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Dirk Notheis

© Morgan Stanley

Deutschlandchef von Morgan Stanley: "In der Politik mehr gelernt als an der Uni"

Dirk Notheis war Chef der Jungen Union in Baden Württemberg – entschied sich dann aber für eine Karriere in der Wirtschaft. Seit Februar 2009 ist er Deutschlandchef der Investmentbank Morgan Stanley

Herr Notheis, Sie waren Vorstand der Jungen Union in Baden-Württemberg und damit auf einem guten Ausgangsposten für eine steile politische Karriere. Warum haben Sie sich dann doch für die Wirtschaft entschieden?


Politiker ist für mich im Ideal kein Beruf, sondern Berufung auf Zeit. Meine materielle und persönliche Unabhängigkeit war mir zudem schon immer sehr wichtig. In der Politik können Sie der stärkste Charakter sein, die Gefahr, dass Sie sich verbiegen müssen, wenn Sie Ihre Hypothek und die Ausbildung ihrer Kinder darauf abstellen, ist sehr groß. Aus diesen Gründen habe ich Politik immer nur im Ehrenamt betrieben.

Der Wechsel kam damals für viele Parteifreunde und Beobachter abrupt. Hatte es Streit gegeben? Was war der Anlass?

Nein, Hintergrund war ein Jobwechsel. Ich bin 1999 von der SGZ-Bank zu Morgan Stanley gewechselt, also vom regionalen ins internationale Geschäft. Der neue Job war zeitlich, auch durch das viele Reisen, sehr viel anspruchsvoller. Nach drei Monaten habe ich die weiße Fahne geschwenkt und gesagt, beides lässt sich nicht mehr vereinbaren.

Was wollten Sie als Kind werden? Kanzler?

Nein, überhaupt nicht, auch wenn das immer alle vermutet haben. Als Kind hatte ich sogar den Spitznamen „Bundeskanzler“. Ein mit meiner Familie befreundeter Unternehmer hat mich als kleinen Steppkes mal so genannt, weil ich schon sehr früh, mit sieben oder acht Jahren mit den Erwachsenen politische Diskurse führen wollte.

Was dann?

Als Kind hatte ich ein breites Spektrum an Traumberufen, Politiker wollte ich nie werden. Sportreporter stand ganz oben auf der Liste, Fußballreporter um genau zu sein, und später dann Musiker und Opernsänger.

Ist Politik ein schmutziges Geschäft?


Nein, ganz im Gegenteil. Politik war für mich immer die Freude an der Auseinandersetzung um das beste Argument und die Freude daran, die Strukturen der Gesellschaft so zu formen, dass alle Menschen gute Lebensbedingungen vorfinden. Politik ist ein zutiefst ethisches Geschäft. Erwin Teufel, der frühere Ministerpräsident von Baden-Württemberg, hat einmal zu mir gesagt: „Wenn du in die Politik gehen willst, musst du die Menschen ,lieben''!“

Wie sind Sie in die Politik gekommen?


Es lag ein bisschen in der Familie. Mein Großvater war in der Weimarer Republik für die katholische Zentrumspartei aktiv. Nach dem Krieg war er dann Mann der ersten Stunde, als sich die CDU aus katholischen und evangelischen Christen formte. Er hat in Karlsruhe die lokale Einheit der CDU mit gegründet. Mein Großvater war aber in erster Linie Unternehmer und hat Politik – wie ich ja bis heute auch – immer nur im Ehrenamt betrieben. Mein Vater ist auch ein politischer Mensch, aber kein parteipolitischer.

Warum sind Sie der Tradition gefolgt und nicht zu den Grünen oder zur FDP gegangen?

Das war ein fließender, irgendwie selbstverständlicher Übergang – erst Messdiener, dann Schüler Union, schließlich Junge Union. Mein Freundeskreis war eben entsprechend. Thematisch hätte ich damals durchaus auch bei den Grünen landen können. Die Wurzeln der Grünen liegen auch in der CDU. Herbert Grul, einer der Gründer der Grünen, etwa kam von der CDU. Ich habe in der Jungen Union sehr viele umweltpolitische und nachhaltige Themen angepackt. So habe ich mit dafür gekämpft, dass der Tierschutz in die Landesverfassung übernommen, das Schülerferienticket für Baden-Württemberg eingeführt und die Nettoneuverschuldung auf Null gesetzt wird.

Den heute 30-Jährigen wird oft vorgeworfen, dass sie nur an sich selbst denken und sich wenig politisch engagieren. Stimmt das?

In den vergangenen zehn, 15 Jahren hatte die Jugend schon apolitische Phasen. Aktuell habe ich aber den Eindruck, dass gesellschaftliches Engagement eine zarte Renaissance erlebt und das finde ich sehr positiv.

Sie selbst sind nach wie vor politisch aktiv. Sie sind im Landesvorstand der CDU Baden-Württemberg. Warum das dann doch noch?

Weil mir Politik nach wie vor Spaß macht und weil ich meine Erfahrungen aus der Wirtschaft einbringen möchte. Es sind für meinen Geschmack nach wie vor viel zu wenige Menschen aus der Wirtschaft in der Politik aktiv. Der Dialog zwischen Wirtschaft und Politik muss intensiviert werden. In den vergangenen Jahren hat sich auf beiden Seiten eine Sprachlosigkeit etabliert, die fatal ist und die wieder überwunden werden muss – gerade in Zeiten wie diesen.

