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Lässt sich Beschwerden von Kunden vorlegen: Bahnchef Rüdiger Grube.

© dpa

Interview: Bahnchef: "Ich kann den Unmut verstehen"

Der Chef der Deutschen Bahn, Rüdiger Grube, spricht im Tagesspiegel-Interview über das Zug-Chaos im Winter, die Sparpläne der Regierung und die Zukunft der Berliner S-Bahn.

Herr Grube, die Bundesregierung will pro Jahr 500 Millionen Euro von Ihnen. Woher nehmen Sie die?

Wir haben im Jahr 2009 1,7 Milliarden vor Steuern und Zinsen verdient. Da ist es verständlich, dass der Eigentümer eine Dividende sehen will.

Ihnen macht das nichts aus?

Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Einerseits sind wir stolz darauf, nicht mehr die Staatsbahn zu sein, bei der die Personalkosten höher liegen als der Umsatz, wie noch 1993. Wir stehen heute sehr viel besser da als jede Bahn in Europa. Andererseits sage ich immer, ,Cash in de Täsch is the name of the game’ – seit der Finanzkrise ist Liquidität extrem wichtig. Wir wollen unser Geschäft sowie die betriebsnotwendigen Investitionen aus dem eigenen Cashflow tätigen und nicht auf die Banken angewiesen sein.

Werden Sie die 500 Millionen an anderer Stelle einsparen?

Wir haben trotz der tiefen Krise 2009 die Schulden um mehr als eine Milliarde auf nun 14,7 Milliarden Euro gesenkt. Wäre es mit dem bisherigen Tempo weitergegangen, hätten wir 2011 oder 2012 die Schulden auf das Niveau des Eigenkapitals bringen können. Das wird angesichts der Dividende nun nicht mehr gehen. Dass sich die Schulden nun nicht so schnell verringern, wurmt mich, weil ich das Unternehmen wie meine private Kasse führe – Schulden will ich so schnell wie möglich loswerden, nicht zuletzt auch um strategische Freiräume zu schaffen.

Zusätzlich muss der Verkehrsminister die Neubau-Investitionen pro Jahr um 200 Millionen Euro kürzen. Da trifft es Sie doppelt.

Herr Ramsauer hat mir versichert, dass weder bei Neubauvorhaben noch beim Erhalt des Schienennetzes Einsparungen stattfinden. Die Frage ist aber, wohin die 500 Millionen fließen. Gut wäre es, wenn der Bund es für neue Bahn-Projekte ausgeben würde. Ich habe die Befürchtung, dass die Koalition damit Löcher bei anderen Verkehrsträgern stopfen könnte. Schließlich behandelt der Staat die Eisenbahn immer noch schlechter als das Auto und das Flugzeug. Das darf nicht sein, und da werde ich mich weiter zu Wort melden

Die Bahn bekommt jedes Jahr Milliarden vom Staat.

Was heißt hier, wir bekommen Milliarden vom Staat? Wenn Sie sagen würden, dass der Staat die DB mit der Pflege, der Wartung und dem Aufbau der Infrastruktur beauftragt, wäre es sicher schon zutreffender. Umgekehrt wird ein Schuh draus. Obwohl wir der umweltfreundlichste Verkehrsträger sind, bezahlen wir Stromsteuer, CO2-Abgabe, Mehrwertsteuer. Andere müssen das nicht, deshalb sind die Abgaben auf einen Flug von Berlin nach Frankfurt um 23 Euro niedriger als bei einer Bahnfahrt. Das ist nicht gerecht. Es gibt jede Menge Fensterreden, wonach mehr Verkehr auf die Schiene soll. Aber in der Praxis wird immer noch zu wenig dafür getan. Dabei weiß die Politik, dass allein der Schienen-Güterverkehr in den kommenden Jahren um die Hälfte zunehmen wird. Das ist mit der heutigen Infrastruktur nicht zu schaffen. Ich warne deshalb davor, an Zukunftsinvestitionen zu sparen. Hier sind Minister Ramsauer und ich auch einer Meinung.

Können Sie der Kanzlerin für jedes Jahr die Dividende garantieren?

