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Meadows

© Mike Wolff

Interview: "Es wäre besser, wir ändern uns freiwillig"

Die Welt gerät aus den Fugen – und es wird noch schlimmer, sagt der Wissenschaftler Dennis Meadows. Doch immerhin: Barack Obama habe wirklich smarte Leute engagiert.

Herr Meadows, die Welt taumelt von einer Krise in die nächste. Sie können zufrieden sein.



Wieso denn? Nein, ich bin ganz und gar unglücklich über die Probleme, die die Finanzkrise bringt.

Allein in diesem Jahr hat die Zahl der Hungernden um fast 100 Millionen Menschen zugenommen, das Schmelzen des Packeises in der Arktis zeigt an, dass der Klimawandel sich beschleunigt – und die Öl produktion beginnt zu sinken. Sie haben das wissenschaftlich vorhergesagt, das muss Sie doch mit Befriedigung erfüllen.

Ich habe nichts in diesem Sinne vorhergesagt. Ich habe – mit anderen Kollegen – damals 13 verschiedene Szenarien entwickelt, wie sich die Menschheit entwickeln könnte. Einige mündeten in Katastrophen, fünf davon waren höchst attraktiv. Sie hießen etwa „Nachhaltige Entwicklung“ oder „Leben im Gleichgewicht“. Viele Medien haben sich nur die katastrophalen Teile herausgepickt. Nein, nein, glücklich wäre ich nur, wenn die Menschen auf uns gehört hätten. Und leider muss ich Ihnen sagen: Was wir derzeit an Krisen erleben, ist nichts im Vergleich zu dem, was uns in 10 bis 15 Jahren droht.

Sie schlagen nun lauter Alarm denn je?

Was würde es nützen? Ich wäre ja wie ein Brite, der in Frankreich Englisch spricht und, wenn ihn keiner versteht, sehr viel lauter Englisch spricht in der Hoffnung, dies würde helfen.

Die „FAZ“ schrieb über Sie: „Er schöpft seine Kraft aus der schaurigen Lust am Weltuntergang.“ Was gibt’s da zu lachen?


So ein Unsinn. Ich habe mich nie als Untergangspropheten verstanden. Ich sehe mich eher als Navigator am Radarschirm eines Schiffes. Der sieht auch: Wenn der Kapitän Kurs hält, wird das Schiff mit dem Eisberg kollidieren. Darum rennt er zum Kapitän und sagt: Sie müssen den Kurs ändern! Hätte ich 36 Jahre lang den Apokalyptiker gegeben, wäre ich ja längst verrückt geworden.

Immerhin begreifen heute viele Menschen, dass die Lage nun wirklich sehr ernst wird. Haben Sie viel zu früh Alarm geschlagen?

Das hängt von der Absicht ab. Wenn ich gewarnt hätte, um die Leute in Angst und Schrecken zu versetzen, dann war es 1972 zu früh. Aber wir wollten ja erreichen, dass wichtige Leute frühzeitig einen Wandel in Gang setzen. Damals lebte die Menschheit noch weit unterhalb der Grenzen der ökologischen Belastbarkeit des Planeten. Es gab noch die Chance, abzubremsen und zu einem friedlichen Gleichgewicht zu kommen. Heute haben wir diese Grenze schon um 30 Prozent überschritten – und alles beschleunigt sich noch.

Der jüngst verstorbene Science-Fiction-Autor Michael Crichton sagte mal spöttisch: „Ich habe mich die längste Zeit meines Lebens mit Ängsten herumgeschlagen, die sich später als unbegründet erwiesen.“

So kann man das nicht sehen. Ein Beispiel: Die befürchtete Vogelgrippe-Pandemie ist nicht eingetreten, ja. Das heißt doch nicht, dass es nicht geschehen kann. Wegen der Warnungen hat die Weltgesundheitsorganisation ein Alarmsystem eingerichtet, und wir sind nun viel besser vorbereitet. Unsere Prognosen von 1972 werden inzwischen bestätigt, und der Moment, um eine sinnvolle, friedliche Entwicklung zu starten, wurde verpasst. Aber selbst heute können wir aktiv immer noch eine bessere Zukunft schaffen, als wenn wir gar nichts tun.

Hat sich denn seit 1972 etwas positiv entwickelt?

