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Berlin-Adlershof: Fabrik der Intelligenz

In Berlin-Adlershof waren die Lichter des ehemaligen DDR-Forschungs-Campus fast erloschen. Bis einige Wissenschaftler kamen. Sie bauten Institute auf und gründeten Startups. Heute gehört Adlershof zu den Top-Vier-Technologiezentren Deutschlands.

Die Idee kam Marco Köhler auf einer Urlaubsreise in Bangkok. So gut wie nichts verstand er von dem vernuschelten Englisch seines Reiseführers. Auch die Route passte ihm nicht. Viel lieber hätte er selbst bestimmt, welche Touristenattraktionen er sehen wollte. „Man müsste ein handhabbares Gerät entwickeln, das einen individuell durch die Metropolen der Welt führt“, dachte er.

Das war 2005. Vor drei Monaten hat der 35-jährige West-Berliner den „Cruso“ auf den Markt gebracht: ein elektronischer Reiseführer, nicht größer als eine Scheibe Toastbrot, nicht schwerer als ein Taschenbuch. Mit Kopfhörer, eingebautem Bildschirm und Umhängeriemen ist er weltweit der erste audiovisuelle elektronische Touri-Guide – made in Berlin-Adlershof.

Köhler ist einer der zahllosen Existenzgründer, die in den vergangenen Jahren dem Forschungs- und Technologiezentrum im Südosten der Hauptstadt den Aufschwung gebracht haben. 440 Millionen Euro Umsatz haben die insgesamt 400 Firmen dort im vergangenen Jahr gemacht und damit 14 Prozent Wachstum erzielt. Mit seinen 18 wissenschaftlichen Einrichtungen, darunter zwölf Forschungsinstitute für Photovoltaik, Mikrosystemtechnik, IT und Medientechnologie, und den naturwissenschaftlichen Fakultäten der Humboldt-Universität gehört Adlershof zu den Spitzenforschungsstandorten der Republik. Nach Bremen, Frankfurt am Main und München ist der Campus flächenmäßig der viertgrößte Technologiepark Deutschlands.

Rund 200 Sehenswürdigkeiten sind in Köhlers Cruso gespeichert. Auf dem Display erscheinen die touristischen Attraktionen Berlins als Symbol. Per Fingerdruck trägt ein Sprecher Informationen über beispielsweise das Rote Rathaus, das Brandenburger Tor oder das Bode-Museum vor – untermischt mit Musik und O-Tönen historischer Personen: So krächzt vor den Ruinen des Palasts der Republik Erich Honecker dem Touristen ein „Hib, hib, hurra“ auf die „Däutsche Dämokrotische Repoblik“ ins Ohr.

Mit zwei Kollegen entwickelte der Kommunikationselektroniker und studierte Ingenieur Köhler seinen Cruso. Die Grundidee: Einfach zu handhaben sollte er sein. Nicht umsonst nannten die drei ihr Unternehmen „Dreifach – einfach“. „Komplizierte Elektronik gibt es genug im Alltag. Unseren Apparat soll man nach wenigen Minuten begriffen haben“, sagt Köhler.

Mit dem Risikokapital von 150 000 Euro eines Berliner Immobilienhändlers ging es vor zwei Jahren mit drei studentischen Hilfskräften los. Heute hat die Firma 18 Mitarbeiter, die ersten Apparate sind zum Mieten auf dem Markt – bei einem kleinen Shop in der ersten Etage des Fernsehturms Alex. Zwölf Euro kostet die Miete am Tag. Gefertigt wird das Gerät in Marienfelde. Der Hersteller Dorazil ist auch Investor bei Köhlers Firma.

Dessen Pläne sind groß: Neue Investoren, die 460 000 Euro in Dreifach – einfach investieren sollen, sind bereits angesprochen. 40 neue Mitarbeiter, vor allem im Service, sollen bis Ende 2007 eingestellt werden. Crusos für München und Hamburg sind geplant. „Bis Ende des Jahres wollen wir eine Millionen Euro Umsatz machen.“ Durch Engagement, Können und Glück hat Köhler bisher stets neue Geldgeber finden können. Das ist nicht selbstverständlich. Nicht allen Startups ist es in Adlershof so schnell gelungen, neue Finanzgeber zu finden. 1996 gaben noch 13 von damals 203 Unternehmen auf. Im vergangenen Jahr meldeten nur noch drei der 400 Betreiber Konkurs an. Zwar stellt die Beteiligungsgesellschaft der Investitionsbank Berlin (IBB) Kontakte zu den Großen der Venture-Capital-Welt her – sie hat in Adlershof fünf Unternehmen finanziert –, doch kann die Mehrheit der Existenzgründer in der Region nicht auf die Unterstützung der Banken zählen. Auch deswegen findet im Gebäude der „Wista", der Betreibergesellschaft des Technologieparks, einmal im Jahr der European Venture Market (EVM) statt, mittlerweile eine der größten deutschen Eigenkapitalmessen. Noch wichtigere Geldgeber sind laut Wista allerdings Business Angels sowie Familien und Freunde der Firmengründer.

