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© dpa

Interview: „Aus dem Abschwung wird dann ein Absturz“

Kurz vor der Metall-Tarifrunde warnt Arbeitgeberpräsident Martin Kannegiesser die Gewerkschaft vor zu hohen Forderungen. Im Gespräch mit dem Tagesspiegel erzählt er, warum der Abschwung der Weltwirtschaft auch Auswirkungen auf die deutsche Metallindustrie hat.

Herr Kannegiesser, Ihre letzte Amtszeit als Präsident des wichtigsten deutschen Arbeitgeberverbandes hat soeben begonnen. Was bringen die kommenden zwei Jahre?

Unsere Industrie kommt ja aus einem langen, tiefen Tal. Vor ein paar Jahren haben wir noch diskutiert, wie viel Deutschland sich die Metall- und Elektroindustrie noch leisten kann. Da ging es vorrangig um die Verlagerung von Wertschöpfung ins Ausland. Inzwischen sind wir weltweit vernetzt, aber in Deutschland verwurzelt, und haben hier seit 2006 mehr als 230 000 neue Stammarbeitsplätze geschaffen. Gleichzeitig verfügt unsere Industrie über 4300 Betriebe außerhalb Deutschlands mit rund 1,5 Millionen Arbeitsplätzen.

Wie kam es zu der Industrie-Renaissance?

Unser gegenwärtiger Produktmix lag bislang im Fokus der aktuellen Weltnachfrage. Unsere Lohnstückkosten haben wir in den vergangenen Jahren besser als andere unter Kontrolle gehabt. Wir arbeiten flexibler als manche andere, die von flexiblen Arbeitszeitkonten noch nie etwas gehört haben. Und wir haben einen modernisierten Flächentarif mit dem Dreiklang aus verbindlichen Regeln für alle, betrieblichen Öffnungsklauseln und Ergänzungstarifen. Andere Länder haben Regelungssysteme und Arbeitsbeziehungen, die für eine vernetzte Industrie weniger effektiv sind.

„Besser statt billiger“ proklamiert die IG Metall: weniger auf Kostensenkung setzen, sondern auf Innovation – und den Arbeitnehmer nicht als Kostenfaktor sehen, sondern als Träger von Wertschöpfung.

Unter dem Motto „Besser statt billiger“ arbeiten wir ja seit Jahrzehnten. Unsere Industrie könnte anders auch gar nicht existieren. Aber was heißt besser sein? Das Produkt muss besser sein, sicher. Doch muss auch das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmen. Unsere preisliche Wettbewerbsfähigkeit hat sich eben in den vergangenen Jahren durch ein gutes Kostenmanagement relativ verbessert. Das war auch notwendig, denn die Kunden in aller Welt finanzieren nicht so ohne weiteres unseren Lebensstandard.

Die deutsche Industrie ist die teuerste der Welt – und trotzdem die erfolgreichste.

Bei den reinen Arbeitskosten sind wir die teuersten. Von der Produktivität her sind wir aber immer noch so viel besser als die anderen, dass wir bei den Lohnstückkosten unsere Position relativ verbessert haben. Die Folgerung: Wir sind in etlichen Produktsegmenten – gewiss nicht in allen – die Teuersten und trotzdem die Marktführer. Diese Schlussfolgerung muss nicht immer so bleiben. Aktuell sehen wir erste große Bremsspuren in der Autoindustrie und bei ihren Zulieferern. Insgesamt stehen wir vor dem Abschwung.

Sie müssen düstere Konjunkturgemälde malen, damit die Erwartungen vor der Tarifrunde nicht ins Kraut schießen.

Unsere Metallarbeitnehmer sind nach wie vor die bestbezahlten in der Welt. Seit Mitte letzten Jahres sind die Tarifeinkommen in unserer Branche um 6,5 Prozent gestiegen, das ist doppelt so viel, wie im Durchschnitt aller Arbeitnehmer in Deutschland. Im Übrigen wenden wir dieses Jahr die Hälfte unseres Personalkostenanstiegs für die neu geschaffenen Arbeitsplätze auf. Wir sind gut und können gute Löhne zahlen. Das muss aber täglich neu erarbeitet werden.

Das tun die Belegschaften seit Jahren.

Das ist unsere einzige Chance, uns in der Welt zu behaupten. Belegschaften und Unternehmer tragen dazu bei, international präsent zu sein, die richtigen Produkte zu haben und richtig zu präsentieren – das braucht erstklassige Führungsleistung der Unternehmer mit tüchtigen Belegschaften in Deutschland und anderswo. Von unserer Stärke der letzten Jahre dürfen wir uns nicht blenden lassen. Wir kommen aus einem verdammt tiefen Tal und dürfen jetzt nicht überziehen, sonst sind wir schneller wieder im Tal, als manche meinen. Aus dem Abschwung wird dann ein Absturz.

