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Doreen Schimke und Bernhard Sonntag

© promo

25 Jahre Deutsche Einheit: Irre Erwartungen

Von Schwaben nach Sachsen: Der DGB-Chef von Bautzen zog nach der Wende vom Westen in den Osten und erlebte einen Kulturschock. Nun ist auch er heimisch geworden.

Für einen Gärtner aus Düsseldorf, der DGB-Sekretär in Waiblingen wurde, war das ambitioniert: „Ich wollte einfach mal in eine Ecke, die Probleme hat“, erinnert sich Bernhard Sonntag. 1990 war er Organisationssekretär beim DGB in der Nähe von Stuttgart; zuvor hatte er Landschaftsgärtner in Düsseldorf gelernt, ein paar Jahre bei der Marine verbracht und war in der Dortmunder Sozialakademie für den Gewerkschaftsjob ausgebildet worden. „Wer hat Lust, ein halbes Jahr Aufbauhelfer zu machen“, wurde 1990 im DGB gefragt. Sonntag hatte Lust. Ehefrau und Kinder blieben im schmucken aber langweiligen Waiblingen zurück, als er am 2. Januar 1991 in Bautzen, in der hintersten Ecke Sachsens, mit dem Aufbau begann.

"Es ist schwieriger, die Leute auf die Straße zu bringen"

Doreen Schimke war schon da. 1970 in Bautzen geboren, hatte sie eine Ausbildung zur Fachkraft für Schreibtechnik in der Konsumgenossenschaft absolviert, dann bis zur Wende bei einer Wohnungsbaugesellschaft als Sekretärin gearbeitet. Drei Monate war Schimke 1990 arbeitslos, dann bildete sie mit dem Westimport Sonntag das Regionalbüro Bautzen des DGB. Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik, Frauenförderung und Aktionen gegen Neonazis prägen seitdem ihren Alltag. Dass Schimke hier gelandet ist, „war reiner Zufall“. Sie hatte sich einfach mal beworben, war Gewerkschaftsmitglied seit 1986 und erfüllte eine der wichtigsten Einstellungsbedingungen: „Nicht zu schnell schwanger werden“, erinnert sich Schimke. Sie hat Wort gehalten – die Tochter kam erst 2007 auf die Welt.

„Heute sind die Leute nicht mehr so negativ gegen den DGB eingestellt, das war schon mal schlimmer“, erinnert sie sich an blöde oder zumindest distanzierende Bemerkungen. Inzwischen seien die Menschen „älter und reifer geworden“. Allerdings sei es „heute schwieriger, die Leute auf die Straße zu kriegen“. Jedenfalls im Vergleich zu den Nachwendejahren, als Bautzen aufstand und sich gegen die Treuhand wehrte, weil die das Mähdrescherwerk schließen wollte.

Ein ostdeutscher Kulturschock

Damals brach im alten FDGB-Haus die Wohnzimmerschrankwand zusammen, als alle Akten eingeräumt waren. Um den Bürobetrieb in Gang zu bringen, konnte Sonntag das Geld des DGB aus dem Westen investieren. Ostern 1991 fragte er seine Frau, ob sie mit den zwei Kindern nicht rüberkommen wolle. Die Antwort war nein, „so entschieden hatte ich sie noch nie erlebt“, erinnert sich Sonntag. Sie kam doch. Die Familie kaufte sich ein altes Haus in Schirgiswalde, kurz vor der tschechischen Grenze, und wurde heimisch. „Hier war es leichter, soziale Kontakte zu bekommen als in Schwaben.“ Im Alltag als Gewerkschaftssekretär hatte Sonntag einen „Kulturschock“ zu verarbeiten: Es gab „irre Erwartungen“ an den DGB und überhaupt an den Staat. „Wir sollten die Arbeitsplatzverluste stoppen.“ Früher habe sich der FDGB-Sekretär gekümmert, wenn im real existierenden Sozialismus etwas nicht funktioniert. Diese Erwartungen hätten die Menschen mitgenommen in die neue Zeit. Der Staat hat dann auch geholfen – mit „segensreichen“ Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen.

„Nazis waren von Anfang an da“

„Nazis waren von Anfang an da“, sagt Sonntag über die rechte Szene in Südostsachsen. Heute gebe es „richtige Strukturen, Kameradschaften vor Ort“. Der Kampf gegen Rechts und Hilfestellungen für die Flüchtlinge stehen im 25. Jahr nach der Einheit auf der DGB-Agenda. „Überall, wo neue Flüchtlingsheime entstehen, wollen wir frühzeitig vor Ort sein“, sagt Sonntag.

Weitere Artikel zum Thema finden Sie auf unserer Themenseite "25 Jahre: Deutsche Einheit".

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