Wir haben es selbst im Krisenjahr 2009 geschafft, Geld zu verdienen, obwohl der Güterverkehr auf der Schiene um ein Viertel eingebrochen war. Auch 2010 sieht es gut aus – in den ersten fünf Monaten haben wir beim Schienengüterverkehr ein Plus von 14 Prozent geschafft, im Personenverkehr sind wir ebenfalls gut unterwegs. Auch in der Logistik geht es wieder bergauf, in der Luftfracht haben wir plus 20 Prozent, in der Landfracht plus 9,5 Prozent und in der Seefracht plus 30 Prozent. Es geht im Logistikgeschäft um weltweite Transportketten, da ist die Deutsche Bahn gut im Rennen. Und wir wollen natürlich jedes Jahr besser werden.

Und das trotz der Probleme im Winter?

Der Winter war der härteste der vergangenen zehn Jahre. Pro Tag sind im Schnitt 50 bis 60 Züge ausgefallen. Es ist extrem ärgerlich, wenn unser Brot- und Buttergeschäft nicht funktioniert, weil wir unter anderem keine hundertprozentige Verfügbarkeit unserer ICE-Züge hatten. Da müssen wir einfach besser werden, die Industrie muss ebenfalls ihren Beitrag leisten.

Warum ist so viel schiefgelaufen?

Moderne Züge sind anfällig, das ist Hightech. Es gab ja weltweit Probleme mit Hochgeschwindigkeitszügen. Hinzu kamen die Folgen des Achsbruchs 2008 in Köln – seitdem müssen wir die ICE 3 und ICE T zehnmal häufiger als ursprünglich vorgesehen prüfen. Wir haben bei der Industrie dauerfestes Material bestellt, es aber nicht bekommen. Nun tauschen wir alle Achsen gegen neu konstruierte aus, die Industrie beteiligt sich finanziell. Das dauert, die ganze Flotte wird erst in den nächsten zwei bis drei Jahren umgerüstet sein. Bis dahin kann es immer mal wieder zu Schwierigkeiten kommen.

Fehlende Informationen, unfreundliches Personal und verdreckte Bahnsteige können Sie aber nicht der Zugindustrie in die Schuhe schieben.

Das stimmt, unser System muss auch in Krisenzeiten funktionieren. Ich kann den Unmut verstehen, es ist nicht in Ordnung, wenn wir nur mit Halbzügen fahren, am falschen Gleis oder viel zu spät ankommen. Ich habe alle Verantwortlichen an einen Tisch geholt, damit uns das nicht noch einmal passiert. Wir haben eine Kunden- und Qualitätsoffensive aufgesetzt. Es kann aber nicht über Nacht alles besser sein, die notwendigen Verbesserungen sind sehr zeit- und arbeitsaufwendig.

Sie kümmern sich angeblich persönlich um Kundenbeschwerden.

Ich bekomme jeden Tag einen großen Stapel mit Beschwerden, aber auch sehr positive Kundenrückmeldungen. Irgendwann habe ich beschlossen, dass ich mir drei, vier am Tag herausziehe und mich persönlich darum kümmere. Dabei habe ich gelernt, dass die Leute Verständnis haben, wenn im Winter mal ein Zug nicht fährt oder sich ein Lebensmüder vor den Zug wirft. Was sie nicht verstehen, ist, wenn sie nicht oder schlecht informiert werden. Bisweilen kommt es vor, dass die Kunden besser informiert sind als unsere Mitarbeiter. Das muss sich ändern. Daher arbeiten wir mit Hochdruck daran, das endlich in den Griff zu kriegen. Hier werden auch die Mitarbeiter aktiv einbezogen.

Wie ist es um die Pünktlichkeit bestellt?

Im Durchschnitt sind mehr als neun von zehn aller unserer Züge pünktlich. Auch am Thema Pünktlichkeit arbeiten wir ständig, jeden Mittwochmorgen um 7.30 Uhr sitze ich mit meinen Vorstandskollegen und den Geschäftsfeldleitern zusammen.

Versprechen Sie, dass der nächste Winter besser wird?

Ich bin kein Bahn-Chef der Ankündigungen. Ich kann Ihnen aber versichern, dass wir alles dafür tun, dass es besser wird. Das ist harte Arbeit. Der Winter wird wieder eine große Herausforderung.

Was genau wollen Sie anders machen?

