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Wirtschaft: Kapern mit Kalaschnikow

In Filmen sind sie romantische Helden, für viele Reeder bittere Wirklichkeit: Piraten machen die Meere immer unsicherer. Auch deutsche Schiffe sind betroffen

Düsseldorf - Die Piraten kamen mit Schnellbooten. Sie enterten die „MV Inabugwa“ über das Heck, zerrten den Kapitän von der Brücke und zwangen die Mannschaft, Kurs auf den malaysischen Hafen Pasir Gudang zu nehmen. Dort entluden sie den Frachter, brachten das leere Schiff zurück auf See – und verschwanden.

Dies ist keine Szene aus einem amerikanischen Action-Film. Sie hat sich tatsächlich ereignet, am 22. April des vergangenen Jahres. Und sie stellt nur einen von 276 Piratenangriffen dar, die das Schifffahrtbüro der Internationalen Handelskammer (IMB) 2005 registriert hat.

Die Piraten von heute haben nicht mehr viel mit den Bildern gemein, die man aus Abenteuerromanen oder Errol-Flynn-Filmen kennt: Totenkopfflagge, Kopftuch und Augenklappe sucht man genauso vergeblich wie einen krächzenden Papagei auf der Schulter. Doch das Prinzip bleibt das gleiche: Die Piraten entern Handelsschiffe, berauben die Mannschaft, nehmen Wertsachen oder Ladung mit.

Das wichtigste Revier der modernen Piraten ist das südostasiatische Meer um Indonesien. Rund 100 Fälle wurden dem IMB im vergangenen Jahr von dort gemeldet, in den Jahren zuvor waren es noch mehr: 2003 und 2004 gingen jeweils mehr als 150 Meldungen ein. Für den Rückgang machen Experten vor allem die Tsunami-Welle verantwortlich, die Ende 2004 über die Region schwappte. „Da sind wohl auch einige Räuber oder zumindest ihre Schiffe weggespült worden", sagt Detlef Meenke, Sicherheitsexperte vom Verband Deutscher Reeder in Hamburg.

Er beschäftigt sich mit der seit einigen Jahren wieder erstarkten Piraterie, weil auch deutsche Schiffe angegriffen werden, allein 19 im vergangenen Jahr. „Im Prinzip werden alle Arten von Schiffen überfallen“, sagt Meenke, „unabhängig von Typ oder Größe.“

Südostasien ist bei Piraten vor allem deshalb so beliebt, weil hier auf dichtem Raum einige der wichtigsten Handelsrouten der Welt verlaufen, viele davon durch enge Wasserstraßen. „In den Meerengen müssen die Schiffe ihr Tempo wegen des starken Schiffsverkehrs und des geringen Tiefgangs oft drosseln“, erklärt Meenke. „Dann sind sie ein leichtes Opfer für Piraten.“ Die Piraten in dieser Gegend seien geübte Seefahrer. „In der Inselwelt Südostasiens haben sie es relativ einfach, sich der Verfolgung zu entziehen.“

Als besonders kritischer Punkt gilt die Straße von Malakka, die zwischen Malaysia, Indonesien und Singapur hindurch- führt und an ihrer engsten Stelle gerade anderthalb Seemeilen breit ist. 50 000 Schiffe müssen hier pro Jahr durch.

„Die Malakka-Straße ist ein Nadelöhr", sagt Peter Roell, Piraterie-Experte vom Institut für Strategie-, Politik-, Sicherheits- und Wirtschaftsberatung (ISPSW) in Berlin. „Durch sie gehen ein Viertel des Welthandels und die Hälfte der weltweiten Öltransporte.“ Roell schätzt, dass erheblich mehr Schiffe überfallen werden, als in den offiziellen Statistiken zu lesen ist. Viele Schiffseigner machten Überfälle nicht öffentlich, um die Versicherungsprämien nicht in die Höhe zu treiben.