Selbstverständlich. Die Ausbildung unserer Kinder und das allgemeine Bewusstsein der Bevölkerung für die globalen Umweltprobleme haben sich dramatisch verbessert. Wir haben einen enormen Fortschritt bei den Technologien für erneuerbare Energien, und früher waren Umweltministerien völlig unbekannt, jetzt gibt es sie überall.

Sie haben als 27-Jähriger mit der Arbeit über diese Themen begonnen, als kaum jemand darüber auch nur nachdachte. Wie kam’s dazu?

Durch eine ganz persönliche Erfahrung. Nach meiner Promotion bekam ich eine Professur beim MIT in Boston, aber ich fuhr lieber mit drei Freunden ein Jahr lang von London kreuz und quer bis nach Sri Lanka und zurück, 100 000 Kilometer.

Mit der Bahn hoffentlich.

Mit zwei Landrovern. Diese Reise hat mich sehr geprägt. Ich komme aus den Vereinigten Staaten, wo die Menschen ein schlichtes Gemüt haben. Das 18. Jahrhundert ist für uns eine längst vergangene Zeit, an die niemand mehr denkt. Plötzlich war ich in Gegenden, die seit Tausenden von Jahren von Kulturvölkern besiedelt sind. In Afghanistan las ich, dass 50 verschiedene Zivilisationen dieses Land beherrscht haben – noch vor den Russen. So bekam ich ein ganz anderes Verständnis für die langzeit liche Dynamik gesellschaftlicher Entwicklung. Als ich zurück am MIT war und die Chance hatte, solche Langzeitthemen zu bearbeiten, fand ich das wahnsinnig interessant.

Herr Meadows, in Deutschland ist die Wirtschaft seit 1990 um 50 Prozent gewachsen, während der Energieverbrauch konstant blieb. Könnte das weltweit Schule machen?

Was in Deutschland und Japan geschieht, ist leider die Ausnahme. Der Rest der Welt tickt anders. Im Übrigen: Wenn man die Energie mitrechnet, die für die Herstellung jener Waren verbraucht wird, die Deutschland aus China und anderen Ländern importiert, ist die Bilanz viel schlechter. Ohnehin stehen viele Schwellenländer erst am Beginn ihrer Industrialisierung, insofern ist ihr Energieverbrauch nicht mit dem in Deutschland vergleichbar.

Manche argumentieren so: All unsere Anstrengungen, den Ausstoß von Treibhausgasen zu senken, sind nutzlos, weil allein der Zuwachs in China unsere Einsparungen um ein Vielfaches überschreitet.

Diese Leute wollen nur ihre geschäftlichen Interessen schützen. Ihr Argument ist schon deshalb falsch, weil die Minderung der Emissionen nicht nur dem Klimaschutz dient, sondern auch den Energieverbrauch senkt, was ganz unabhängig vom Klimaproblem langfristig viel Geld spart.

Im Rückblick, was war Ihr größter Fehler?

Wir haben die Eigendynamik der ökologischen Zerstörung unterschätzt. In unseren Modellen wurden die Umweltschäden automatisch geringer, wenn wir eine Minderung der Produktion annahmen. Beim Klimawandel erfahren wir nun: Selbst wenn der weltweite CO2-Ausstoß sofort auf null fallen würde, könnte der schon begonnene Klimawandel sich beschleunigen, weil es Effekte der Rückkoppelung gibt. Ist zum Beispiel die Eisdecke in der Arktis erst mal weg, dann nimmt die dunkle Wasseroberfläche dort viel mehr Wärme auf, die Erwärmung geht weiter ... Und es gibt noch viele solcher Mechanismen.

Könnte es sein, dass das Ökosystem der Erde viel widerstandsfähiger ist als angenommen und dass die Menschheit weit innovativer und flexibler ist, als Sie denken?

Ja. Das hoffe ich sogar. Nur sind Hoffnungen eine schwache Basis für politisches Handeln. Staaten ziehen ja auch nicht in den Krieg nur mit der Hoffnung, es werde schon irgendwie gut gehen, sie rechnen mit einem Sieg. Ich halte es eher mit dem Prinzip der Pokerprofis: Wer es sich nicht leisten kann zu verlieren, der sollte nicht spielen. Und was das globale Ökosystem angeht, können wir uns wirklich nicht leisten zu verlieren.