Wir tun mehr für die Prävention – mehr Leute fürs Schneeräumen, Gleiswachen, die prüfen ob eine Weiche vereist ist, mehr Weichenheizungen. Dann müssen wir dafür sorgen, dass die Mitarbeiter richtig reagieren, wenn mal etwas schiefgeht – dass sie Warteräume öffnen, die Leute mit den richtigen Informationen versorgen und so weiter. Das ist ein umfassendes Bündel von Maßnahmen.

Was ist mit den Zügen?

Wir hatten auch deshalb Engpässe, weil es im Winter vier bis fünf Stunden dauert, bis ein ICE enteist ist. Erst dann kann die Ultraschalluntersuchung beginnen, die noch einmal vier bis sechs Stunden dauert. In dieser Zeit ist der Zug geerdet, man darf also nicht einmal eine Kaffeemaschine oder ein Klo reparieren. Wir brauchen also locker eine ganze Nacht für so einen Check. Dadurch hat uns ein gutes Dutzend Züge pro Tag gefehlt.

Kaufen Sie neue?

Wir machen unsere Züge zuverlässiger. Wir haben die gesamte Flotte auf Herz und Nieren geprüft, vom Klapptisch bis zur Kaffeemaschine. Die ICE-2-Baureihe werden wir zudem für mehr als 100 Millionen Euro im Rahmen eines Redesigns von Grund auf erneuern. Und die durchschnittlich 32 Jahre alten IC-Waggons werden wir völlig überarbeiten. Die mehr als 1500 Fahrzeuge werden überarbeitet und gründlich aufgemöbelt.

Bald soll der Nachfolger kommen, der ICX. Lohnt es sich noch, die ICs aufzuhübschen?

Der ICX kommt ja erst ab 2014, damit stellen wir unsere Technik auf eine ganz neue Basis. Wir bekommen ja nicht alle Züge auf einen Schlag, die Auslieferung der ersten 220 dauert bis 2020. Wir brauchen 300 Züge bis 2025. Wir müssen die Zeit überbrücken.

Sie setzen auf Siemens – trotz der schlechten Erfahrungen mit dem ICE.

Zur Ausschreibung haben wir alle möglichen Unternehmen eingeladen, leider sind einige herausgefallen, weil sie die festgeschriebenen Bedingungen nicht erfüllt haben. Wir wollen für bis zu fünf Milliarden Euro neue Züge einkaufen, das ist der größte Zugauftrag in der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Dafür verlangen wir andere Qualitätsstandards als bislang. Wir haben uns schon die Produktion sehr genau angesehen, um zusammen mit den Herstellern Pannenherde so früh wie möglich zu erkennen. Ich komme gerade aus Japan – meine Vorstandskollegen und ich haben uns auch dort sachkundig gemacht.

Sie sind nun ein gutes Jahr bei der Bahn. Wie ist Ihre persönliche Bilanz?

Als ich zur Bahn gekommen bin, habe ich gedacht, das komplexeste Verkehrsmittel ist das Flugzeug. Tatsächlich ist es die Bahn, sie funktioniert nur, wenn alles zusammenspielt – Schiene, Züge, Personal, Leittechnik. Ich habe nicht gedacht, dass so viele Krisen zusammenkommen würden: Finanz- und Wirtschaftskrise, Datenaffäre, die S-Bahn Berlin, die ICE-Achsen, der Winter. Vieles ist nun abgeräumt. Die Strukturveränderungen im europäischen Eisenbahngeschäft bleiben natürlich unverändert bestehen: Darauf reagieren wir mit dem Vorhaben, das britische Unternehmen Arriva zu kaufen.

Gehört das zum Brot- und Buttergeschäft, von dem Sie eben sprachen?

Wir waren in Deutschland Monopolist, jetzt ist Wettbewerb politisch gewollt. Unsere Konkurrenten kommen im Schienen-Güterverkehr auf 24 Prozent Marktanteil, im Regionalverkehr auf rund 20 Prozent. Wenn wir zu Hause schrumpfen, müssen wir im Ausland wachsen. Und ich lasse mir nicht von unseren Wettbewerbern, zum Beispiel den Franzosen, die Butter vom Brot nehmen. Ich will die Arbeitsplätze für unsere Beschäftigten sichern, und mit Arriva werden wir auf einen Schlag die Nummer eins in Europa. Ohne diesen Kauf würde dieses Ziel viel später oder nie erreicht werden und würde sicher teurer werden.

