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Der Kernmarke des Konzerns, VW, geht es derzeit schlecht.

© REUTERS/Fabian Bimmer

Jahresbilanz: VW will mehr als Diesel sein

Die Jahresbilanz zeigt: Der Autobauer hat die Abgaskrise bislang gut überstanden – doch die Kernmarke VW rutscht weiter ab

Bei Volkswagen nennt man die Dinge nun beim Namen: Statt wie bislang von der „Diesel-Thematik“ zu sprechen, wechselt man in Wolfsburg sprachlich endlich in den Krisenmodus. „Die Auf- und Abarbeitung der Diesel-Krise hat uns 2016 alles abverlangt“, sagte VW-Chef Matthias Müller am Dienstag bei der Jahrespressekonferenz. Doch obwohl der Autokonzern erst gut ein Drittel der weltweit mehr als elf Millionen manipulierten Diesel-Fahrzeuge repariert hat und mehr als 22 Milliarden Euro an Krisen-Rückstellungen in der Bilanz stehen, glaubt VW, das Gröbste hinter sich zu haben.

2016 sei „viel mehr als Diesel“ gewesen und nicht das „vermeintliche Schreckensjahr“, das man VW vorausgesagt hatte. „Volkswagen ist wieder auf dem richtigen Weg“, glaubt Müller. Das Thema Diesel absorbiere nicht mehr so viel Zeit und Kapazitäten. Der Konzern habe sich „freischwimmen“ können.

Tatsächlich zeigen die Geschäftszahlen, die das Unternehmen teilweise bereits veröffentlicht hat, dass der weltgrößte Autohersteller mit seinen zwölf Marken alles in allem operativ gesund ist – vor allem dank der profitablen Entwicklung von Porsche und Audi. Konzernumsatz (217 Milliarden Euro), Absatz (10,3 Millionen Fahrzeuge) und Gewinn (5,4 Milliarden Euro nach Steuern) sind gestiegen, die Kasse ist voll, die Auftragsbücher ebenfalls. Die operative Rendite stieg von minus 1,9 auf plus 3,3 Prozent.

Großen Anteil daran hat vor allem das Ausland, wo Volkswagen knapp 80 Prozent seines Umsatzes macht, vor allem in China. Dort verkauften die Wolfsburger rund vier Millionen Fahrzeuge, zwölf Prozent mehr als im Vorjahr. VW-Chef Müller sprach von einem insgesamt „bemerkenswert erfolgreichen Jahr“.

So weit der Blick aufs Ganze. Schaut man sich allerdings die Kernmarke VW an, die für die Hälfte des Konzernumsatzes steht, dann sieht die Bilanz weniger positiv aus. VW bleibt das große Sorgenkind. Wenn Matthias Müller davon spricht, dass die Kunden wieder Vertrauen in den Autobauer fassen, kann er VW nicht meinen. Denn die Marke verkaufte weniger Autos (4,3 Millionen), machte weniger Umsatz (105,6 Milliarden Euro) und verdiente weniger (1,9 Milliarden Euro). Die Rendite ist zudem erbärmlich und auf 1,8 Prozent abgerutscht. Markenvorstand Herbert Diess steht unter höchstem Erwartungsdruck, denn er soll VW drehen.

Doch Diess, der 2015 von BMW kam, polarisiert und hat sich in den vergangenen Monaten heftige Auseinandersetzungen mit dem Betriebsrat geliefert. Berichten zufolge soll es im Februar sogar zu einem Diess-Boykott der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat gekommen sein. Der „Zukunftspakt“, den der Konzern mit dem Betriebsrat Ende 2016 vereinbart hat, sieht den Abbau von 30000 Jobs und Effizienzsteigerungen bei VW vor. Bis 2020 soll die Produktivität um 25 Prozent steigen, jedes Jahr sollen die Kosten um 3,7 Milliarden Euro sinken. „Spannungsvoll und etwas holprig“ nannte Diess am Dienstag die Anlaufphase. Beide Seiten stünden aber hinter dem „Pakt“, der richtungweisend sei. Die Umsetzung sei 2016 schneller vorangekommen, als er erwartet habe.