Große Hoffnungen gibt es nun in Amerika. Das Land bekommt einen neuen Präsidenten, und das britische Magazin „Economist“ titelte: „Die große Erwartung“. Sind Sie auch enthusiastisch?

Zunächst mal: 47 Prozent der Wähler entschieden sich für McCain. Das bedeutet, ein großer Widerstand bleibt. Ich war ganz stark für Barack Obama. Doch ich bin unsicher, was er leisten kann. Er erbt so viele Probleme, dass er womöglich all seine Zeit dafür braucht, aus dem Irak rauszukommen und mit einer Staatsverschuldung fertig zu werden, die jetzt doppelt so groß ist wie vor acht Jahren. Da fällt es schwer, magische Veränderungen etwa beim Klimaschutz zu erwarten. Obama hat zumindest den Vorteil, dass er nicht mit dem Geld der Ölkonzerne gewonnen hat. Er muss allerdings Gesetze durch einen Kongress bringen, wo viele Abgeordnete und Senatoren die Interessen der Öl- und Autoindustrie verteidigen.

Sie sind ein knochenharter Pessimist.

Nein, ich bin nur realistisch veranlagt. Ich habe ursprünglich Betriebswirtschaft studiert, ich bin gelernter Manager. Und ich kenne das System in Washington.

Wenn Sie Obamas wichtigster Berater wären, was würden Sie empfehlen?

Es gibt keinen Zauberknopf, auf den ich drücken könnte. Es muss immer um ein ganzes Bündel von Maßnahmen gehen, und Obama hat in seinem Wahlprogramm viele gute Ideen. Aber es gibt etwas, was essenziell wäre, worüber er nie gesprochen hat: den Zeithorizont! Alle möglichen Lösungen für unsere großen Probleme – Klima, Energie, Verschuldung – beinhalten, dass wir kurzfristig Opfer bringen müssen, damit wir langfristig gewinnen. Wenn wir künftig billigere und saubere Energie haben wollen, müssen wir sie jetzt teurer machen. Wenn wir eine zukunftsfähige Industrie wollen, müssen wir jetzt dafür sorgen, dass auf kurze Frist die Gewinne schrumpfen. Der Zeitraum aller Planung müsste erheblich ausgeweitet werden!

Das klingt fantastisch. Doch im Moment wird nicht mal an übermorgen gedacht.

Diese Orientierung an kurzfristigen Zielen ist nicht naturgegeben! Wenn jemand Kinder großzieht, denkt er auch lange voraus und bringt dafür Opfer. Zur Förderung des langfristigen Denkens gibt es Stellschrauben: zum Beispiel niedrige Zinsen und damit niedrige Gewinnerwartungen. Hohe Renditen verführen Investoren, nur auf kurze Frist zu planen.

Gerade konnte man lernen, dass die vom Ex-Notenbankpräsidenten Alan Greenspan verfügten niedrigen Zinsen die Finanzkrise erst heraufbeschworen haben.

Und warum? Nur, weil er andere nötige Regulierungen unterlassen hat. Eine weitere nötige Änderung für die Zukunft wäre, nicht mit jedem neuen Präsidenten die gesamte Führungsriege des Landes auszuwechseln. All diese Leute haben zwangsläufig eine kurze Perspektive und wiederholen oft nur die Fehler ihrer Vorgänger. Eine weitere Möglichkeit wäre die Einsetzung eines Rats aus Experten für Nachhaltigkeit, der völlig unabhängig von der Regierung ist und wichtige Veränderungen öffentlich fordern darf.

Derzeit fordert Obama etwas: Milliardensubventionen – ausgerechnet für die Autoindustrie.

Mag sein. Ich höre andererseits aus dem privaten Bekanntenkreis, dass Obama wirklich smarte Leute engagiert, um wichtige Behörden zu leiten. Die Richtung stimmt jedenfalls.

Wirklich? Ihre zentrale Forderung lautet: Wir sollten lernen, mit weniger Konsum zu leben.


Wir werden sowieso bald weniger konsumieren müssen. Ich sage nur, es wäre besser, wir änderten freiwillig unseren Lebensstil, damit es uns nicht unglücklich macht, wenn es erzwungen wird.

Sie glauben tatsächlich, der Kapitalismus könnte sich den ökologischen Notwendigkeiten anpassen?