Verstehen es Ihre Kunden, wenn Sie viel Geld im Ausland ausgeben, noch lange Probleme im Fernverkehr haben, aber im Dezember wieder die Preise erhöhen?

Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Das Thema Preiserhöhung diskutieren wir erst nach den Sommerferien. Eine Entscheidung hängt von vielen Faktoren ab, zum Beispiel auch von der Entwicklung der Energiekosten und dem Verlauf der bevorstehenden Tarifverhandlungen.

Kalkulieren Sie mit Streiks?

Unsere Gesprächspartner bei den Gewerkschaften habe ich als sehr vernünftig kennengelernt. Wir würden unserem Geschäft einen Bärendienst erweisen, wenn wir in dieser Situation auch noch streiken würden. Da appelliere ich an die Vernunft aller Beteiligten. Zumal ich ein Freund des Branchentarifvertrags bin. Es kann nicht sein, dass unsere Konkurrenten im Regionalverkehr bis zu 30 Prozent weniger Lohn zahlen als wir. Das ist Wettbewerb auf dem Rücken unserer Mitarbeiter und das lasse ich nicht zu.

Wie geht es weiter mit der S-Bahn?

Planmäßig. Allerdings sind durch die Ausfälle Zweifel an unserer Einstellung zur Sicherheit aufgekommen. Das ist das Schlimmste, was einem Unternehmen in der Verkehrsbranche passieren kann. Sicherheit ist keine Ermessensfrage. Sicherheit ist das mit Abstand höchste Gut im Eisenbahngeschäft. Wir werden alles tun, um das Vertrauen zurückzugewinnen. Hier sind wir auf einem guten Weg, so haben wir zum Beispiel 13 Prozent Zuwachs bei den S-Bahn-Abonnenten.

Wann gibt es wieder das volle Angebot?

Am 13. Dezember werden wir den Regelfahrplan wieder bedienen. Wir werden 501 Viertelzüge im Verkehr haben, im Laufe von 2011 werden dann die Züge wieder in voller Länge fahren.

Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen der Bahn und Berlin?

Wir sind hier der größte private Arbeitgeber mit 17 500 Beschäftigten und mehr als 850 Auszubildenden. Das gelegentliche Gerede um einen Wegzug aus Berlin können Sie getrost vergessen, ich habe wirklich Wichtigeres zu tun, als mich mit solchen Spekulationen zu beschäftigen.

Befassen Sie sich mit der Lage am Hauptbahnhof?

In der Tat: Der Vorplatz ist wirklich nicht so, wie er sein könnte. Stadtentwicklung ist allerdings die Aufgabe des Senats. Ich kann nur hoffen, dass man bald etwas für die Gegend tut, die ist ja hochattraktiv, der Bahnhof ein weltweites Vorzeigeobjekt. Es wäre schade, wenn man dieses einmalige Bauwerk nicht mit einem entsprechenden Umfeld zur Geltung brächte. Wir sollten gemeinsam versuchen, deutlich zu verbessern, was da künftig geschieht.

Das Gespräch führten Carsten Brönstrup, Moritz Döbler und Klaus Kurpjuweit.

Rüdiger Grube (58) ist seit Mai 2009 Vorstandschef der Deutschen Bahn. Aufgewachsen ist er auf einem Bauernhof bei Hamburg, Manager wurde er auf dem zweiten Bildungsweg. Bei Daimler war Grube als Strategievorstand am Kauf und später an der Trennung von Chrysler ebenso maßgeblich beteiligt wie an der Gründung des europäischen Luft- und Raumfahrtkonzerns EADS.

Grube kam zur Bahn als Nachfolger von Hartmut Mehdorn, den die Datenaffäre den Job kostete. Grube war einst Mehdorns Assistent. Als Chef hatte er sogleich viel zu tun – er tauschte fast den kompletten Vorstand aus und musste in der Krise sparen. Nun will die 240 000 Beschäftigte zählende Bahn für 2,7 Milliarden Euro den britischen Verkehrskonzern Arriva kaufen – damit würde sie zu Europas Branchenführer.

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