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Wirtschaft: "Irgendwann ist der Tank dann einfach leer"

Der Kostenfaktor Angst wird vielfach unterschätzt / Die Deutsche Bank erprobt die "Breuer-Hotline" zur internen InformationVON ANJA BROCKMANNLothar Wacker wirkt angespannt.Kerzengerade sitzt er auf seinem Stuhl, ganz vorne auf der Kante.

Der Kostenfaktor Angst wird vielfach unterschätzt / Die Deutsche Bank erprobt die "Breuer-Hotline" zur internen InformationVON ANJA BROCKMANNLothar Wacker wirkt angespannt.Kerzengerade sitzt er auf seinem Stuhl, ganz vorne auf der Kante.Seine Hände suchen Halt an dem Kugelschreiber, dessen Mine er unaufhörlich heraus- und wieder hineindrückt."Sehen Sie", sagt er mit einem bemühten Lächeln, "der Kostenfaktor Mensch ist eben teuer geworden, und unterm Strich muß was übrig bleiben".Es ist der lakonische Ton in seiner Stimme, der aufhorchen läßt. Seit 30 Jahren vertritt Wacker als Betriebsrat die Interessen der Beschäftigten in der Kölner Filiale der Deutschen Bank AG.Eine Aufgabe, die immer schwieriger wird.Denn seit Anfang der 90er Jahre wird bei der größten deutschen Privatbank radikal rationalisiert.Allein in den letzten fünf Jahren sind von den ehemals 60 000 Stellen im Inland 10 000 gestrichen worden.Jetzt sollen erneut 5000 Stellen in Deutschland abgebaut werden.Wo und wie - darüber verhandeln Konzernführung und Betriebsrat in diesen Tagen in Frankfurt (Main). "Das wird auch dieses Mal gestandene Mitarbeiter treffen, qualifiziertes Personal, an dem die Bank eigentlich interessiert ist", meint Lothar Wacker.Die Zusage der Konzernleitung, den Abbau durch die normale Fluktuation bewältigen zu können, hält er für unrealistisch."Wir sind an einem Punkt angelangt, wo auch betriebsbedingte Kündigungen nicht mehr auszuschließen sind", befürchtet Wacker.Nun setzt er all seine Hoffnung auf die geplante Zusammenarbeit mit einem Zeitarbeitsunternehmen, durch das die vom Stellenabbau betroffenen Mitarbeiter weiter beschäftigt werden sollen und in einigen Jahren vielleicht sogar wieder in das Unternehmen eingegliedert werden könnten. Von dem neuerlichen Personalabbau haben die meisten Beschäftigten der Bank Anfang Februar aus der Zeitung erfahren.Die Konzernführung hatte die Pläne zunächst heftig dementiert.Seit der Bekanntgabe hat der Druck in den Filialen zugenommen.Nur ja nicht auffallen, so die Devise unter den Mitarbeitern, und wenn doch, dann nur positiv.In vielen Bereichen der Bank werde verstärkt Mehrarbeit geleistet, ohne das auch zu dokumentieren, berichtet Lothar Wacker.Ein Verhalten, das nach Ansicht des Betriebsrates wenig Aussicht auf Erfolg hat: "Wenn wir uns von Leuten trennen müssen oder von Bereichen, wird es eine Sozialauswahl geben.Und dann kommt es nicht darauf an, ob und wie lange jemand zusätzlich gearbeitet hat." Doch Argumente sind hier fehl am Platz.Schließlich geht es um ein menschliches Urgefühl: Angst.Und über die Angst um den Arbeitsplatz mag keiner gerne reden, schon gar nicht öffentlich.Auch - nennen wir ihn so - Gerhard Müller nicht.Seit über 30 Jahren ist der Kaufmann bei der Deutschen Bank beschäftigt.Jetzt bangt er um seine Zukunft.Denn mit 53 Jahren, so befürchtet er, ist er zu alt für ein Unternehmen, das sich radikal verjüngen will.Die Aussicht auf eine Abfindung kann Gerhard Müller nicht beruhigen.Denn von den 300 000 DM, die er im günstigsten Fall erwartet, blieben ihm nach Abzug der Steuern bis zur Rente bestenfalls 2000 DM im Monat.Wie er damit seine Familie versorgen und das Studium seines Kindes finanzieren soll, weiß er nicht, ganz zu schweigen von der Hypothek, die auf seinem Haus liegt.Jetzt bangt Müller, daß er die nächste Rationalisierungswelle bei der Deutschen Bank unbeschadet übersteht."Die Zeit arbeitet für mich", sagt er verbittert."Jedes Jahr, das ich hier noch arbeiten kann, hilft mir ein bißchen weiter." Wie Gerhard Müller geht es vielen deutschen Arbeitnehmern.Knapp 68 Prozent aller Beschäftigten