zum Hauptinhalt

Insolvenz: Ölpreis-Schock schreckt Mittelstand auf

Die Rekord-Ölpreise lassen zehntausende deutsche Unternehmen um ihre Existenz bangen. Laut einer Umfrage im Mittelstand könnten hochgerechnet gut 50.000 Firmen ins Wanken geraten. Fast jedes zweite Unternehmen will die Preise erhöhen.

Schwer betroffen sind der Einzelhandel und die Verkehrsbranche, wie die Befragung der Wirtschaftsauskunftei Creditreform ergab. Die Spediteure drohen angesichts der rekordhohen Spritpreise mit Protesten. Der Reisekonzern Tui kündigte Preiserhöhungen an. Die Internationale Energie-Agentur (IEA) rechnet unterdessen nicht mit einer Entspannung auf den Ölmärkten. Die Bundesregierung setzt als Alternative verstärkt auf Windkraft mit dem Bau von bis zu 30 Windparks in der Nord- und Ostsee.

Bei der Befragung von 4000 mittelständischen Unternehmen gaben Ende Juni 1,5 Prozent der Firmen an, wegen der hohen Kostenbelastung bereits vor der Geschäftsschließung zu stehen. Hochgerechnet auf den gesamten Mittelstand in Deutschland entspreche das einer Zahl von 51.000 Unternehmen, sagte ein Sprecher von Creditreform. Allein im Einzelhandel befürchteten demnach 15.000 Firmeninhaber, das Geschäft aufgeben zu müssen. Im Verkehrs- und Logistiksektor sowie im Baugewerbe fürchten nach Hochrechnung von Creditrefom jeweils 5600 Unternehmen das Aus.

Geschäftsschließungen stehen bevor

Die Ölpreise waren in den vergangenen Tagen über die Marke von 145 Dollar je Barrel (159 Liter) gestiegen. Daraufhin erreichten auch die Spritpreise in Deutschland Rekordmarken: Ein Liter Benzin kostete nach Angaben aus der Branche durchschnittlich 1,60 Euro, Diesel 1,56 Euro.

Akuten Alarm schlägt nun auch die Verkehrsbranche. "Für das Transportgewebe ist die Dieselpreisbelastung katastrophal", sagte der Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes Verkehrsgewerbe Niedersachsen, Bernward Franzky. Innerhalb eines Jahres habe es eine Mehrbelastung von 12.000 Euro pro Lastwagen gegeben. Dies könnten die Speditionen nicht ausgleichen. Dazu komme die geplante Erhöhung der LKW-Maut, die im Schnitt von 13,5 auf 16,3 Cent pro Kilometer angehoben werden soll. "Das macht pro Lastwagen pro Jahr noch einmal eine Mehrbelastung von 9500 Euro."

Enger Wettbewerb in der Luffahrt

Bundesweit drohten wegen der Mehrbelastungen rund 3000 Speditionen in die Insolvenz zu gehen, sagte Franzky. Dies wären vier Mal mehr als im vergangenen Jahr. Derzeit gebe es bundesweit rund 51.000 Transportunternehmen. Sie hätten große Schwierigkeiten, die höheren Kosten an die Kunden weiterzugeben.

Auch aus anderen Branchen, zum Beispiel aus der Luftfahrt, heißt es, der harte Wettbewerb erlaube es kaum, die höheren Energiepreise an die Kundschaft durchzureichen. "Auf der Langstrecke holen wir etwa ein Drittel unserer Mehrkosten wieder rein. Doch innerhalb Europas ist dies nur in geringerem Ausmaß oder gar nicht möglich. Hier sind die Preise generell bereits stark unter Druck", sagte Swiss-Chef Christoph Franz der "Wirtschaftwoche". Die hohen Kerosinpreise sind im reinen Fluggeschäft inzwischen der größte Kostenfaktor vieler Fluggesellschaften.

Reisen wird teurer

Tui kündigte an, in der neuen Saison würden Reisen etwa in Mittelmeerländer würden durchschnittlich 2,9 Prozent teurer, Ziele mit eigener Anreise um 1,8 Prozent. Der Reisekonzern geht aber nicht nicht davon aus, dass dies zu Einbußen führen werde. Die Ausgabebereitschaft für Urlaubsreisen bleibe auf hohem Niveau, sagte Deutschland-Chef Volker Böttcher.

Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) trat Befürchtungen entgegen, die rasant steigenden Kosten für Energie und Rohstoffe könnten der deutschen Wirtschaft auf breiter Front schaden. Die Wirtschaft sei "stabil genug, das auszuhalten", sagte er der "Welt am Sonntag". Deutschland habe bereits zur Regierungszeit von SPD-Kanzler Helmut Schmidt, 1974 bis 1982, damit begonnen, die Energieeffizienz stetig zu erhöhen. SPD-Fraktionschef Peter Struck rief zu einer Senkung des Energieverbrauchs auf.

Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee habe einen Raumordnungsplan zum Bau von bis zu 30 Windparks in der Nord- und Ostsee fertiggestellt, berichtete die "Welt am Sonntag". "Wir setzen auf regenerative Energien und nicht auf Atomkraft", sagte der SPD- Politiker der Zeitung.

Öl wird nicht billiger werden

Die Internationale Energie-Agentur (IEA) dämpfte Erwartungen, dass Öl wieder billiger werden könnte. Zwar werde sich die Lage am Ölmarkt bis 2009/2010 zunächst entspannen, da neue Förderprojekte die Produktion aufnehmen, sagte der IEA-Exekutivdirektor Nobuo Tanaka dem "Handelsblatt". Danach werde die Förderung aber sinken und gleichzeitig die Nachfrage steigen, vor allem in den Entwicklungsländern: "Bis 2013 bleibt die Lage am Markt sicher gespannt." Der IEA-Direktor rief die Produzenten auf, mehr zu investieren. Aber auch die Verbraucher seien in der Pflicht, Energie zu sparen.

Die vielgescholtene Spekulation verstärkt nach Tanakas Einschätzung zwar die Bewegungen des Ölpreises, ist aber nicht die Ursache. Um den Ölmarkt zu entspannen, müssten sich die Marktfundamente ändern: Mehr Investitionen auf der Angebotsseite, stärkere Energiesparbemühungen auf der Nachfrageseite. "Dann verschwindet auch die Spekulation, die auf weiter steigende Ölpreise setzt", sagte der IEA-Chef. (dm/dpa)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false