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© Kleist-Heinrich

Interview: Guttenberg: "Man darf nicht in Angststarre verfallen"

Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg bemüht sich im Gespräch mit dem Tagesspiegel um Zuversicht. Bei Opel ist für ihn noch alles offen.

Herr Minister, Sie sind erst seit knapp fünf Monaten Bundeswirtschaftsminister und schon einer der beliebtesten deutschen Politiker. Wo liegen Ihre Defizite?

Diese Krise ist aufgrund ihrer internationalen Verflechtung so komplex, dass wohl jeder, der in einer solchen Situation Politik macht, ständig mit Entwicklungen konfrontiert ist, die er noch nie erlebt hat. Man muss bereit sein, konstant dazuzulernen und neu zu denken. Ich bemühe mich nach Kräften, die Nöte der Menschen ernst zu nehmen und trotzdem nicht Maßstäbe über den Haufen zu werfen. Und selbstverständlich habe ich, wie jeder andere auch, Defizite.

Das Kabinett hat eine Finanzplanung beschlossen, die mit neuen Schulden von 300 Milliarden Euro jedes Maß sprengt. Wie bedrohlich ist eine solche Entwicklung?

Die neuen Schulden sind Ausdruck einer dramatischen Krise. So große Zahlen darf man nicht auf die leichte Schulter nehmen, aber erdrücken lassen sollte man sich davon auch nicht. Die Schulden sind einerseits Folge der Krise und andererseits in ihrer Begründung auch Teil ihrer Lösung. Die Stimulierung der Wirtschaft mit Konjunkturprogrammen und verantwortbaren Entlastungen ebnen den Weg nach vorn.

Der Bundesfinanzminister sagt, an Steuersenkungen sei nun nicht mehr zu denken.

Natürlich darf keine Partei jetzt Hochglanzmagazine vorlegen, die den Wählern unrealistische Versprechungen machen. Aber in Angststarre zu verfallen braucht man auch nicht.

Wann darf denn der Wähler mit Steuersenkungen rechnen?

Die Minderung der kalten Progression werden wir in der nächsten Legislaturperiode kurzfristig anzugehen haben. Alle Schritte sind am Maßstab der Machbarkeit und der Vernunft auszurichten. Die Schuldenbremse im Grundgesetz zwingt alle Parteien zum Augenmaß. Ich bin aber zuversichtlich, dass es uns gelingen kann, der Aufgabe der Haushaltskonsolidierung nachzukommen und Steuersenkungen über die kalte Progression hinaus zu realisieren.

Wer soll entlastet werden?

Die Leistungsträger der Gesellschaft dürfen nicht das Gefühl haben, dass sie alle Lasten aufgebürdet bekommen. Wer ein Einkommen hat und sich anstrengt, morgen mehr zu verdienen als heute, dem darf der Staat nicht überdurchschnittlich viel wegnehmen. Sonst lohnt sich die Anstrengung nicht. Durch die kalte Progression bereichert sich der Staat seit Jahren. Das muss aufhören.

Die Schuldenbremse zwingt den Bund, bis 2013 rund 35 Milliarden Euro einzusparen. Sollten wir nicht ehrlicherweise von Steuererhöhungen statt -senkungen sprechen?

Jede Steuererhöhung ist eine Wachstumsbremse und führt letztlich nicht dazu, die staatlichen Haushalte zu konsolidieren. Deshalb bin ich ganz entschieden gegen jede Anhebung von Steuern.

Dann muss bei den Sozialleistungen gespart werden.

Bevor wir über Kürzungen fabulieren, sollten wir alles versuchen, um unser Wachstum wieder in Schwung zu bringen. Dadurch werden wir unsere Einnahmen erhöhen, die Grundlage unserer Sozialleistungen sind.

Was heißt das konkret?

Es wird die Aufgabe der nächsten Bundesregierung sein, den Haushalt zu konsolidieren und trotzdem die Leistungsträger der Gesellschaft nicht zu entmutigen. Wir werden auch nach der Bundestagswahl die gründliche und ernsthafte Debatte darüber fortführen müssen, was wir uns leisten können und was wir uns leisten wollen.

Sie haben über Schwarz-Grün gesprochen, Ihr Parteifreund Peter Ramsauer stellt infrage, dass bei einer schwarz-gelben Regierung Guido Westerwelle Außenminister wird. Hat die Union die Vorfreude auf eine Koalition mit der FDP verlassen?

Ein Bündnis mit den Grünen ist im Herbst mit diesem grünen Programm und diesen handelnden Personen nicht denkbar. Allein die begrenzte Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke, für die ich eintrete, wäre mit den Grünen nicht machbar. Die FDP ist nach wie vor unserer Wunschpartner. Das heißt aber nicht, dass wir deren Hausaufgaben machen müssen. Das Haushalts- und Finanzprogramm der FDP zeigt viel hübsches Wunschdenken einer Opposition, das es im Fall einer Regierungsbeteiligung auf das realistisch Machbare zurechtzuschneiden gilt.

