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Allein. Nach Schätzungen von Unicef schlagen sich mehr als 100 Millionen verlassener und verstoßener Kinder als Bettler, Diebe und Drogendealer auf den Straßen der Metropolen der Welt durch. Neben Nahrung und Unterkunft fehlt ihnen Bildung. Foto: dapd

© dapd

Südafrika: Bildungschance

Alphabetisierung, Physik, Selbstvertrauen: An der Uni lernt man, wie man Straßenkinder weiter bring.

Es zog sie immer wieder zurück. Zurück nach Südafrika, in ein Heim für Straßenkinder, in dem sie nach dem Abitur ein Freiwilliges Soziales Jahr absolvierte. „Ich bin danach in den Semesterferien weiter hingefahren, ein bis zweimal im Jahr war ich dort“, sagt die 27-Jährige. Maren Basfeld studierte Lehramt für Gymnasien mit den Fächern Deutsch und Geschichte und hat ihr erstes Staatsexamen in der Tasche. Danach wollte sie wieder zurück, nach Südafrika. Doch stattdessen studiert sie nun Straßenkinderpädagogik. Mittlerweile ist Maren Basfeld im dritten Semester.

Durch einen Zufall stieß sie auf den interdisziplinären und internationalen Master-Studiengang „Pädagogik für Kinder und Jugendliche auf der Straße“. Sie hatte zwar ein Stellenangebot in Südafrika, durch ein Projekt, dass sie 2006 gründete, um Bildung auf die Straße zu den Kindern zu bringen. „Doch ich bekam kein Visum“, erzählt Basfeld. In der Recherche für ihre Promotion stieß sie dann auf Hartwig Weber, Professor für Theologie und Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Er ist der Initiator des Projekts „Patio 13 - Schule für Straßenkinder“, das er vor zehn Jahren in Kolumbien gründete. Durch den Kontakt erfuhr Basfeld von dem Studiengang und bewarb sich. „Das Studium ist eine sehr gute Vorbereitung auf die Promotion“, sagt sie. Sie schätzt vor allem die Verbindung von Forschung und Praxis.

Vor drei Jahren entwickelte Hartwig Weber den Masterstudiengang. Sein Anliegen ist es, Lehramtsstudenten in Deutschland und in Kolumbien das Problem der Straßenkinder nahe zu bringen. Seit Jahren reist er mit deutschen Studierenden nach Bogotá und Cartagena, um mit ihnen in Straßenkinder-Projekten zu arbeiten. Vorher war Weber als Entwicklungshelfer im Erziehungsministerium Kolumbiens tätig. In dem Vollzeitstudium setzen sich die Studenten mit den Lebensbedingungen von Kindern und Jugendlichen in schwierigen Situation auseinander. Sie werden auch für Kinder ethnischer Minderheiten, insbesondere von Straßenkindern in den Großstädten der armen Länder, sensibilisiert. Vier Hochschulen in Heidelberg und Freiburg sind an der Lehre beteiligt. Vier Semester lang lernen die Studenten, Bildungsangebote für randständige, schulferne Kinder und Jugendliche zu planen und zu realisieren, um damit die Lebenschancen und Zukunftsperspektiven dieser Kinder zu verbessern.

Maren Basfeld hat 13 Kommilitonen aus acht Nationen, sie alle kommen aus unterschiedlichen Bereichen: Einige haben Pädagogik studiert, andere Philosophie. Aber auch ohne vorherigen Uniabschluss kann man sich für den Master bewerben. In Basfelds Jahrgang kommt eine Studenten aus der Hotelbranche, eine andere aus der Verwaltung. Andere haben schon jahrelange Praxiserfahrung im sozialen Bereich. „Durch die verschiedenen Hintergründe ergeben sich immer wieder andere Blickwinkel“, sagt sie. Außerdem könnten die jüngeren Studenten von den Erfahrungen der Kommilitonen aus der Praxis lernen. Die Diskussionen untereinander seien eine Bereicherung.