Mit der Strategie „Together 2025“ soll sich der Konzern grundlegend wandeln

Nicht nur für seine Kernmarke hat sich Volkswagen viel vorgenommen. Matthias Müller bekräftigte, dass sich der Konzern mit der Strategie „Together 2025“ grundlegend wandeln werde. „Nicht, weil bislang alles schlecht war“, sagte er. Sondern, weil sich die Autoindustrie in den kommenden zehn Jahren stärker verändern werde als in 100 Jahren zuvor. Elektromobilität, Mobilitätsdienstleistungen, Budget-Car, Digitalisierung und Automatisierung sind nur einige Schlagworte, die auch in Müllers Rede, die er wie üblich Wort für Wort ablas, einen breiten Raum einnahmen.

Auch für den Diesel legte sich Müller ins Zeug, der – „auch durch unsere Mitschuld“ – in Verruf geraten sei. Bei der Reduzierung der CO2-Werte werde er weiterhin „eine fundamentale Rolle“ spielen. Mit Blick auf mögliche Fahrverbote für ältere Dieselfahrzeuge in Großstädten ist Volkswagen im Gespräch mit Wettbewerbern. Diskutiert wird, ältere Wagen mit der Abgasnorm Euro 5 so umzurüsten, damit diese gegebenenfalls mit einer blauen Plakette ausgestattet werden könnten.

Die Deutsche Umwelthilfe kündigte am Dienstag eine weitere Klage gegen das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) wegen der angeblich weitgehenden Unwirksamkeit eines Softwareupdates bei einem Golf 6 Diesel an. „Unsere Softwareupdates sind in Ordnung“, reagierte VW-Chef Müller. Dies habe VW dem KBA mit „tausenden Messungen“ nachgewiesen. „Wir sehen der rechtlichen Auseinandersetzung gelassen entgegen.“

Groß sind die Wolfsburger Zukunftspläne: Noch dieses Jahr will VW über eine Kooperation in der Batteriezellenfertigung entscheiden. Bis Ende kommenden Jahres sollen mehr als zehn elektrifizierte Modelle und bis 2025 mehr als 30 neue, rein batterieelektrische Fahrzeuge auf den Markt kommen. In China prüft VW zusammen mit dem Partner JAC den Bau eines günstigen E-Autos. Mit dem neuen, in Berlin angesiedelten Geschäftsbereich für Mobilitätsdienste MOIA strebt der Konzern langfristige Ergebnisbeiträge „in Milliardenhöhe“ an.

Irritiert zeigten sich einige Journalisten, als Müller auch Fragen zum US-Markt und zur neuen US-Regierung mit einem langen, vorformulierten Text zum Thema Freihandel beantwortete. Auch die neue Vorstandskollegin Hiltrud Werner, nach dem Rückzug von Christine Hohmann-Dennhardt für Integrität und Recht verantwortlich, las eine Antwort auf die Frage nach ihrer Agenda vom Blatt ab. Dies war wohl auch den immer noch anhängigen juristischen Verfahren gegen Volkswagen geschuldet.

Ob sich daraus weitere finanzielle Risiken für den Konzern ergeben, konnte Finanzvorstand Frank Witter nicht abschließend sagen. Der Großteil der milliardenschweren Rückstellungen werde im laufenden Jahr die Liquidität belasten. Diese war mit 27,2 Milliarden Euro allerdings üppig. Nach wie vor üppig fielen auch die Bezüge für den Vorstand aus – wenngleich die Summe gesunken ist. Die neun VW-Vorstände kamen 2016 auf 39,5 Millionen Euro nach 63 Millionen Euro im Jahr zuvor.

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