Steht die Industrie nicht besser da als zu Beginn des letzten Abschwungs?

Doch, das ist ohne Frage der Fall. Aber wir können von Deutschland nicht leben, wir leben vom Weltmarkt. Ich muss zum Beispiel zurzeit mein Amerika-Geschäft stützen. Und das wird demnächst in Asien auch so sein. Das sind die Fakten. Wir reden doch nicht die Konjunktur schlecht, um ein Lohnprozent zu sparen.

So hört sich das aber an.

Wir sind von unseren Absatzmärkten abhängig. In Europa tun wir uns zunehmend schwer, Aufträge zu akquirieren. Asien ist stark von den USA abhängig und wird schwächer. Und trotz aller Faszination über die Dynamik in China: Allein Österreich bezieht noch immer mehr Produkte von unserer Industrie als China. Fast überall wird es schwieriger für uns.

Sie haben Angst?

Nein. Alles in allem gehen wir mit Selbstbewusstsein in den Abschwung und möchten viele unserer Belegschaften über das kommende Tal bringen. Das geht aber nur über Investitionen und über Arbeitsbeziehungen auf einer vernünftigen, bezahlbaren Basis. Natürlich wird es eine Lohnerhöhung geben, aber mit Augenmaß. Die Luft zum Investieren muss bleiben. Auch zum Investieren in Köpfe und Talente.

Sind die Metaller wahnsinnig, wenn sie vermutlich um die acht Prozent fordern?

Einzelne Zahlen aus dem internen Diskussionsprozess der Gewerkschaft kommentiere ich nicht. Allerdings scheint mancher zu vergessen, dass wir Lösungen im Rahmen von Flächentarifen finden müssen. Ich kenne keinen Betrieb, der überzogene Lohnerhöhungen einfach so wegstecken könnte ohne ernsthafte Konsequenzen. Die bevorstehende Tarifrunde hat drei Besonderheiten: Erstens gehen wir in einen Abschwung rein. Zweitens: Wir haben einen hohen und teilweise überzogenen Erwartungshorizont. Und drittens die Inflationsrate, mit der wir neu umgehen müssen.

Die Arbeitnehmer sollen nicht einmal die Preissteigerung ausgeglichen bekommen?

Der Ausgleich der erwarteten Preissteigerungsrate hat hohe Priorität, darf aber nicht von vorneherein als automatischer Anspruch betrachtet werden. Er ist es nicht und muss durch mehr Leistung im weitesten Sinne erarbeitet werden. Denn bis zu zwei Drittel der Inflationsrate liegen außerhalb unseres Einflusses. Die Kaufkraft fließt ab ins Ausland, an die Öl- und Gasförderländer, und das können wir beim besten Willen nicht korrigieren. Aus der Sicht des Einzelnen sieht das anders aus. Der misst seinen Lebensstandard an dem, was er netto zur Verfügung hat und was die Energiepreise wegfressen. Unsere Betriebe können das nicht ausgleichen. Sie leiden genauso unter dem Anstieg der Energie- und Rohstoffpreise.

Versteht das IG-Metall-Chef Huber auch?

Selbstverständlich. Alles, was ich verstehe, das versteht er mindestens auch, vermutlich sogar besser. Die Frage ist doch immer, ob es jedem in seinen Reihen gelingt, das nötige Verständnis für eine Lösung aufzubringen, die vernünftig ist. Vernünftig auch in dem Sinne, das sozial ist, was Arbeit schafft. Die Betriebe sind nun mal die Ernährungsbasis für alle Beteiligten. Deren Bedürfnisse müssen wir mit den Belangen der Beschäftigten verbinden. Jede Einseitigkeit rächt sich.

Die IG Metall hat sich erholt und schafft in diesem Jahr die Trendwende bei der Mitgliederentwicklung. Haben Sie Angst vor der neuen Stärke des Klassenfeindes?

Ich sehe das anders. Wenn die Gegenseite in einer außerordentlich schlechten Verfassung ist, dann kommt man kaum noch zu vernünftigen Ergebnissen. Wir sehen das ja in anderen Branchen, wo es keine starke Gewerkschaft gibt, sondern die Gestaltung der Arbeitsbeziehungen ausfranst. Mit bedenklichen Folgen, wie bei Bahn und Lufthansa. Ein solches Vakuum füllt dann die Politik – eine der schlechtesten Lösungen für einen Standort.

Sie sind glücklich mit Ihrer IG Metall?

Wir werden nie heiraten. Bei der IG Metall sehe ich die Problematik eher darin, dass bei aller Notwendigkeit, Mitglieder zu werben, auch die Sache nicht der Kampagne untergeordnet werden darf. Sicher, eine Lohnrunde hat immer auch Kampagnecharakter, aber wenn das überzogen wird, kommt das irgendwann als Bumerang zurück.

Das Interview führte Alfons Frese.

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