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Hohe Fluktuation. Vollzeit arbeiten bei den Bekleidungsketten nur die wenigsten, meist diejenigen in höheren Funktionen.

© picture alliance / dpa

Jobs im Textil-Einzelhandel: Teilzeit ist in Mode

Die Bekleidungskette Primark stellt hunderte Mitarbeiter für eine Filiale in Berlin ein. Auf die Teilzeitkräfte warten harte Jobs.

Von Maris Hubschmid

Bald dürfte sich die Situation in öffentlichen Verkehrsmitteln im Raum Steglitz entspannen: Anfang Juli eröffnet am Alexanderplatz die zweite Filiale der irischen Modekette Primark. Die Horden von Jugendlichen, die mit ausladenden, vollbepackten Papiertüten erschöpft in Busse und Bahnen fallen, werden sich dann also auf Ost- und Westteil der Stadt verteilen. Primark ist ein Erfolgsmodell – das Geschäft am Alex wird die 13. deutsche Filiale binnen vier Jahren, mehr als 6000 Euro setzen die Iren jährlich pro Quadratmeter Verkaufsfläche um. Der neue Standort hat davon 5000. Eine Nachricht überrascht dann aber doch: Mehr als 700 Mitarbeiter will Primark für den zusätzlichen Laden einstellen.

Was machen die da? Von Primark gibt es binnen zwei Werktagen leider keine Antwort. „Es ist irre, was Primark pro Tag an Kunden durchschleust“, versucht Axel Augustin, Geschäftsführer beim Bundesverband des Deutschen Textileinzelhandels, eine Erklärung. „Die Ware ist extrem billig, also greifen die Menschen in großen Mengen zu. Da muss schneller mal ein Stapel neu geschichtet und Ware nachgelegt werden.“ Das Unternehmen habe für diese Tätigkeiten sehr wahrscheinlich mehr Personal als andere. Zudem seien immer fünf Kassen oder mehr in Betrieb. Aber 700 Mitarbeiter? Das kommt selbst dem Fachmann „doch sehr viel vor“.

Wie ist eine deutsche Modefiliale organisiert? Die Händler sind zurückhaltend mit Informationen über ihre Strukturen und Bedingungen. In einer mittelgroßen Filiale des schwedischen Händlers H & M in Hamburg komme man auf etwa 50 Mitarbeiter, sagt eine Beschäftigte. 70 seien es in der Zara-Filiale am Berliner Tauentzien, schätzt ein Angestellter.

Die wenigsten Mitarbeiter verdienen nach Tarif

Die Aufgaben für Verkäufer in Geschäften großer Ketten wie H & M, Zara oder Mango sind vielseitig. Im Umkleidebereich muss Kleidung, die anprobiert und verworfen wurde, in Form gebracht werden. Oft lassen Besucher Ware oder Müll in den Kabinen liegen. Wer als „Springer“ eingeteilt ist, wie die Bezeichnung bei Zara lautet, räumt Kleidung zurück in den Verkauf. Andere füllen Produkte aus dem Lager nach oder sortieren Neuware ein. Die muss vorher elektronisch gesichert, in vielen Fällen auch aufgebügelt werden. Der „Durchräumer“ hat dafür zu sorgen, dass alles adrett am richtigen Platz ist. Dazu kommen die Jobs an der Kasse.

Nach Tarif verdienen Verkäufer in Vollzeit 1825 Euro im Monat – den zahlen zum Beispiel H & M, C & A und Zara*. Vollzeit arbeiten aber nur die wenigsten, meist diejenigen, die höhere Funktionen bekleiden – Filialleiter, Stellvertreter, Abteilungsleiter oder Hauptkassierer. Bei Zara gibt es dazu einen „Merchandiser“, der dafür verantwortlich ist, die Neuware zu platzieren. Aushilfen machen aber meist den Großteil der Beschäftigten aus. „Der klassische Einzelhandelskaufmann ist vom Aussterben bedroht. Das Personal benötigt keine großen Fachkenntnisse, da auf Service weitestgehend verzichtet wird“, sagt eine führende Mitarbeiterin des Unternehmens Bestseller, zu dem Vero Moda gehört. Meistens seien nur die Shopmanager und die wenigen Vollzeitkräfte ausgebildet. „Die Fluktuation ist enorm hoch.“

Änderung: In einer vorherigen Textversion hieß es, Zara zahle seit April dieses Jahres nach Tarif. Das Unternehmen stellt richtig, dass Zara schon seit 1999 nach Tarif bezahlt. Seit April 2014 gilt aber für alle rund 4000 Beschäftigten verbindlich die Tarifbindung. Mit der Gewerkschaft Verdi wurden in diesem Zusammenhang unter anderem höhere Sonntagszuschläge und neue Arbeitszeitregelungen ausgehandelt.