Ja sicher. Es geht nicht um den Kapitalismus an sich, sondern um das politische System, das ihn steuert. Wenn wir Regierungen hätten, die – unterstützt von ihren Wählern – entschlossen sind, Nachhaltigkeit in der Wirtschaft durchzusetzen, dann geht das auch, ohne den Kapitalismus als solchen abzuschaffen. Davon bin ich überzeugt.

Die Partei der Grünen erlebte hierzulande ein schönes Desaster, als sie einmal forderte, der Preis für einen Liter Benzin solle durch Steuern auf fünf D-Mark angehoben werden. Die Leute wollen solche Botschaften nicht hören.

Weil sie in einem Käfig der Verdummung gefangen sind. Wenn wir wirklich einige mutige Führer hätten, die den Menschen jeden Tag erklären, dass der Wandel zwingend nötig ist und …

… Sie wünschen sich eine Art Ökodiktatur?


Gewiss nicht. Die Geschichte zeigt, dass Diktaturen auf Dauer nicht funktionieren. Die Sowjetunion ist der herausragende Fall. Leider funktionieren die Demokratien derzeit auch nicht gut.

Die Nachhaltigkeit unseres Lebensstils lässt sich mit dem sogenannten ökologischen Fußabdruck eines Menschen messen. Der weltweite Durchschnitt liegt derzeit bei 2,7 Hektar pro Kopf, obwohl eigentlich nur 2,1 Hektar für jeden zur Verfügung stehen. Der Durchschnittswert für einen Inder liegt bei einem Hektar, für jeden US-Bürger dagegen bei 9,4. Haben Sie je Ihren eigenen berechnet?

Ja, das habe ich mal gemacht. Im Prinzip lagen ich und meine inzwischen verstorbene Frau gut. Wir ernährten uns vegetarisch, das meiste kam aus dem eigenen Garten. Das Auto ist alt und steht die meiste Zeit nur rum. Doch meine vielen Flug reisen versauen meine Bilanz und bringen mich auf einen Spitzenwert. Doch ich sage Ihnen: Die Zeiten der massenhaften Flugreisen sind bald zu Ende. Auch für mich persönlich. Dies wird wohl meine letzte Vortragstournee sein.

Haben Sie ein schlechtes Gewissen, oder sind Sie frustriert?


Ich steige aus dem Geschäft aus, mit Reden ein Publikum zu unterhalten. Das können inzwischen andere auch. Ich verbringe den Rest meines aktiven Lebens lieber damit, Materialien für die Ausbildung junger Leute herzustellen.

Stehen Sie manchmal in einem Kaufhaus und entscheiden sich bewusst gegen ein Produkt, weil es Verschwendung wäre?

Ehrlich gesagt, ich gehe so selten wie möglich in Shopping-Malls, weil sie mich deprimieren. Einkaufen ist dort Selbstzweck, der Kauf selbst gibt den Menschen ein gutes Gefühl. Außerdem halte ich mich strikt an die Regel: Wann immer ich etwas Neues anschaffe, muss ich etwas vom Alten rauswerfen. Und ich mag meine alten Sachen. Dieser Anzug hier ...

... dunkle Nadelstreifen, elegante Weste ...


...ist ziemlich abgenutzt. Ich gehöre zu den seltenen Exemplaren, die nur eine Kreditkarte und keine Schulden haben.

Sind Sie manchmal froh, dass Sie schon 66 sind und nicht mehr erleben müssen, wie die Welt möglicherweise in Trümmer zerfällt?


Im Gegenteil. Ich verfolge mit großer Spannung, wie die Dinge sich jetzt entwickeln. Die meisten Wissenschaftler, die 50-Jahres-Prognosen machen, leben nicht lang genug, um zu sehen, ob sie richtig lagen. Ich habe das Glück, dass ich das meiste noch erleben werde, falls mir noch zehn Jahre bleiben.

Das Gespräch führten Harald Schumann und Norbert Thomma

Dennis Meadows, 66, machte 1972 mit der Studie „Grenzen des Wachstums“ weltweit Furore; sie wurde in 35 Sprachen übersetzt und machte den Auftraggeber „Club of Rome“ berühmt.Bis heute beschäftigt sich der US-amerikanische Wissenschaftler mit den großen Zukunftsfragen der Menschheit.

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