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Berufseinsteiger: Die Coolness-Falle

Viele Hochschulabsolventen zieht es zu angesagten Unternehmen. Doch wenn der Job zum Statussymbol wird, ist oft Selbstausbeutung gefordert. Scheinbar spießige Arbeitgeber haben oft mehr zu bieten

Die Zusage für den Job als Junior-Beraterin in der schicken Hamburger PR-Agentur war für Anita Wachmann (Name geändert) wie ein Sechser im Lotto. Schon während ihres Soziologiestudiums hatte sie in einer Agentur gejobbt, das Ambiente war schick, man prahlte mit Kreativauszeichnungen und predigte Dynamik. Mit Elan stürzte sich Wachmann in die Arbeit, von der mehr als genug da war.

Schnell wurde sie Teil einer Welt von coolen Kreativen, deren ganzes Leben sich in den trendigen Büros abspielte. „Es ist dort eine Art Mode, bis in die Nacht zu bleiben, da bleibt keine Zeit mehr für Freunde“, sagt sie. Auch die Wochenenden verbrachte sie oft im Büro, geriet immer tiefer in die Spirale aus Überstunden und Erfolgsdruck: „Man hat das Gefühl, dass mit dem nächsten Projekt alles steht und fällt, also opfert man sich auf.“

Wachmann ist in die Coolness-Falle getappt. Die Berufseinsteigerin steht für viele, die sich anfangs vom Glanz hipper Unternehmen blenden lassen – und hinterher oft enttäuscht sind. Wenn sie merken, dass sie sich selbst ausbeuten.

Gerade in kreativen Branchen spielen Kultur und Image des Arbeitgebers für die Selbstverwirklichung eine große Rolle. Personalchefs und Karriereberater an Hochschulen berichten einstimmig, wie gierig Absolventen auf hippe Unternehmen sind. Die Posten gelten nicht mehr als Arbeitsplätze, sondern als Statussymbole – wie einst die Rolex oder der Mercedes-Stern. „Das Coole einer lockeren Firma taugt fürs Marketing, zieht Bewerber an und nimmt sie dann in die Pflicht“, sagt Christian Scholz, Personalexperte von der Uni Saarbrücken.

Die Entwicklung kann belebend sein, birgt aber ein enormes Enttäuschungspotenzial. Deshalb raten die Experten jungen Bewerbern, sich nicht blenden zu lassen. Das Attribut „cool“ sei nicht alles, sondern könne schaden. Der Münchener Autor Jakob Schrenk („Die Kunst der Selbstausbeutung“) warnt: „Der Wunsch, einen trendigen Arbeitgeber zu haben, der das eigene Sozialprestige aufwertet, ist nichts anderes als emotionaler Kapitalismus.“ Für einen schicken Arbeitgeber seien die Leute allzu schnell bereit, sich völlig aufzuopfern, und fühlten sich schuldig, wenn sie mal an einem Sonntag den Blackberry ausgeschaltet haben.

Bei den Recherchen zu seinem Buch hat Schrenk festgestellt, dass mit der New-Economy-Blase Ende der 1990er Jahre ein neues Arbeitsmuster entstanden ist. Gerade bei den hippen Unternehmen sei der Arbeitnehmer immer mehr zum Künstler mutiert, der seinen genialen Kopf rund um die Uhr in den Dienst des Unternehmens stellt. Im Gegenzug bekomme er dafür ein entsprechend kreatives Umfeld, das – wie im Falle von Google – manchmal schon an Disneyland erinnert. Schrenk hat auf seinen Recherche-Reisen quer durch die Republik zum Beispiel einen Programmierer von Trickeffekten in Spielfilmen kennengelernt, der schon so manche Nacht im Büro unter dem Schreibtisch geschlafen hat.

Von „Selbstvermarktung“, weniger von Selbstausbeutung, spricht Peter Wippermann, der Gründer des Hamburger Trendbüros: Wer von Projekt zu Projekt springe und dabei imposante Firmennamen im Lebenslauf sammle, investiere gewissermaßen in seine Zukunft. Arbeitskräfte würden nicht mehr für die Anwesenheit bezahlt, sondern für das Denken, sagt Wippermann: „Der Mensch bringt sich ganz ein ins Unternehmen.“ Also verwundere es nicht, dass die Firmen eine Atmosphäre schaffen wollten, die kreativ und kommunikativ wirke.

Wippermann sieht im Kickertisch und in den kostenlosen Massagen in der Mittagspause die Chance, ambitionierte Mitarbeiter zu binden – nicht die Gefahr, Ausbeutung zu verschleiern. Wo es Wellness, Unterhaltung und Ablenkung gibt, bleiben die Leute bei Laune – so seine Gleichung. Feste Posten, vorgezeichnete Karrieren, strenge Arbeitszeiten – das werde irgendwann passé sein.

Vom coolen Ruf der eigenen Produkte profitieren viele Unternehmen. Eines von ihnen ist der Spielesoftware-Hersteller Electronic Arts (EA). 1500 Initiativbewerbungen bekommt die Deutschland-Zentrale in Köln im Jahr allein über ihre Website. „Bei uns sind sogar Buchhalter fasziniert von den Produkten“, sagt Human-Resources-Managerin Katrin Riech-Neumann. „Alle sind näher dran an der Seele des Unternehmens als in anderen Firmen“, glaubt sie.