„Letztlich läuft alles über persönliche Netzwerke“, sagt Köhler. Vor allem, was die Entwicklung der Produkte angeht. In dem Gebiet, in das das Fürstentum Monaco zweimal hineinpasst, laufen sich Wissenschaftler und Unternehmer täglich über den Weg, egal, ob in den Forschungseinrichtungen, Verwaltungsgebäuden, Kantinen, Restaurants oder auf den Straßen. Dass Köhler hier so schnell heimisch geworden war, lag auch daran, dass er während seines Studiums als Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut in Adlershof arbeitete. Die Kontakte zu den Entwicklern seines Crusos fand er hier.

Über 1,4 Milliarden Euro sind seit 1991 in den Berliner Vorzeigestandort investiert worden. Er hat sich zu einem Jobturbo entwickelt: 12 750 Menschen sind heute in Adlershof beschäftigt – knapp 1000 mehr als 2005. Zudem kommen 1100 Auszubildende und 6400 Studenten auf den Campus, um zu lernen und zu forschen. Vor allem in der Medienbranche nahm die Zahl der Unternehmen von 124 auf 138 zu, die Zahl der Mitarbeiter wuchs auf 1800 – dort, wo einst die DDR ihre Fernsehproduktionen durchzog, steht heute das Studio Berlin, die Speerspitze der Adlershofer Medienfirmen, das nicht zuletzt durch das TV-Kanzlerduell deutschlandweit bekannt wurde.

Attraktiv für die Firmen sind die günstigen Mieten. Elf Euro kostet der Quadratmeter. In München-Martinsried wird oft das Dreifache verlangt. Dabei ist die Qualität nicht schlechter als bei der westdeutschen Konkurrenz: In Adlershof residieren Max-Planck-Institute, die Fraunhofer-Gesellschaft, das Max-Born-Institut für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Die DLR überwacht von dort aus Sonden, die die Tiefen des Weltalls erkunden, und erforscht intelligente Verkehrslenkungssysteme. Auch die Forschung ist einzigartig: Das Institut Bessy betreibt die einzige deutsche Synchrotronstrahlungsquelle der dritten Generation. Damit können Strukturen von Proteinen und magnetische Eigenschaften von Materialien analysiert werden. Forscher aus aller Welt nutzen diese Quelle.

Allein das Gehalt der Wissenschaftler macht den Unternehmen und Forschungseinrichtungen Sorgen. Manche vom Bund und Land finanzierte Häuser wie die Leibnitz-Institute haben Probleme, attraktive Gehälter zu zahlen. Die Mitarbeiter werden nach dem Tarifvertrag öffentlicher Dienst eingestuft: Während Berufseinsteiger mit weniger als 30 000 Euro brutto im Jahr in Berlin gut leben können, dürften Abteilungsleiter, die möglicherweise Familie haben, mit 50 000 Euro schon weniger froh sein. Die Kollegen in Westen erhalten für den gleichen Job ab 70 000 Euro aufwärts. Auch kleine Firmen in Adlershof stöhnen. Zahlen sie ihren Spitzenleuten 50 000 Euro, sind es in Bayern gleich 30 000 bis 40 000 Euro mehr.

Ob allein familiäre Atmosphäre, hohe Eigenverantwortung und Beteiligung im Erfolgsfall Spezialisten aus dem Westen oder Ausland nach Adlershof locken können, bleibt fraglich. Ein Trost liegt in den günstigen Lebenshaltungskosten Berlins.

Angst, dass die noch wenig konkurrenzfähigen Gehälter, dem Standort auf Dauer schaden können, hat Marco Köhler nicht. Gute Arbeit leisten und damit Adlershof stärken, der Rest kommt dann schon, glaubt er. „Wir möchten möglichst alles hier entwickeln und produzieren lassen“, sagt er. Natürlich träumt er auch von einer weltweiten Vermarktung seines Crusos. Und vielleicht wird er dann doch in China produzieren.

Martin Roos

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