Werden wir in den kommenden Monaten einen Anstieg der Arbeitslosigkeit auf fünf Millionen erleben, wie ihn die OECD vorhersagt?

Das sehe ich nicht. Wir haben mit der Verlängerung der Kurzarbeit ein wichtiges Signal gesetzt. Nach unserer Prognose werden wir dieses Jahr im Durchschnitt 3,7 Millionen Arbeitslose haben. Im kommenden Jahr rechnen wir allerdings mit einem deutlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit, die dennoch bei Weitem nicht die Zahlen der OECD erreicht.

Ist die Bankenkrise nach nunmehr fast einem Jahr überwunden?

Die Banken erleben eine Vertrauenskrise, und Vertrauen kann nicht von heute auf morgen zurückkehren. Die Weichen sind gestellt, aber wir müssen weiterhin wachsam sein.

Stellen die Banken der Wirtschaft genügend Kredite zur Verfügung?

Von einer flächendeckenden Kreditklemme kann man nicht sprechen. Es gibt regional und in einzelnen Bereichen, etwa in der Exportwirtschaft, durchaus Liquiditätsengpässe. Aber das darf nicht als Entschuldigung für zuweilen schlechte Unternehmensführung herhalten. Manche Banken legen heute ein Stück weit die Sorgfalt an den Tag, die wir uns viel früher gewünscht hätten.

Nachdem Sie gegen Staatsbürgschaften für Opel und Arcandor votiert haben, soll nun Quelle in der Insolvenz einen Kredit erhalten, um den Weihnachtskatalog zu drucken. Erklären Sie uns das bitte?

Ein Massekredit ist ein spezifisches Instrument in der Insolvenz. Eine Bürgschaft für Quelle war – entgegen manchen Wunschvorstellungen – klar abzulehnen. Bei einem Massekredit ist zu gewährleisten, dass die gegebenen Mittel wieder aus der Insolvenzmasse zurückfließen. Er dient zur geordneten Gestaltung des Insolvenzverfahrens und ist im Übrigen noch nicht die von manchen bereits propagierte dauerhafte Rettung eines Unternehmens.

Geht es vielleicht auch darum, 6000 Jobs in Bayern vor der Wahl nicht zu gefährden?

Nein, im Falle eines gesicherten Massekredits fließt das Geld ja wieder zurück, und es werden auch die Möglichkeiten und Chancen des Insolvenzverfahrens eröffnet. Ich lege großen Wert darauf, dass es keine Sonderbehandlungen gibt. Wir haben eine Verantwortung für Steuergelder und müssen daher nach klaren Kriterien prüfen. Aber wir haben auch die Pflicht, gegenüber den betroffenen Menschen keine verantwortbare Chance zu vertun, um ihre Arbeitsplätze zu erhalten.

Im Fall Opel scheint wieder alles offen zu sein – teilen Sie diese Einschätzung?

Während der Verhandlung eines rechtlich nicht verbindlichen Memorandums ist naturgemäß noch alles offen. Wir haben noch keine tragfähige Lösung. Allerdings ist die Lage alles andere als ausweglos. Neben dem Magna-Konsortium sind unter anderem der chinesische Autohersteller BAIC und auch der Finanzinvestor Ripplewood weiterhin nachhaltig interessiert.

Wie lange reicht der Überbrückungskredit des Bundes?

Das hängt von mehreren Faktoren, aber auch vom Geschäftsgebaren Beteiligter ab. Jedenfalls halte ich angesichts der Finanzlage des Unternehmens für dringend geboten, noch im Sommer eine tragfähige Lösung zu finden.

Sie haben sich selbst als ordnungspolitische Stimme in der Bundesregierung bezeichnet. Wird diese Stimme gehört?

Durchaus. Ich vertrete meine Position, wo ich kann. Ich bin aber auch anderen Argumenten zugänglich, wenn sie nicht rein wahlkampfstrategischen Motiven entspringen.

Das Interview führten Antje Sirleschtov und Moritz Döbler

DER POLITIKER

Karl-Theodor zu Guttenberg hat bereits eine steile Karriere hinter sich. 2002 und 2005 hat er den Wahlkreis Kulmbach für die CSU gewonnen. Im Bundestag erarbeitete er sich einen soliden Ruf als Außenpolitiker. Trotzdem galt die Berufung des CSU-Bezirkschefs von Oberfranken zum Generalsekretär im November 2008 als Überraschung. Nur rund 100 Tage später wurde er als Wirtschaftsminister vereidigt, nachdem Michael Glos zurückgetreten war.

DER PRIVATMANN

Der 37-Jährige ist promovierter Jurist. Mit seiner Frau Stephanie, geborene Gräfin von Bismarck-Schönhausen, hat er zwei Kinder. Vor seiner Politkarriere hat er das Vermögen seiner Familie verwaltet und als Journalist gearbeitet. Tsp

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