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Ingenieur

© Mike Wolff

Fachkräftemangel: Als Quereinsteiger punkten

Lücken im Lebenslauf galten lange Zeit als Karrierekiller. Inzwischen sind viele Firmen auf jeden Fachmann angewiesen – auch wenn sie außergewöhnliche Biografien haben.

Zum ersten Mal seit vielen Jahren ärgert sich Matthias Steinke nicht über Regentage. „In diesem Jahr kann ich ja endlich mal wieder in den Süden fahren“, sagt er und lacht. Nach drei Jahren Arbeitslosigkeit hat er seit März dieses Jahres wieder einen festen Job. Dabei war sein Lebenslauf immer ein Hindernis bei der Arbeitsplatzsuche. Das Maschinenbaustudium hat er nach zwölf Semestern abgebrochen, um sich mit zwei Freunden als Wirtschaftsberater selbstständig zu machen. Das Projekt scheiterte nach zwei Jahren – es folgten Gelegenheitsjobs, er reiste ein Jahr, arbeitete in Australien.

Schon sein ganzes Leben lang begleiteten ihn unzählige gescheiterte Bewerbungen. Die Lücke im Lebenslauf wurde immer größer. Was blieb, war eine schlecht bezahlte Anstellung als Lagerist. Doch alle Versuche, den Job zu wechseln, schlugen fehl. „Die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch war für mich wie ein Sechser im Lotto. Beim Blick auf meinen Lebenslauf verdüsterten sich die Mienen der Personalchefs jedoch immer. Ich hatte mich schon fast damit abgefunden, nicht mehr gefragt zu sein.“

"Auf einmal wurde ich richtig umworben"

Doch seit Ende letzten Jahres wurden die Einladungen zu Vorstellungsgesprächen plötzlich häufiger. „Auf einmal wurde ich richtig umworben und musste nicht mehr als Bittsteller auftreten“, schmunzelt Steinke. Heute arbeitet er für einen mittelständischen Maschinenbauer und studiert per Fernstudium BWL. Mit 2400 Euro pro Monat verdient er so viel wie nie zuvor.

Matthias Steinke ist nur einer von vielen Nutznießern der anziehenden Konjunktur. So sank im Juni dieses Jahres die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland, auf unter 3,7 Millionen, ein Rückgang von 712 000 oder beinahe 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Dazu verdoppelte sich 2006 die Zahl der offenen Stellen auf mehr als 600 000. In vielen Branchen werden Fachkräfte nun von Bittstellern zu heiß Umworbenen. Besonders begehrt sind Ingenieure, Maschinenbauer und inzwischen auch wieder IT-Spezialisten. In der Regel sind es zunächst die jungen, gut ausgebildeten Fachkräfte, die vom anziehenden Arbeitsmarkt profitieren. Doch inzwischen bessern sich auch die Chancen für nicht ganz stromlinienförmige Bewerber wie Quereinsteiger, Branchenwechsler und ältere Arbeitnehmer, deren Bewerbungen von den Personalchefs bis vor kurzem meist schon im Vorfeld aussortiert wurden.

Vom Lehramtsstudium in die Arzneimittelforschung

Einen Branchenwechsel wagte auch Jasmin Zettler. Anstatt Jugendlichen das Periodensystem zu erklären, forscht die Berlinerin heute für die Herstellung neuer Arzneimittel. „Am Anfang war ich schon etwas skeptisch, ob ich als ,die Pädagogin‘ hier akzeptiert werde“, meint die 29-jährige Chemikerin. Sie studierte Mathematik, Physik und Chemie auf Lehramt und wollte mit dem Laborjob eigentlich nur die Sommerferien vor der Aufnahme in den Schuldienst überbrücken. „Doch mich hat die Forschungsarbeit so begeistert, dass die Projektleiter nach den vier Monaten so sehr von mir überzeugt waren, dass sie für mich eine neue Stelle geschaffen haben“, erzählt sie stolz. „Für freie Stellen im Team ließen sich gar nicht so leicht geeignete Bewerber finden. Gerade deshalb war das Management froh, dass sie mich halten konnten.“

Jasmin Zettler entschloss sich für die Arbeit im Labor und gegen die Verbeamtung. „Je besser die Konjunkturlage, desto risikobereiter sind die Menschen“, erläutert Eberhard von Rundstedt, Gründer und Geschäftsführer des Personalberatungsunternehmens Von Rundstedt und Partner. „Die Flexibilität nimmt zu. Die Arbeitnehmer wagen den Schritt unter dem Motto: Wenn es schiefgeht, suche ich mir was anderes.“ Der Düsseldorfer freut sich, dass seine Kunden immer schneller wieder in Lohn und Brot kommen. „Die Joblage hat sich eindeutig verbessert. Die Zeiten zwischen zwei Jobs schrumpfen deutlich.“ Somit wächst auch der Mut zum Risiko. Denn viele Arbeitnehmer sind mit ihrer Stelle unzufrieden. Die Gründe dafür sind vielfältig. „Viele Berufstätige können sich mit ihrer Arbeit nicht identifizieren, was zu Unzufriedenheit und Leistungsabfall führt“, sagt von Rundstedt. „Jemand, der in der Technik arbeitet, dessen Fähigkeiten aber viel mehr im Umgang mit Kunden liegen, hat jetzt weit größere Chancen, doch noch als Quereinsteiger in seinem Traumjob zu landen.“

Zeitarbeit als Sprungbrett

Von Rundstedt selbst hat gute Erfahrungen mit Quereinsteigern gemacht. In seiner IT-Abteilung kümmert sich ein gelernter Biologe um die Computerprobleme der Mitarbeiter. „Er hat auch schon als Lehrer gearbeitet, Informatik war nur sein Hobby. Deshalb kann er Laien unglaublich gut den Umgang mit dem Computer erklären“, freut sich der Chef.

Für viele Jobwechsler ist Zeitarbeit ein Schritt in Richtung Festanstellung. Auch Matthias Steinke hat so seine Stelle gefunden. „Die haben mich quasi drei Monate testen können“, sagt er. Von dieser Strategie können auch die Zeitarbeitsfirmen profitieren, denn „wer fähige Mitarbeiter schickt, wird wieder gebucht“, erklärt Arbeitsmarktexperte von Rundstedt. Und Zeitarbeit erlaubt auch Quereinsteigern und Menschen mit unkonventionellem Lebenslauf eine Testphase, die ihnen ansonsten oft nicht eingeräumt wird.

Viele Unternehmer haben aus der Not des Fachkräftemangels eine Tugend gemacht und schätzen nun die Bereicherung durch unkonventionelle Angestellte. „Früher sind die meisten neuen Mitarbeiter von der örtlichen Universität gekommen“, sagt Matthias Steinke. „Inzwischen stellt die Firma Leute mit deutlich unterschiedlichen Lebensläufen ein.“ Er geht mit seinem Fernstudium trotzdem auf Nummer Sicher: „Auch wenn ich über einen eher ungewöhnlichen Weg eingestiegen bin, möchte ich nun ganz gewöhnlich bei meiner Arbeit bleiben.“ Früher hatte der Quereinsteiger sogar mit dem Gedanken gespielt, ganz auszusteigen und nach Südamerika zu gehen. „Das werde ich auch tun“, sagt Steinke und lacht, „allerdings nur für meinen Jahresurlaub.“

Carl-Leo von Hohenthal

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