein nahezu perfektes Double von Schauspielstar Ryan Gosling abgibt. Die Outfits erhält Joe Laschet größtenteils von Firmen. Unter beinahe jeden Beitrag schreibt er: „products sponsored by following brands“.

Die klassischen Werbeträger haben mal wieder einen Paradigmenwechsel verpennt und sehen nicht, dass die Leute persönliche - was nicht dasselbe ist wie personalisierte, sondern noch einen Tick besser - interaktive und vor allem freiwillig gewählte Werbung vorziehen.

schreibt NutzerIn rivka

Doch heißt das nur, dass er die Kleidung kostenlos erhält – oder wird er zusätzlich bezahlt? Es ist unwahrscheinlich, dass der Politikersohn seine Hosenträger nicht selbst bezahlen kann. Zumal er auch gern Fotos veröffentlicht, auf denen nicht er selbst zu sehen ist, sondern Uhren oder Parfumflakons im Großformat. Viele Medienrechtler sind der Ansicht, dass solche Werbebilder als Anzeige gekennzeichnet werden müssen. Allerdings gibt es dazu in Deutschland so gut wie keine Rechtsprechung. Der angehende Jurist, der sich gerade im Staatsexamen befindet, will sich auf Nachfrage nicht äußern. Nur so viel: Er betreibe das Ganze lediglich als Hobby.

So sehen das wohl viele der Social-Media-Stars. Kaum ein Influencer spricht über die Summen, die er kassiert. Laut der Social-Media-Analyse-Agentur Captiv8 können die erfolgreichen YouTuber mit drei bis sieben Millionen Abonnenten fast 200.000 Dollar erhalten. Bei Instagram oder Snapchat gibt es immerhin noch 75.000 Dollar – pro Beitrag.

Streit um Schleichwerbung

Was da gern als Hobby abgetan wird, hat sich längst zu einer hochprofessionellen Maschinerie entwickelt. Unzählige Marken kaufen sich die Dienste der Multiplikatoren. Grace Capristo, ehemals Sängerin der Castingband Monrose, fährt für Unilever eine Flasche Flüssigwaschmittel im Fahrradkorb spazieren. Fashion- Bloggerin Francesca Lesch setzt sich damit auf die Treppen eines imposanten Säulengebäudes und streicht sich verträumt durch die Haare. Ein beliebtes Motiv ist auch, sich damit auf die Waschmaschine zu setzen. Authentisch? Egal. Viele Fans bejubeln die tollen Styles.

Doch es gibt auch Menschen, die sich über „Schleichwerbung“ mokieren. Weil ja alles eigentlich nur ein Privatvergnügen ist, und die Instagram-Lieblinge „nur Produkte und Marken anpreisen, mit denen sie sich 100-prozentig identifizieren können“, nehmen sie es mit der Kennzeichnung nicht so genau. Ein Anhänger verteidigt sein Idol: „Könnt ihr lesen? Sie hat nen Hashtag mit „ad“ benutzt!“ Doch reicht die Abkürzung für das englische Wort Advertisement, Anzeige, aus? Klassische Verlage und Werbeträger sind strengen Richtlinien unterworfen.

Um die Frage, ob und wie Produktplatzierungen oder bezahlte Beiträge gekennzeichnet werden müssen, wird deshalb intensiv gestritten. Auch Instagram hat das Problem erkannt: Derzeit testet die Plattform eine neue Funktion, mit der Nutzer Beiträge mit dem Verweis „bezahlte Partnerschaft mit“ kennzeichnen können. Daniel Fuchs, der seinen Job als Maschinenbauer gegen eine Instagramkarriere getauscht hat, macht damit beispielsweise seine Tätigkeit für den Sportartikelhersteller Puma kenntlich. „Wir werden diese Tools im Laufe der kommenden Monate allgemein zur Verfügung stellen“, sagt der zuständige Manager Heiko Hebig. Unternehmen sollen dadurch auch mehr Nutzungsdaten bekommen. Damit öffnet sich für die Facebook-Tochter eine weitere Einnahmenoption: Wenn Unternehmen Influencer bezahlen, statt eigene Anzeigenbeiträge zu schalten, läuft das Geschäft an Instagram vorbei. Die Kennzeichnung soll im ersten Schritt kostenlos sein. Setzt sie sich durch, könnte die Plattform aber bei den Partnerschaften mitkassieren.