nannten die Angst, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, an erster Stelle noch vor der Angst vor Krankheit oder Unfall, so das Ergebnis einer Studie, die der Kölner Wirtschaftswissenschaftler Wolfgang Stegmann zusammen mit dem Soziologen Winfried Panse bereits 1996 durchführte.Angesichts der aktuellen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt dürfte das Umfrageergebnis heute noch drastischer ausfallen.Die Folgen dieser Angst: Schlaflosigkeit, Denkblockaden, Depressionen und andere seelische Beschwerden.Nicht selten greifen die Betroffenen dann zu Medikamenten oder Alkohol.Nach Angabe der AOK hat die Zahl der psychischen Erkrankungen in den letzten Jahren erheblich zugenommen.Eine Untersuchung beim Landesverband Hamburg hat ergeben, daß inzwischen 60 Prozent der Krankmeldungen auf Diagnosen ausgestellt sind, hinter denen Angst vermutet wird. Die Angst um den Verlust des Arbeitsplatzes ist verbunden mit einer extremen Angst davor, Fehler zu machen.Mediziner sprechen bereits von einer neuen Dimension des Leistungsdrucks.Die Folgen sind schwerwiegend: langfristige Erkrankungen, angefangen bei Rückenschmerzen, Magenproblemen und Hauterkrankungen bis hin zum Herzinfarkt.Der Grund: ein genetisches Programm, das bei Angst automatisch abläuft und dem Körper ständig zusätzliche Energien bereitstellt."Ein angstgeplagter Mensch ist zu vergleichen mit einem Autofahrer, der seinen Wagen stundenlang mit Vollgas laufen läßt, ohne einen Gang einzulegen.Das Auto bewegt sich keinen Zentimeter nach vorn, doch ist irgendwann der Tank leer", erklärt Wolfgang Stegmann. Nach Beobachtungen Stegmanns wird in deutschen Unternehmen zunehmend auch mit Angst gewirtschaftet; Mitarbeiter würden bewußt unter Druck gesetzt.Schuld daran seien unter anderem die immer kürzer laufenden Manager-Verträge: "Mit der Verpflichtung, möglichst viel Erfolg zu haben, pressen einige halt das raus, was rauszukriegen ist aus dem Unternehmen, lassen sich dann einen Abfindungsvertrag geben und gehen ins nächste Unternehmen." Durch den Druck auf die Mitarbeiter kann die Leistung zwar für kurze Zeit ansteigen.Doch sei diese Methode keinesfalls erfolgreich, wie der Heidelberger Verhaltensforscher Felix von Cube betont: "Wenn jemand Angst hat, dann zieht er sich zurück, ist bloêkiert.Mitarbeiter, die um ihren Arbeitsplatz bangen, wagen daher nichts, sie verrichten nur Routinearbeit, bringen aber keine Innovationen." Die Folgen dieser langfristigen Leistungsminderung muß letztendlich auch der Arbeitgeber bezahlen.Nach den Berechnungen von Stegmann und Panse entsteht der deutschen Wirtschaft jährlich ein Schaden von 100 Mrd.DM dadurch, daß mit Ängsten nicht richtig umgegangen wird.Ein Betrag, "den man besser in neue Arbeitsplätze investieren sollte", meint Stegmann. Patentrezepte zum Angstabbau gibt es nicht.Das Wichtigste sei jedoch Transparenz.Unternehmenspolitik, da sind sich die Experten einig, dürfe niemals heimlich geschehen."Je eher die Beschäftigten eines Unternehmens wissen, wer von einem anstehenden Personalabbau betroffen ist, desto besser", meint Wolfgang Stegmann.Um so schneller seien alle anderen Mitarbeiter von der Angst um den Arbeitsplatz befreit. Auch bei der Deutschen Bank wird seit einiger Zeit die interne Kommunikation groß geschrieben.So wurde probeweise in den Filialen in München und Essen ein "Business"-TV eingerichtet, das die Mitarbeiter am frühen Morgen mit den wichtigsten Nachrichten aus der Konzernführung versorgt.Vorstandssprecher Rolf E.Breuer hat zudem die sogenannte Breuer-Line eingerichtet, eine Art "Hotline", an die sich alle Mitarbeiter via Computer täglich mit ihren Fragen und Sorgen an die Konzernführung wenden können."Alle Anfragen werden prompt bearbeitet", lobt Lothar Wacker.Nur auf Antwort werde man vergeblich warten: "Wenn Sie fragen, ist mein Arbeitsplatz sicher, da kriegen Sie kein Ja, das ist klar."

ANJA BROCKMANN

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