So cool wie der Ruf der Spiele ist auch die Vorstellung von einem Job im Kölner Zollhafen, einem Neubauprojekt im alten Hafengelände direkt am Rhein. Das Arbeiten in der EA-Zentrale muss Spaß machen. Im Foyer steht ein Kicker, darüber flackern Szenen aus den neuesten Spielen über einen Flachbildschirm, in den Großraumbüros duzt man sich. Jeder Mitarbeiter bekommt nach der Probezeit einen Zuschuss zum Kauf einer Konsole und auch fünf Spiele pro Quartal gratis. Es gibt Bionade und eine Sportsbar, Sabbaticals, umsatzabhängige Bonuszahlungen, flache Hierarchien und hohe Verantwortung in internationalen Projekten. Personalerin Riech-Neumann betont die lockere Atmosphäre in ihrem Unternehmen: „Es geht heute auch um die Freude an der Arbeit, sonst bringen die Menschen nicht ihre kreativen Potenziale ein.“ Dass die Einstiegsgehälter mit 31 000 Euro deutlich niedriger liegen als anderswo, nehmen die Mitarbeiter anscheinend in Kauf.

Menschen, die es in coole Jobs zieht, geht es nicht so sehr ums Geld. Sondern darum, dass sie etwas erschaffen, das glänzt, prägt, wahrgenommen wird. Denn: Wer sich mit Haut und Haaren in den Dienst des Arbeitgebers stellt, der will sich mit dessen Produkten identifizieren, seien es Werbekampagnen, Pflegeserien, Designermöbel oder PS-starke Sportwagen. Trendforscher Wippermann spricht von einer „Aura“, die solche attraktiven Unternehmen umgibt.

Doch bei allem Zauber raten Experten, dass Bewerber lieber geduldiges Bewusstsein als spontane Begeisterung walten lassen sollten. Der Saarbrücker Professor Scholz empfiehlt allen Kandidaten, sich über die eigene Rolle im Unternehmen Gedanken zu machen und die „Entscheidung nicht nur von den tollen Produkten einer Firma abhängig“ zu machen. Das scheint umso nötiger, weil immer mehr Absolventen unreflektiert zu hippen Konzernen wollen.

Isabelle Krone, Director Human Resources bei Tele Atlas, einem Anbieter von digitalen Karten, erwartet eine Art „zweiten Crash“ wie einst in der New Economy und rät Bewerbern, auch einen Blick auf die vordergründig steifen Arbeitgeber zu werfen: „Man sollte nicht vergessen, dass es gerade die großen und hippen Player sind, die Massenentlassungen durchführen – wenn es wieder mal bergab geht, weniger die kleinen Mittelständler."

Warum also nicht lieber etwas steifer? Auch vordergründig langweilige Unternehmen können richtig spannend sein – und bieten oft bessere Aussichten auf „Work-Life-Balance“. Die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns etwa kommt sicher nicht in den Verdacht, Deutschlands coolstes Unternehmen zu sein. „Natürlich haben wir noch immer unter dem alten Ruf zu leiden, ein verstaubtes Unternehmen zu sein“, gibt Personalchefin Hede Gesine Fink zu. Und doch lockt das Haus auch besonders anspruchsvollen Nachwuchs an. Der mag anfangs skeptisch sein und kann auch im Freundeskreis nicht mit glamourösen Produkten seines Arbeitgebers prahlen. Dafür aber sind die Bedingungen attraktiv, man kann Karriere machen, Verantwortung übernehmen und sich langfristig entwickeln. Bei der KV Bayern hat sich einiges getan, es gibt unbürokratische Arbeitszeiten und Sitzgruppen mit WLAN-Verbindung, Lauftrainings und Winterwanderungen. Im Vergleich zu vielen hippen Häusern bieten diese Unternehmen zudem handfeste Anreize: Die Bezahlung ist tariftreu – und dazu gibt es freie Wochenenden, an denen kein Blackberry klingelt.

Aber sich zurücklehnen, die Sicherheit des Jobs genießen – das wird man in Zukunft auch bei öffentlich-rechtlichen Arbeitgebern nicht mehr können. „Ab und an kommen noch immer Bewerber, die nur auf eine lebenslange Arbeitsplatzgarantie hoffen“, sagt Personalchefin Fink. Da gebe es nur Absagen. Gerade weil auch weniger exponierte Firmen immer neue Ideen brauchen, sind dort selbstbewusste Mitarbeiter gefragt, die eigenständig und zielgerichtet arbeiten.

Anita Wachmann übrigens hatte bald keine Lust und keine Kraft mehr, das Spiel bei ihrer Agentur mitzumachen: Vor einem halben Jahr wechselte sie in eine andere PR-Agentur nach München. Diesmal, sagt sie, habe sie statt auf Coolness eher auf die Bedingungen geachtet. „Wenn jemand regelmäßig zu lange arbeitet, sucht die Geschäftsleitung aktiv nach dem Grund und einer Lösung“, berichtet sie von ihrem neuen Arbeitgeber. Der Job bietet ihr viel Zeit fürs Privatleben, für soziale Kontakte abseits der kreativen Arbeit. In der hippen Agenturwelt mag man zwar über derlei altbackene Ansichten schmunzeln – doch Wachmann fühlt, dass sie sich nur auf diese Weise nicht verheizt. Beitrag aus „Junge Karriere“

Tim Farin, Christian Parth

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