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Interview mit Marko Bösing: "Verdi ist ein behäbiger und schwerfälliger Koloss"

Marko Bösing, Vorsitzender und Mitbegründer der FairTK, im Gespräch mit Tagesspiegel.de über die Hausgewerkschaft der Techniker Krankenkasse, die Probleme mit Verdi und die Tarifeinheit in den Unternehmen.

Herr Bösing, zwei Jahre FairTK. Wie sieht Ihre Bilanz der alternative Gewerkschaft der Techniker Krankenkasse aus?

Sehr positiv. Wir haben Mitgliederzuwächse. Wir haben mittlerweile 3400 Kollegen überzeugen können. Verschiedene Tarifverträge wurden abgeschlossen und sind innerhalb des Unternehmens in jeglicher Hinsicht akzeptiert.

Wie sehen diese Tarifverträge aus und worin unterscheiden die sich von den herkömmlichen Tarifabschlüssen der Großgewerkschaften?

Einmal haben wir den Lebensarbeitszeittarifvertrag abgeschlossen, den es, nach unserer Kenntnis, in der Form sonst nirgendwo gibt. Wobei dazu erklärt werden muss, dass es sich um eine gemeinsame Anstrengung mit dem Arbeitgeber handelt. Da steckt von beiden Seiten viel Arbeit drin. Es handelt sich um ein sehr komplexes Werk. Die Arbeitgeberseite hat dafür auch vertragliche Fachkompetenz eingekauft, um den Abschluss für beide Seiten gerecht hinzukriegen. Natürlich haben wir auch ganz normale Gehaltstarifverhandlungen abgeschlossen. Was da anders war? Wir haben unsere Mitglieder vorher befragt über ein Online-Formular und so deren Wünsche berücksichtigt. Das war ein Fingerzeig für die Richtung unserer Verhandlungen. Auch das Ergebnis wurde über unsere Website von den Mitgliedern bestätigt.

Das legt die Vermutung nahe, dass sie näher an ihren Mitgliedern dran sind als herkömmliche Gewerkschaften. Ist das der wichtigste Unterschied, zum Beispiel zu Verdi?

Das ist der wesentliche Unterschied, dass wir die Dinge regeln können, die uns direkt betreffen. Wir können schneller handeln und sind nicht irgendwelchen dogmatischen Betrachtungsweisen unterworfen. Unsere Mitglieder kennen uns und wir kennen sie. Wir wissen wo sie der Schuh innerhalb der Firma drückt.

Was waren die Gründe damals die FairTK zu gründen? Wie kam es zur Neugründung?

Das war ein langer Prozess. Es hatte sich viel Unmut angestaut und letzten Endes gab es einen bestimmten Tarifvertrag, der das Fass zum Überlaufen brachte. Der Prozess hat sich dahingehend gestaltet, dass sich unsere Hoffnung, dass Verdi eine schlagkräftige Gewerkschaft wird mit neuen Strukturen, die sich den veränderten Zeiten anpassen würden, zerschlagen hat. Verdi stellte sich eher als ein behäbiger schwerfälliger Koloss dar, wo leider Gottes auch noch unfähige Leute dazukommen. Eine unglückliche Mischung. Wir haben am Ende einfach festgestellt, dass wir unsere Arbeit, nämlich für unsere Leute gute Arbeitsbedingungen zu schaffen, in den Strukturen nicht ausführen konnten. Wir sind in diesem Rahmen eher verheizt und alleine gelassen worden. Für Verdi waren wir wiederum zu klein, als dass sie bereit gewesen wären da was zu verändern. Viele Dinge, die wir jetzt machen, wären auch unter Verdi möglich gewesen, aber da gab es kein Durchkommen bei den Betonköpfen.

Nun sprechen sie durchaus für ein großes Unternehmen mit rund 10.000 Arbeitnehmern. Ist das vielleicht das grundsätzlich Problem, dass sich die Arbeitnehmervertreter in den Betrieben in einer Großgewerkschaft wie Verdi nicht richtig vertreten fühlen?

Was wir festgestellt haben: Neben anderen Faktoren geben wir unseren Mitgliedern eine Identifikation. Wir sind TK-Arbeitnehmer, die sich um ihre Arbeitsbedingungen kümmern. Wir erleben ja in der Gesellschaft, dass Gewerkschaften rückläufige Mitgliederzahlen haben. Gerade junge Arbeitnehmer kann man nicht mehr damit locken, dass es früher ganz wichtige Gewerkschaften gab, dass diese ganz wichtig für die Gesellschaft waren. Auf die Fragen der jungen Arbeitnehmer haben die herkömmlichen Gewerkschaften oftmals keine Antwort. Wir haben bei uns jetzt die neuen Azubis eingestellt und von denen konnten wir gleich in der ersten Woche 65 für die FairTK gewinnen. Das sind fünfzig Prozent. Und nur, weil sie erfahren, dass sind Kollegen, die was für ihre Kollegen tun. So kann man auch jüngere Arbeitnehmer für die Gewerkschaft begeistern, aber nicht mit den althergebrachten Methoden.

Ein großer Erfolg, gerade die Jungen zu begeistern.

In der Tat. Das geht aber nur, weil sie das Gefühl haben sich an etwas zu beteiligen, wozu sie auch stehen können.

Wie ist denn die Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber, der Techniker Krankenkasse?

Die ist geprägt von gegenseitigem Respekt, aber sicher auch nicht konfliktfrei. Beide Seiten wissen jedoch auch darum, dass sie bestimmte Aufgaben haben. Wir können uns aber auch darauf verlassen, dass wir keinen Arbeitgeber haben, der darauf aus ist Mitarbeiterausbeutung zu betreiben, um es mal krass zu formulieren.

Können Sie sich vorstellen, dass das Modell der FairTK Schule machen könnten? Wäre es auch auf andere Betriebe übertragbar?

Das Modell kann, sicherlich unter anderen Rahmenbedingungen, für die Zukunft funktionieren. Man sieht das ja bei uns. Was wir sicherlich auch nicht begrüßen ist, wenn sich einzelne Mitarbeitergruppen verselbstständigen. Das ist für uns der falsche Weg. Aber dass sich einzelne Betriebe auf die eigenen Beine stellen und ihr Schicksal in die Hand nehmen, wird wahrscheinlich der einzige Weg sein, damit Gewerkschaften künftig weiter existieren können.

Sie stehen also zu der Tarifeinheit. Ein Tarifvertrag für ein Unternehmen?

Auf jeden Fall. Wobei natürlich besondere Berufsgruppen innerhalb des Tarifvertrages gesondert berücksichtigt werden müssen. Das ist eine Frage der Vernunft der Tarifparteien. Das gilt für Gewerkschaften genauso wie für die Arbeitgeberseite. Wenn sie exponierte Arbeitnehmer haben müssen diese auch entsprechend berücksichtigt werden und sie nicht zwingen sich selbst zu organisieren.

Eine Aufsplittung innerhalb der Gewerkschaft wäre kein Modell, das für sie Sinn machen würde?

Das würde dazu führen, dass die Arbeitnehmerschaft aufgespalten würde. Das halte ich für den falschen Weg. Man sollte sich innerhalb des Unternehmens zusammenschließen, gegebenenfalls auch unter einem Dachverband. Wir sind Kooperationspartner in der GdS, sodass wir jetzt nicht unsolidarisch sind und uns nur um uns kümmern. Aber wir arbeiten als Arbeitnehmervertreter zu anderen Konditionen, die einfach zeitgemäßer sind.
(Die Fragen stellte Markus Mechnich)

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