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Interview: "Das ist wie in der Spielbank"

Zum Fall Jérôme Kerviel: Wirtschaftspsychologin Astrid Schreyögg über Sucht und Spekulanten.

Frau Schreyögg, eine amerikanische Studie will herausgefunden haben, dass besonders emotional gestörte und gefühlskalte Menschen gute Börsenspekulanten abgeben. Entspricht das Ihrer Erfahrung?

Sicher. Ich bin davon überzeugt, dass man ein wenig autistisch veranlagt sein muss, um solch einen Beruf zu wählen. Wer sonst kann schon tagelang nichts anders tun, als in einen Computer zu gucken, um Zahlen zu kontrollieren? Außerdem ist der Job sehr einsam, was durch das Arbeitsumfeld noch verstärkt wird. Wer nächtelang vor dem Bildschirm sitzt, hat oft keinerlei Privatleben mehr. Nicht nur aus Zeitmangel, sondern auch, weil der Stress so enorm ist. Die Leute stehen wie auf der Pferderennbahn ständig unter Strom. Da ist kein Platz für eine Partnerbeziehung.

Welche Auswirkungen hat das auf die Risikobereitschaft? Ein Händler der französische Société Générale hat ja gerade fünf Milliarden Euro verzockt.

Die Einsamkeit fördert die Lust am Nervenkitzel, und das setzt einen Automatismus in Gang. Denn wer ständig Risiken eingeht, verliert natürlich auch irgendwann einmal. Sobald der erste Verlust gemacht wurde, geht die Eskalation los. Es entsteht eine unglaubliche Aufregung. Der Verlust muss ausgeglichen werden, also wird noch mehr investiert. Das ist wie in der Spielbank. Kein Wunder also, dass in Suchtkliniken auch immer wieder Aktienzocker behandelt werden.

Haben die Banken keine Kontrollgremien, die so etwas verhindern könnten?

Eigentlich schon. Das Problem ist allerdings, dass die Spekulanten ja zocken sollen. Beim französischen Fall kam noch hinzu, dass der Verantwortliche die Kontrollen anscheinend zu umgehen wusste. Normalerweise hätte er sich schon nach den ersten schweren Verlusten melden müssen. Dass es so weit wie jetzt kommen konnte, sagt eine ganze Menge über eine miserable Fehlerkultur. Bei uns ist das aber nicht unbedingt anders.

Ihrer Ansicht nach sind die Rahmenbedingungen derzeit also so, dass sie Vorfälle wie in Frankreich eher befördern als verhindern?

Ja. Die Verantworlichen selbst tragen ja keine persönlichen Risiken. Ob West LB oder Sächsische Landesbank, den Managern passiert doch nichts. Das ist empörend. Als Problem kommt noch hinzu, dass das Spiel der Spekulanten gesellschaftlich hoch angesehen ist. Bei der Deutschen Bank verdienen solche Leute das Doppelte und Dreifache der anderen Angestellten. Die werden behandelt wie Zauberer, und der Narzissmus der Leute wird unheimlich bedient. Das fördert einen Realitätsverlust.

In wieweit spielt Gier oder Macht eine Rolle bei einem Fall wie in Frankreich?

Ich glaube nicht, dass das entscheidende Motive waren. Der ganze Prozess ist so abstrakt, dass die Leute ihr Handeln kaum als Machtphänomen erleben. Die Summen, mit denen hantiert wird, sind schlicht nicht mehr fassbar.

Das Interview führte Moritz Honert.

Astrid Schreyögg (61) ist Wirtschaftspsychologin und coacht Führungskräfte aus Banken und anderen Großunternehmen wie dem Autohersteller Audi oder Anlagenbauer SMS-Demag.

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