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Michael C. Burda. „Amerika kommt wieder“

© Thilo Rückeis

Michael C. Burda: "Jeder, der ein iPhone besitzt, sollte sich schämen"

"Die Deutschen können damit leben. Amerika ist nicht mehr der Nabel der Welt." US-Ökonom Michael C. Burda über die Schwäche der Vereinigten Staaten und die Folgen für Deutschland.

Herr Burda, während in Deutschland die Wirtschaft boomt, kommt Amerika nicht aus der Krise. Wie konnte das passieren?
Die USA leiden stärker unter den Folgen der Weltfinanzkrise als die Bundesrepublik. Dort hat ja alles begonnen, und es ist viel mehr Geld verloren gegangen als hier. Amerika hat zwar einen Aufschwung, er ist aber eher bescheiden und wackelig.

Lange galten die USA als das dynamischste Land der Welt, das Krisen schnell abschüttelt. Gilt das heute nicht mehr?

Alle haben jahrelang über ihre Verhältnisse gelebt, jetzt sind sie hoch verschuldet. Die Haushalte sparen und versuchen, aus den Hypotheken auszusteigen. Shoppingtouren, sonst eine Stütze des Wachstums, kann sich kaum einer leisten. Und die Unternehmen, vor allem der Mittelstand, bekommen keine Kredite von den Banken, die legen ihr Geld lieber in Staatsanleihen an. Entsprechend wenig wird investiert.

Die Regierung hat ein Konjunkturprogramm von 800 Milliarden Dollar aufgelegt, zugleich flutet die Notenbank Federal Reserve das Land mit billigem Geld. Warum wirkt das nicht?

Die USA haben sich zunächst darauf konzentriert, die Banken zu retten. Das war auch richtig. Nach Finanzkrisen dauert es immer eine gewisse Zeit, bis die Wirtschaft wieder anspringt. Da nützt es nichts, dass die Fed ihre Bilanz seit 2008 verdreifacht und die Hypotheken im Finanzsystem quasi verstaatlicht hat. Das ist eine Situation wie in den dreißiger Jahren.

Viele Ökonomen befürchten ein erneutes Abgleiten in die Rezession, ein Double Dip. Sie auch?

Das ist durchaus möglich. Die Amerikaner haben momentan viel Pech auf einmal: Der Ölpreis ist immer noch hoch, die Konsumenten sind vorsichtig, Barack Obamas Gesundheitsreform verunsichert die Wirtschaft. Die Stimmung ist sehr schlecht, ich war gerade zweieinhalb Wochen dort. Ohne eine Durststrecke wird es nicht gehen. Kommt ein weiterer Schock hinzu, gibt es ein dickes Problem.

Washington streitet über ein weiteres Konjunkturpaket. Wäre das sinnvoll?

Diese Programme sind nur ein Pflaster, mit dem eine offene Wunde besser heilt. Die Grundprobleme, die immense Verschuldung und die angeschlagenen Banken bleiben aber. In Japan in den neunziger Jahren war es ähnlich. Dort hat ein Konjunkturprogramm das nächste abgelöst, das hat den Banken aber nicht geholfen. Am Ende stand Deflation. Washington sollte es anders machen. Eine Abwertung des Dollar würde den USA mehr nutzen, dann käme der Export in Schwung.

Dass momentan jeder zehnte Erwachsene keinen Job hat, dürfte für Amerika schwer zu ertragen sein.

Es ist ein Drama. Die Menschen sind jetzt im Schnitt länger als sechs Monate arbeitslos. Das kennt man aus Europa, aber für Amerika ist es neu. Viele haben aufgegeben, weil sie schlecht ausgebildet sind und bestenfalls einen schlecht bezahlten Job bekommen würden. Zugleich haben einige Unternehmen Probleme, Fachkräfte zu finden. Die Verlängerung des Arbeitslosengeldbezugs von 26 auf 99 Wochen durch die Obama-Regierung war ein Fehler.

Was hätte Obama besser machen müssen?

Er konnte wenig tun. Obama musste die Suppe auslöffeln, die ihm Vorgänger George W. Bush eingebrockt hat.

Was bedeutet die US-Schwäche für Deutschland und die Weltwirtschaft?

Auch wenn es mit den USA frühestens im nächsten Jahr besser wird: Die Deutschen können damit leben. Amerika bleibt zwar die größte Volkswirtschaft, ist aber nicht mehr der Nabel der Welt. Wenn China, Indien, Brasilien und die kleinen Länder Asiens weiter in dem Tempo wachsen, verschieben sich die globalen Gewichte. Im Moment läuft dort alles sehr gut. Das ist auch gut für die exportstarken Deutschen.

Die Hegemonie der USA stützte sich immer auf ihre wirtschaftliche Stärke. Erleben wir das schleichende Ende der Pax Americana?

China ist immer noch ziemlich arm – Schanghai sieht zwar aus wie New York, aber gehen Sie mal in die Provinzen. Wenn China im bisherigen Tempo wächst, wird es meiner Berechnung zufolge in 20 Jahren die Pro-Kopf-Wirtschaftleistung von Portugal erreichen. Die USA werden vorerst an der Spitze bleiben, auch wegen ihres schnelleren Bevölkerungswachstums. Indien hat eher die Chance, nach oben zu kommen. Das ist eine stabile Demokratie, die aber ihre Ungleichheit und ihr Bildungsproblem in den Griff bekommen muss. Dann ist vieles möglich.