Das Personal zahlt für die Verdrängungsschlacht der Anbieter

Schon lange gehört der Textilhandel zu den Branchen mit den meisten Teilzeitkräften. „Viele würden gerne mehr arbeiten“, kritisiert Ulrich Dalibor von der Gewerkschaft Verdi. „Je mehr Teilzeitkräfte ein Laden hat, desto flexibler kann er die Abläufe gestalten“, erklärt Verbandschef Augustin. H & M beschäftigt Aushilfen auf flexibler Stundenbasis – mindestens zehn pro Woche, maximal 19,9. Eine ungelernte Kraft verdient 8,50 Euro in der Stunde. Zara vergibt nach Mitarbeiterangaben Teilzeitverträge über 15, 20, 25 oder 30 Stunden. Er habe in seiner mehrjährigen Arbeit bei Zara die Erfahrung gemacht, dass 30-Stunden-Kräfte, die gehen, meist durch zwei 15-Stunden- Kräfte ersetzt würden, sagt der Berliner Zara-Mitarbeiter. Auch so steigen die Mitarbeiterzahlen über die Jahre stetig.

Der Tarifvertrag schreibt bezahlte Krankheitstage, Sonntagszuschläge, bezahlten Urlaub und Weihnachtsgeld vor. Etliche Firmen der Branche sind jedoch nicht tarifgebunden. TK Maxx, Vero Moda, Mango und New Yorker sind einige davon. Auch für Primark gibt es keinen Tarifvertrag. In Nordrhein-Westfalen wurde die Billigkette Kik 2009 wegen „sittenwidriger Bezahlung“ ihrer Beschäftigten verurteilt. Die ist gegeben, wenn die örtlichen Tariflöhne um 30 Prozent oder mehr unterschritten werden.

„Der Einzelhandel liefert sich eine Verdrängungsschlacht“, sagt Ulrich Dalibor von Verdi. Überall werden neue Flächen geschaffen, der Umsatz der Branche verändert sich aber kaum. Folglich tragen die Händler ihren Kampf über längere Öffnungszeiten und niedrigere Preise aus. Beides sei nur mit geringen Personalkosten zu leisten. „Umsatz, Umsatz, Umsatz ohne Rücksicht auf Verluste“, beschreibt eine langjährige Zara-Mitarbeiterin die Firmenphilosophie. „Wenn man denkt und nachfragt oder Dinge einfordert, gilt man schnell als schwieriger Mitarbeiter.“ Die Händler locken Arbeitssuchende mit anderen Mitteln: Mitarbeiterrabatte sind die Regel und gerade für junge Menschen, die in den Billig-Modeketten einkaufen, ein Anreiz. Bei Zara erhalten Mitarbeiter eine Provision. Wie hoch die ausfällt, hängt von den Verkaufszahlen und der geleisteten Stundenzahl ab. „Bestenfalls sind das nochmal 300 Euro.“

Das Durchschnittsalter ist extrem jung

Was auffällt: Das Durchschnittsalter im Textileinzelhandel ist niedrig. Bei H & M liegt es aktuell bei 29,4 Jahren, Primark und andere bewegen sich noch darunter. Die Unternehmen achten bei der Auswahl darauf, dass das Personal zu Zielgruppe und Mode passt. Offiziell gibt es keine Altersbegrenzung nach oben. Die befragten Mitarbeiter kennen auch keinen Fall, in dem Kollegen wegen ihres Alters aus dem Job gedrängt wurden. Vielleicht regelt sich das von selbst: Zwar könne man binnen anderthalb Jahren vom Verkäufer zum Filialleiter werden, sagt der Zara-Angestellte, Aufstiegschancen habe man darüber hinaus aber kaum. „Die Jobs im Textileinzelhandel sind körperlich sehr anspruchsvoll“, sagt Verdi-Mann Dalibor.

Bei Primark ist das Arbeiten auf jeden Fall ein Kampf. „Null Toleranz: Keine Kleidung auf dem Boden!“, mahnen Schilder in den Personalräumen nach Berichten ehemaliger Mitarbeiter. Für den Eröffnungstag im Juli wird ein Ansturm auf die neue Filiale erwartet. Gewerkschaftsmann Dalibor glaubt: „Wenn Primark so viele Mitarbeiter anheuert, dann viele vielleicht nur für den ersten Ansturm.“

Und tatsächlich: Auch in Köln, wo im Mai die deutschlandweit größte Filiale von Primark eröffnet wurde, heuerte das Unternehmen eine ähnlich hohe Zahl an Mitarbeitern an. 50 von ihnen waren zwei Wochen später schon nicht mehr dabei.

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