Das dahinter stehende Problem ist, dass die Kommerzialisierung in die quasi-private Kommunikation einzieht, indem sie sich einschleicht. Und dass die betroffenen Influencer wie ihre Follower das Gefühl für die Selbstverständlichkeit verlieren, dass Werbung eben nicht die Realität ist.

schreibt NutzerIn Stefano01

Influencer muß Bußgeld zahlen

Zahlen muss auch der als „Flying Uwe“ auftretende Bodybuilder Uwe Schüder. Im Juni wurde erstmals ein Bußgeld verhängt: Die Landesmedienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein verurteilte ihn zur Zahlung von 10.500 Euro. Er hatte in YouTube-Videos seine Fitnessprodukte angepriesen, ohne das als Werbung zu kennzeichnen. Auch Caro Daur soll abgemahnt worden sein, wollte das in einem Interview aber nicht kommentieren. Dass Kennzeichnungen wie „#ad“, „#sponsored by“ oder „#powered by“ nicht ausreichen, darauf weist neuerdings der überarbeitete Leitfaden der Medienanstalten hin. „Wir empfehlen, Beiträge mit den Worten „Anzeige“ oder „Werbung“ zu kennzeichnen“, sagt Stefanie Lefeldt von der Medienanstalt Berlin Brandenburg. Zudem sollten sie am Anfang stehen und nicht versteckt zwischen unzähligen anderen Hashtags. Manch eine Influencerin auf Guido Maria Kretschmers Sofas findet es „unfair“, dass sie womöglich Bußgelder zahlen soll, andere erkundigen sich verunsichert: „Wie macht ihr das?“ Man hat es schließlich immer wie die anderen gemacht.

Denn nur so funktioniert die Influencer-Welt: Konkurrenz ist relativ, es wird fleißig vernetzt, „geliked“ und kommentiert, um wiederum andere Influencer und deren Abonnenten auf sich aufmerksam zu machen. Mehr ist mehr. Und weil das System davon lebt, dass die Fans sich den Vorbildern nahefühlen, sie als Vertraute erachten, ist es schön, wenn die auch untereinander verbunden sind. So wird das Gefühl einer riesigen Freundesclique heraufbeschworen. Songcontest-Gewinnerin Lena Meyer-Landrut zeigt sich mit Germany’s-Next-Topmodel-Siegerin Stefanie Giesinger, Ex-GZSZ-Darstellerin Janina Uhse und Daur beim gemeinsamen Joggen, Feiern und Abhängen.

Fast alle großen Konzerne mischen mit

Mercedes Benz betreibt Influencer-Marketing ebenso wie der Kamerahersteller Olympus oder Zalando. Die großen Unternehmen halten dafür Budgets im mindestens mittleren sechsstelligen Bereich bereit. Aber auch viele mittelständische Firmen haben die Chancen erkannt. Dabei werden selbst sogenannte „Micro Influencer“ mit vergleichsweise kleinen Fangemeinden zunehmend interessanter, weil sich mit ihnen sehr spezielle Zielgruppen ansprechen und Nischenprodukte vermarkten lassen. Unternehmen minimieren Streuverluste und umgehen Werbeblocker. Verlierer sind die herkömmlichen Werbeträger, die Zeitschriften, Zeitungen und Sendeanstalten, denen diese Werbebudgets entzogen werden. Und was ist mit den Kunden, die glauben, es handele sich um aufrichtige Empfehlungen? Studien zeigen, dass werbliche Beiträge bei den Nutzern auf Instagram vollkommen akzeptiert sind. Ob das eine gute Nachricht ist, entscheide jeder selbst.

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