Im Moment sieht es aber so aus, als sei der Kommandokapitalismus chinesischer Prägung obenauf, nicht der US-Kasinokapitalismus mit Markt und Deregulierung, den Ronald Reagan eingeführt hat.

Sie sollten die Staaten nicht abschreiben. Amerika kommt wieder, sobald die Exzesse verarbeitet sind. Das sage ich nicht, weil ich US-Bürger bin. Die Kombination aus politischer und wirtschaftlicher Freiheit ist ein einzigartiges Erfolgsrezept. Die weltwirtschaftliche Dynamik der letzten 200 Jahre kam aus Amerika, warum sollte das ausgerechnet jetzt vorbei sein? In China wird sich vieles ändern. Heute werden die Arbeiter ausgebeutet wie im Frühkapitalismus, jeder, der ein Apple iPhone besitzt, sollte sich schämen. Irgendwann werden dort Gewerkschaften entstehen, eine andere Partei wird an die Macht kommen, es wird Instabilität geben.

Auch Amerika kämpft mit sozialen Problemen. Jeder achte Bürger, jedes vierte Kind lebt mittlerweile von Essensmarken.

Es gibt zu wenig Jobs, und viele werden von ihren Schulden erdrückt. Ihre Häuser sind weniger wert als ihre Hypotheken, aber man scheut sich, das Haus der Bank zu überschreiben – dann würde es nie wieder einen Kredit oder eine Kreditkarte geben. Das schafft Immobilität. Viele warten verzweifelt darauf, dass es besser wird, um Verluste zu vermeiden.

Ist der amerikanische Traum in Gefahr, der Aufstiegs-Mythos vom Tellerwäscher zum Millionär?

Bei der Vermögensverteilung ist die Schere lange Zeit auseinandergegangen. Aber nach der Krise haben viele Reiche viel Geld verloren, die Ungleichheit hat sich sogar reduziert. Bei den Einkommen ist es ähnlich, die Boni fallen bescheidener aus, und der Finanzsektor schrumpft. Im unteren Bereich steigen die Löhne sogar. Überhaupt ist der Glaube an den Aufstieg viel stärker als die Realität. Amerika ist voller Einwanderer, die wegen dieses Traums gekommen sind. Und es gelingt ja auch – wer aus Somalia kommt und in den USA Taxi fährt, hat seine Lebensbedingungen um das 20-Fache verbessert.

Griechenland ist wegen seiner Finanzen von den Märkten abgestraft worden. Ist Amerika angesichts seiner zwölf Billionen Dollar Staatsschulden noch kreditwürdig?

Zugegeben, das ist eine enorme Summe – aber angesichts der Wirtschaftsleistung von 14 Billionen Dollar tragbar. Trotzdem ist die Verschuldung eine immense Gefahr, vor allem, wenn man die Verbindlichkeiten von Haushalten und Unternehmen hinzurechnet. Zudem könnten die Garantien für die Banken, die der Staat übernommen hat, fällig werden. Ohne ein wenig Inflation wird es nicht gehen.

Sie setzen auf schleichende Entschuldung?

Die Fed sitzt auf einem Pulverfass, sie hat so viel Geld in den Markt gedrückt wie noch nie. Irgendwann, wenn die Wirtschaft wieder wächst, werden die Banken dieses Geld als Kredite ausreichen. Über steigenden Konsum und Investitionen – oder durch höhere Importpreise – werden dann die Preise anziehen, möglicherweise um 20 oder 30 Prozent in fünf Jahren. Das hat Nachteile, aber einen Vorteil: Man kommt relativ schnell und geräuschlos von den Schulden herunter.

Dann stürzt der Dollar-Kurs ab.

Wenn die Kreditgeber das ahnen, werden sie möglicherweise fluchtartig den Dollar verlassen. Eine Abwertung hilft aber auch dem Export. In den siebziger Jahren hat Amerika sein Schuldenproblem schon einmal über Inflation gelöst.

Eine Sanierung zulasten Europas?

Tja. Europa ist hoffentlich so stark, dass es das aushält. Deshalb sollten die Euro- Länder zusehen, dass sie ihre eigenen Probleme in den Griff bekommen.

Ist die Schuldenkrise bewältigt?

Nein. Es hat sich wenig geändert, schon in einigen Wochen kann es wieder brisant werden. Mit dem Rettungspaket haben sich die Europäer nur Zeit gekauft. Griechenland hat noch eine Schonfrist von zweieinhalb Jahren. Aber der Sparkurs wird kaum reichen, um das Defizit in den Griff zu bekommen. Wenn es Athen mit den Reformen nicht gelingt, kommt es am Ende doch zu einer Umschuldung.

Das Gespräch führte Carsten Brönstrup

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DER AMERIKANER

Michael C. Burda (51) stammt aus New Orleans. Seit 1993 lehrt er Wirtschaftstheorie an der Berliner Humboldt-Universität, seit 2007 zusätzlich an der European School of Management and Technology am Schlossplatz. Er ist einer der wenigen US-Bürger, die an einer deutschen Hochschule unterrichten.

DER FORSCHER

Harvard-Absolvent Burda beschäftigt sich vor allem mit Makroökonomie, dem Arbeitsmarkt und der Transformation Osteuropas nach dem Ende des Kommunismus. Es drängt ihn gleichwohl nicht in die erste Reihe der Berater. Als er 2003 gefragt wurde, ob er Mitglied im angesehenen Wirtschafts-Sachverständigenrat der Bundesregierung werden wollte, lehnte er ab.

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