Ist in der Politik zu wenig wirtschaftlicher Sachverstand?

Die Rekrutierungsmechanismen der Parteien lassen heute Karrieren von wirtschaftlich erfahrenen Menschen kaum mehr zu. Wenn Sie heute Berufspolitiker werden wollen, also erst Abgeordneter, dann Minister, müssen Sie sich schon ganz früh auf die reine Politik festlegen und die Ochsentour starten. Das heißt der Dreiklang – Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal – ist irgendwie zwangsläufig, weil systemisch bedingt. Diese Mechanismen limitieren natürlich den wirtschaftlichen Erfahrungsschatz in der Politik.

Inwieweit hat Ihnen Ihre politische Erfahrung in der Wirtschaft genutzt?

Ich habe in der Politik wahnsinnig viel gelernt, mehr etwa als an der Uni und das auch noch spielerisch, ohne opportunistischen oder beruflichen Ehrgeiz. Ich habe gelernt mit Menschen umzugehen. Sie lernen nirgendwo sonst so viel über Menschen wie in der Politik. Ich habe das erste Mal Führungsverantwortung übernommen, ich habe gelernt mit Gremien zu arbeiten, ich habe gelernt, mich in sehr kurzer Zeit in sehr komplexe Themen einzuarbeiten. Ich kann von daher nur jedem jungen Menschen raten, sich politisch zu engagieren und zwar nicht unter der Prämisse, morgen Bundeskanzler zu werden, sondern in einer entkrampften Art und Weise und um der Sache willen.

Wenn es ums Geschäft geht, helfen Sie auch dem politischen Gegner. Sie haben die österreichische Gewerkschaftsbank Bawag verkauft und so den Österreichischen Gewerkschaftsbund vor der Pleite bewahrt. Jetzt sind Sie sogar Ehrengewerkschafter. Wie verträgt sich das mit Ihrem Job und Ihrem Parteibuch?

Es ging damals um viel mehr als um den Verkauf einer Bank, es ging um die Rettung einer gesellschaftlichen Säule. Ich bin sehr stolz darauf, dass wir es geschafft haben, diese für das Gleichgewicht in unserer Gesellschaft so wichtige Institution zu retten. Das sage ich auch Leuten, die Ressentiments gegen Gewerkschaften pflegen.

Die Bundestagswahl ist eine Zäsur, da viele erfahrene Abgeordnete nicht mehr antreten oder den Wiedereinzug nicht schaffen werden. Gibt es genügend junge politische Talente, die uns in Zukunft gut regieren werden?

Es gibt in allen Parteien mehr Talente als sichtbar sind. Ob und wer durchkommt, ist von so vielen Zufällen abhängig. Eine politische Laufbahn ist ja nicht so planbar wie eine Karriere in der Wirtschaft. Bei Morgan Stanley etwa haben wir ein klares Aufstiegssystem. Das geht step by step. Sie sind so und so viele Jahre Analyst, dann Associate, Senior Vice President, Executive Director, Managing Director und irgendwann werden Sie dann Vorstand oder eben auch nicht. Politik hat irrationale vertikale Mobilitätsmechanismen. Das heißt, es kann nicht nur sehr schnell rauf oder auch wieder runter gehen, sondern auch aus unerfindlichen Gründen. Die Fallhöhe ist auch viel ausgeprägter. In der Wirtschaft findet sich fast immer – es sei denn, sie klauen die silbernen Kaffeelöffel – eine Anschlussbeschäftigung. In der Politik können sie nach einem Lapsus, wie einer falschen Geste oder einem unangebrachten Foto, beruflich am Ende sein.

Was ist für Sie in diesem Sommer spannender? Die Finanzkrise und ihre Folgen – oder die Bundestagswahl?

International die Finanzkrise, national die Bundestagswahl. Der Ausgang der Wahl hat einen psychologischen Effekt, der nicht zu unterschätzen ist. Für unser Bankgeschäft ist es jedoch relevanter, wie sich die Weltwirtschaft entwickelt.

Die Fragen stellte Tanja Kewes. Das vollständige Interview finden Sie in der Augustausgabe der „Jungen Karriere“

DIE KARRIERE

Als Dirk Notheis das erste Mal politisch aktiv wird, ist er erst zwölf Jahre und klebt 1980 für die CDU Plakate. Später tritt er der Jungen Union bei und wird ihr Vorsitzender in Baden-Württemberg.

Mit 32 Jahren legt der promovierte Wirtschaftswissenschaftler dieses Amt nieder. Sechs Jahre später, 2005 zieht er doch nochmal für die Union in den Wahlkampf. Er lässt seinen Job bei der Investmentbank Morgan Stanley ruhen, bezieht in der CDU-Parteizentrale ein eigenes Büro und sammelt Spenden. Der Sommerjob bringt ihm Ärger ein. Kritiker monieren, dass seine Wahlkampfhilfe „Geschmäckle“ habe, weil sich Morgan Stanley um Aufträge der Bundesregierung und von Bundesunternehmen bemüht, wie etwa den Börsengang der Deutschen Bahn. Notheis ist darüber so enttäuscht, dass er über diese Zeit in Interviews bis heute nicht spricht. Seine Konsequenz: Im Wahlkampf 2009 spielt er keine aktive Rolle. JK

Tanja Kewes

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