zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Japanische Wirtschaft: Unternehmenskultur vor dem Umbruch

Es sind mehr als Hiobsbotschaften, die in diesen Tagen und Wochen die Schlagzeilen aller Zeitungen füllen. Es sind Botschaften eines durchgreifenden Wandels, der die japanische Unternehmenskultur in ihren Grundfesten erschüttert.

Es sind mehr als Hiobsbotschaften, die in diesen Tagen und Wochen die Schlagzeilen aller Zeitungen füllen. Es sind Botschaften eines durchgreifenden Wandels, der die japanische Unternehmenskultur in ihren Grundfesten erschüttert. Seit zehn Jahren schon haben sich die Japaner an Nachrichten von sinkendem Wachstum und niedriger Produktion gewöhnt. Gerade hat die Regierung bekanntgegeben, dass die ohnehin spärliche Wachstumsrate des Bruttoinlandsproduktes für den Zeitraum April bis Juni im Vergleich zum ersten Quartal um mehr als ein Prozent schrumpfen werde. Dass sich die japanische Wirtschaft im Abschwung befindet, ist nun offensichtlich.

Nie zuvor hat man in Japan mit ansehen müssen, wie Hunderttausende von Menschen in derart kurzer Zeit mit dem Verlust ihrer Arbeit konfrontiert werden. Die Arbeitslosenquote hat sich kontinuierlich auf den Rekordwert von nun fünf Prozent gesteigert. Unternehmen der notleidenden Elektronikbranche wie Toshiba und Hitachi haben in den letzten Tagen schon umfangreiche Entlassungspläne bekanntgegeben, fast täglich folgen neue. Vor diesem Schreckensszenario haben sich die Koalitionsparteien auf ein Konjunkturprogramm geeinigt, das in erster Linie Arbeitsplätze schaffen soll.

Bisher haben japanische Unternehmen auf sinkende Absatzzahlen mit Kostensenkungen reagiert: Sie kürzten Investitionen und strafften Abläufe in der Produktentwicklung, Fertigung und Distribution. Der Export litt derweil unter dem starken Yen, also reagierten die Unternehmen, indem sie mehr und mehr Produktionsstätten im Ausland, vor allem in den USA und Westeuropa, errichteten. Auch die Verlagerung von Produktionskapazitäten in Billiglohnländer wie China oder die Staaten Südostasiens senkte Kosten. In den mageren neunziger Jahren kam es daher nicht zu Massenentlassungen, sondern man stellte weniger neue Mitarbeiter ein und erprobte Modelle der Frühpensionierung. Diese Maßnahmen griffen die japanische Unternehmenskultur im Kern nicht an.

Zentrum dieser Kultur ist das besondere japanische Personalmanagement, das von drei Säulen getragen wird: dem Senioritätsprinzip bei der Entlohnung und Beförderung, der lebenslangen Beschäftigung und nicht zuletzt den eng mit der Unternehmensführung verbundenen Betriebsgewerkschaften. Diese drei Säulen, die den Arbeitnehmer auf immer mit dem jeweiligen Unternehmen verbanden, sorgten in den Jahren des Wachstums für Harmonie, reibungslosen Produktionsablauf und hohe Gewinne.

Doch während zum Beispiel das Senioritätsprinzip Beförderungen nach Alter und der Dauer der Firmenzugehörigkeit vorsieht, werden in der Krise mehr und mehr individuelle Leistung und Qualifikation Schlüssel des persönlichen Erfolgs sein. Die Kehrseite der Medaille: das äußerst fragile japanische Geflecht von Kompetenzen, Alter und Machtposition wird empfindlich gestört. Der japanischen Unternehmenskultur stehen rasante Veränderungen bevor, mehr und mehr auch nach dem Vorbild westlicher Managementmodelle. An Schlagworte wie Flexibilität und Mobilität werden sich die japanischen Unternehmen wie auch die Arbeitnehmer gewöhnen müssen.

Vor allem die älteren Arbeitnehmer sind von der Entlassungswelle betroffen. Die psychologische Belastung, nach jahrzehntelanger Betriebszugehörigkeit auf einmal vor dem Aus zu stehen, ist hoch. Denn in Japan galt die Firma immer auch als eine Art Familie, in die sich die Arbeitnehmer als Glieder harmonisch einfügten. Gleichzeitig definierte das Unternehmen das gesellschaftliche Ansehen, weit mehr noch als in Deutschland. Die Unternehmen halfen bei der Wohnungssuche, stellten Ferienheime und Sportstätten zur Verfügung und sorgten mit Festen für ein angenehmes Betriebsklima. Wer im Urlaub war, brachte bei der Rückkehr ganz selbstverständlich Geschenke für die gesamte Abteilung mit.

Mit dem Arbeitsplatz verliert ein japanischer Arbeitnehmer nicht nur seine Beschäftigung, er verliert den Großteil seines sozialen Gefüges. Nach und nach melden sich nun Gewerkschaftsvertreter zu Wort, fordern Beschäftigungsprogramme und Modelle westlichen Vorbilds wie Job-Sharing und verkürzte Arbeitszeiten. Experten diskutieren in den Medien auch Modelle deutschen Vorbilds wie das Bündnis für Arbeit. Der Wille ist da, unterstützt vor allem durch die Hoffnung auf die Reformen der Regierung. Ob die japanische Gesellschaft bereit ist für diesen Wandel, werden die nächsten Monate zeigen.

Ulrike Haak

Zur Startseite