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Wirtschaft: Joachim Fiedler

Geb. 1909

Kakteen auf dem Alexanderplatz, dazwischen ein ausgebleichter Rinderschädel. Als er neun war, haben sie ihn angepiekst und nicht mehr losgelassen. Sein erster Kaktus war eine argentinische Rebutia, klein wie er, kugelig und mit knallroten Blüten. Die Rebutia blüht oft und schön, sie braucht nicht viel, ein bisschen Wasser im Sommer, einen kühlen Ort im Winter. Als Joachim Fiedler neun war, ging gerade der Erste Weltkrieg zu Ende. Schönheit war rar und Bescheidenheit sehr gefragt.

Der Junge fing an zu sammeln. Mit zwölf hatte Joachim Fiedler 3000 Kakteen, später 30000, einige meterhoch und zentnerschwer. Sie machten ihn bekannt in Ost-Berlin und später in der ganzen Stadt: Er war der „Kakteen-Gärtner vom Alex“. Sommer um Sommer bepflanzte er die Beete am Bahnhof, bis dort 1997 Straßenbahngleise verlegt wurden. Er bekam Medaillen von der DDR, später von der Grünen Woche, und 1999 das Bundesverdienstkreuz. Dafür hat er sich schick gemacht, sonst hielt er von Äußerlichkeiten nicht viel.

Die Prinz-Heinrich-Mütze auf dem Kopf, kam Fiedler ins Gartenamt Mitte. Briefe und Telefon waren seine Sache nicht. Er sah die Leute lieber, mit denen er sprach, sprang vor deren Schreibtischen hin und her und fuchtelte mit den Armen: „Im nächsten Jahr, da mach ich euch…“ Und was er machte, war auf keinen Fall ein Beet, das aussah wie ein Beet. Wo früher rote Blumen von gelben ordentlich getrennt wuchsen, schüttete er Sand auf und stellte große und kleine Pflanzen hin, Azaleen, Opuntia, stachelige Riesen und kleine Kakteen, deren Dornen wie puschelige Federn aussahen, dazwischen Steine. Sogar ein ausgebleichter Rinderschädel lag einmal auf dem Alexanderplatz. Es sollte aussehen wie in der Wüste Mexikos. Seit 1976 bepflanzte Joachim Fiedler den Alex mit seinem exotischen Durcheinander.

Leute vom Gartenbauamt haben Fiedler geholfen, die mächtigen Kakteen zu verfrachten. In Holzwolle und Papier waren die gewickelt, die Helfer trugen dicke Handschuhe. Fiedler nicht. Er hatte dicke Schwielen an den Händen. Den Helfern zeigte Fiedler, wie sie gießen müssen, aber getraut hat er ihnen nicht. Wenn im Gartenamt morgens um halb sieben das Telefon klingelte, wussten die, wer dran ist. Dann war Fiedler um sechs Uhr am Kakteenbeet gewesen und hat den Finger in die Erde gebohrt. Falsch gegossen! Nur die Blätter besprüht, statt die Wurzeln zu wässern.

Joachim Fiedler musste 21 Jahre alt werden, volljährig, bis er Florist lernen konnte, davor hatte er auf Wunsch des Vaters eine Druckerlehre gemacht. Und wie bei der Rebutia, die massenweise Sprossen bildet, wenn sie nach langer Dürre viel Wasser bekommt, hatte Fiedler jede Menge Ideen, Pläne, Energie, als er endlich machen konnte, was er wollte. Seit 1924 arbeitete er mit Fleurop zusammen, nach dem Zweiten Weltkrieg baute er auf seinem Grundstück in Mahlsdorf eine Gärtnerei mit drei Gewächshäusern auf. Fiedler sammelte, was rumlag, Eisenstangen, Zaunreste, Findlinge und arrangierte seine Pflanzen drumherum. Was er verdiente, reichte gerade so fürs Leben. Seine Familie musste da mit, manchmal mit kalten Füßen. Klagen wollte er darüber nicht hören. Zähigkeit, Bescheidenheit, das hat er nicht nur an seinen Kakteen geliebt, so hat er auch selbst gelebt. Aber er hat oft gesagt, dass er das alles ohne seine Frau nicht geschafft hätte. Die Urkunde zum Verdienstkreuz hat er, als sie starb, durchgeschnitten und eine Hälfte zu ihr in den Sarg gelegt.

Die Gärtnerei in Mahlsdorf steht noch da, Wind und Regen zausen die niedrigen Gewächshäuser, die Tische sind leer, die Pflanzen verschenkt. Auf dem Boden stapeln sich Blumentöpfe, winzige und riesige. Die Tür zu Fiedlers Häuschen steht offen, Laub liegt rotgolden im Flur. Im Garten rostet eine Hollywoodschaukel, Gras und Büsche wuchern über Steinplatten, die zur Straße führen. Und da liegt auch der ausgebleichte Rinderschädel von der Alexanderplatz-Prärie. Er ist nass, es regnet.

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