Roell und andere Sicherheitsexperten warnen seit Jahren vor einem Horror-Szenario: Terroristen könnten sich in die Besatzung eines Öltankers einschleichen, das Schiff unter ihre Kontrolle bringen und in einem Hafen oder einer Meerenge zur Explosion bringen. „Es ist wahrscheinlich, dass so etwas passiert“, sagt Roell. Die Auswirkungen für Umwelt und Wirtschaft wären fatal. „Wenn ein Hafen wie Singapur für längere Zeit geschlossen werden müsste, würde das 200 Milliarden US-Dollar pro Jahr kosten“, warnt Roell. Bei einer Blockade der Malakka-Straße müssten die Schiffe zwei Tage Umweg in Kauf nehmen, was die Unternehmen acht Milliarden Euro pro Jahr kosten würde. Der Ölpreis würde sprungartig steigen, die Versicherungsprämien für die Reeder in die Höhe schießen.

Eine wirksame Überwachung auf See gibt es bisher kaum. Jahrelang konnten sich die Anrainerstaaten nicht auf gemeinsame Kontrollen einigen. Erst jetzt haben Indonesien, Malaysia und Singapur erklärt, in gefährlichen Gewässern zusammen patrouillieren zu wollen.

Ein wirksamerer Schutz scheitert auch daran, dass die wirtschaftlichen Schäden für die einzelnen Reedereien und Staaten bislang vergleichsweise gering sind. Die meisten Piraten-Überfälle werden nicht von Terroristen, sondern von Kleinkriminellen verübt. Oft sind es Fischer oder Hafenarbeiter, die sich mit der Piraterie ein Zubrot verdienen. „Gerade in Indonesien werden die sozialen Verhältnisse offenbar immer schlechter“, sagt Meenke. „Da bringen auch schon kleinere Beutebeträge einen erklecklichen Zugewinn.“

Doch auch organisierte Verbrecherbanden gehören zu den Piraten. Im Gegensatz zu den Kleinkriminellen sind sie bestens ausgerüstet, verfügen über Schnellboote und Maschinenpistolen. „Eine Schnellfeuerwaffe wie die AK47 ist hier leicht zu haben“, erklärt Wilfried Herrmann, der die moderne Piraterie seit Jahren von Bangkok aus untersucht. Die Besatzung kommt bei den Überfällen trotzdem meist glimpflich davon. Verletzte oder gar Tote gibt es nur selten.

Immer häufiger nehmen organisierte Banden aber die Mannschaft als Geisel und erpressen vom Schiffseigner Lösegeld. 440 Seeleute traf dieses Schicksal allein im vergangenen Jahr. Besonders häufig sind solche Entführungen an der Küste Somalias. Im dem afrikanischen Land haben regionale Kriegsfürsten die Macht übernommen. Die schwer bewaffneten Banden, die Frachter und Fischkutter überfallen, sind oft in ihrem Auftrag unterwegs. Im vergangenen November griffen somalische Seeräuber zum ersten Mal ein Kreuzfahrtschiff an: Von zwei Schnellbooten aus feuerten sie mit Granaten und Gewehren auf die amerikanische „Seabourn Spirit“. Das Schiff konnte entkommen, weil es ein Waffensystem an Bord hatte, das Lärmwellen auslöst und so bei den Angreifern starke Schmerzen verursacht. Experten halten das Beschallungssystem allerdings auf Dauer für wenig sinnvoll. Die Piraten werden sich schnell darauf einstellen können.

Um Ladung und Mannschaft trotzdem schützen zu können, greifen die Reeder deshalb immer häufiger auf die Dienste privater Sicherheitsfirmen zurück. „Das sind im Prinzip Söldner“, meint Experte Herrmann. Der Einsatz solcher Leute sei sehr umstritten, weil sie rechtlich keine Erlaubnis haben, Piraten zu verhaften und offiziell nicht bewaffnet sein dürfen. In den Hoheitsgewässern der Staaten sind dafür nämlich Polizei und Marine zuständig. Aber die sind nur selten in der Nähe, wenn ein Schiff überfallen wird.

So müssen sich die Reeder weiter auf die privaten Sicherheitsdienste verlassen oder auf das Glück, nicht überfallen zu werden. Vollständig beenden lässt sich die Piraterie ohnehin nicht, da sind sich die Experten einig. „Dazu“, sagt Reeder-Vertreter Meenke nüchtern, „müssten wir den weltweiten Schiffsverkehr schon einstellen.“

Stefan Kaiser

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