Das erste Semester absolvieren die Studenten in Heidelberg, im zweiten Jahr wechseln sie nach Freiburg. „Wir profitieren dadurch von einer sehr guten Qualität in der Lehre“, sagt Basfeld. Allerdings stünden die Studenten vor einem logistischen Problem, wenn es nach Freiburg geht. Viele würde pendeln, weil sie in Heidelberg einen Nebenjob hätten. Allerdings nehme die Pendelei viel Zeit und Geld in Anspruch – schließlich ist es ein Vollzeitstudium. Doch weder Zeit noch Geld haben die Masterstudenten reichlich zur Verfügung. Sie zahlen 1800 Euro Studiengebühren pro Semester. „Die sehr hohen Studiengebühren sind ein Nachteil des Masters“, sagt Basfeld. Allerdings sei der Betrag politisch vorgegeben, „es ist eben nicht zu ändern“, sagt sie. Wie ihre Kommilitonen arbeitet sie nebenher. Und Stipendien sind schwer zu kriegen für den Studiengang. Es gebe nur zwei Institute, die welche für Straßenkinderpädagogik vergeben, da es lediglich ein Master- und kein Bachelor-Studium ist.

Trotz der finanziellen Belastung hat Maren Basfeld es nie bereut, sich für das Studium entschieden zu haben. Das große Plus ist für sie die Themenvielfalt: Sie lernt, Aspekte der Theaterpädagogik einzusetzen, oder wie sie Naturwissenschaften auf der Straße erklären kann. Ein weiteres großes Thema ist die Alphabetisierung der Straßenkinder. Es geht auch um historische und aktuelle Kenntnisse über Lebensbedingungen bildungsferner Kinder und Jugendlicher im internationalen Vergleich. Die Studenten lernen, Forschungsvorhaben zu planen und umsetzen sowie zu unterrichten. Auch gilt es, die Bedürfnisse der obdachlosen Kinder zu erkennen und Lösungen finden.

Die 27-Jährige ist voraussichtlich Ende September 2011 fertig mit dem Studium. Danach will sie sich wieder voll der Promotion widmen, die sie während des gesamten Studiums im Blick behalten hat. Wahrscheinlich wird sie ihre Arbeit bei einem Projekt für mobile Jugendsozialarbeit schreiben, wo sie ein Forschungspraktikum absolvierte. Basfeld will sich dann um eine Art Straßenschule kümmern, in Dresden. Das Praktikum ist ein wichtiger Bestandteil des Studiums, mindestens sechs Wochen sind die Studenten im In- oder Ausland in einer Einrichtung für sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche.

Die Berufsaussichten für die Absolventen der Straßenkinderpädagogik sind ebenso vielfältig wie ungewiss. Der erste Jahrgang, der 2007 anfing, startet nun ins Berufsleben. „Ein richtiges Profil gibt es noch nicht“, sagt Basfeld.

„Die Studenten können in Programmen und Projekten, die eine gesellschaftliche Reintegration von Kindern und Jugendlichen der Straße zum Ziel haben, maßgeblich zur Verbesserung der Zukunftschancen bildungsferner Kinder und Jugendlicher beitragen“, sagt Kirsten Rückauf, Studienberaterin am Kompetenzzentrum „Patio13 Straßenkinderpädagogik“ an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Darüber hinaus ermögliche der Studiengang Lehrern, die an sozialen Brennpunktschulen oder mit Schulverweigerern arbeiten, eine Qualifizierung in zielgruppengerechter Methodik und Didaktik. Auch Maren Basfeld überlegt, ob sie ihr Referendariat noch machen soll. „Die Pädagogik ist sehr sinnvoll“, sagt sie. Mögliche Arbeitgeber für die Absolventen sind die freie Wohlfahrt und Nichtregierungsorganisationen, die staatliche Entwicklungshilfe und kommunale wie kirchliche Jugendhilfe – ob hier oder in Lateinamerika. Oder Südafrika.

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