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Arbeit für Experten.

© picture-alliance/ dpa

Fachkräfte: London ruft

Wie in Deutschland sind auch im europäischen Ausland Fachkräfte rar. Wer dort sein Glück sucht, lernt nicht nur beruflich und persönlich viel dazu – er findet oft auch bessere Arbeitsbedingungen vor.

„Am Anfang war ich ganz schön aufgeregt“, sagt die Sozialarbeiterin Janine Nowak. Wenn sie an ihren Start in England zurückdenkt, erinnert sie sich vor allem an den ungewohnten Linksverkehr. „Besonders die kurvigen, engen Landstraßen haben mir Sorgen bereitet“, erzählt sie. Für ihren Einstieg in den Berufsalltag war das nicht unerheblich. Die dreißigjährige Berlinerin wohnt in dem kleinen Ort Tunbridge Wells im Südosten der Insel. Um von einem Klienten zum nächsten zu gelangen, muss sie oft ins Auto steigen.

Janine Nowak hat sich einen Job in der Ferne gesucht. In Deutschland hatte sie immer wieder gehört, dass Kollegen sich von einem befristeten Vertrag zum nächsten hangeln. In England aber schien man auf die Hochschulabsolventin zu warten. Ihr jetziger Arbeitgeber bot ihr sofort eine unbefristete Anstellung – mit einem höheren Gehalt und besseren Aufstiegs- und Weiterbildungsmöglichkeiten als sie es in Deutschland hätte erwarten können. Kein Wunder also, dass sie im Februar dieses Jahres die Chance ergriff – und auswanderte.

Wie die Sozialarbeiterin verließen fast 155 000 Deutsche im Jahr 2009 ihre Heimat. Die meisten von ihnen (69 Prozent) blieben in Europa. Der Vorteil liegt auf der Hand: Als Deutscher kann man ohne großen bürokratischen Aufwand überall in der EU arbeiten und leben. Ein Visum ist nicht nötig. Die Arbeitserlaubnis beschafft der ausländische Arbeitgeber, das ist auch in der nicht zur EU gehörenden Schweiz so. Und in den deutschsprachigen Nachbarländern gibt es keine Sprachbarriere. Wohl auch deshalb ließen sich fast 25 000 Deutsche in der Schweiz und nahezu 12 000 in Österreich nieder. Nach Großbritannien gingen mehr als 9000 Deutsche.

Oft sind die besseren Karrierechancen der Grund. Wie aber findet man heraus, in welchem Land die eigenen Qualifikationen gesucht sind? Und: Wie erhält man dort tatsächlich einen Job?

EINE STELLE FINDEN

Bei der Stellensuche helfen Arbeitsvermittlungen. Die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit in Bonn zum Beispiel hat im vergangenen Jahr über 10 000 Menschen ins Ausland vermittelt, darunter auch zahlreiche Langzeitarbeitslose. Ihr Service richtet sich an alle, die im Ausland Arbeit suchen, vom Ingenieur bis zum Zahnmediziner.

Überwiegend vermittelt die ZAV in das benachbarte europäische Ausland. Mehr als jeder zweite Kandidat wurde im ersten Halbjahr 2010 nach Österreich und in die Schweiz vermittelt. In den skandinavischen Ländern dagegen, die vor der Wirtschaftskrise als Jobmotor Europas galten, ging die Nachfrage nach deutschen Experten in den vergangenen zwei Jahren erheblich zurück. Doch allmählich kehrt sich der Trend wieder um, sagt Claudia Liebenberg, Arbeitsvermittlerin bei der ZAV in Berlin.

In die Stellenbörse der ZAV können sich Akademiker wie Handwerker und Interessenten mit anderen Berufen aufnehmen lassen. Wer ins Ausland gehen will, hat bessere Möglichkeiten, wenn er einen Facharbeiterabschluss mitbringt und die Sprache des Ziellandes beherrscht. Auch Pkw und Führerschein erhöhen in manchen Berufen die Chancen auf eine Stelle, weiß Liebenberg. Der Schwerpunkt der ZAV-Vermittlung liegt auf Handwerkern und Fachkräften aus der Gastronomie und dem Hotelgewerbe. Besonders in der Schweiz, in Österreich, den Niederlanden und Großbritannien seien diese Fachkräfte gefragt, so Liebenberg: „Es ist im Ausland bekannt, dass wir in Deutschland eine sehr gute Ausbildung haben.“ In Großbritannien gebe es zudem eine große Nachfrage nach Callcenter-Mitarbeitern.

Ein Teil der über die ZAV angebotenen Jobs sind befristet: Im Winterhalbjahr gibt es vor allem im Tourismusbereich Stellen, im Sommer in der Baubranche.

In regelmäßigen, bundesweiten Informationsveranstaltungen können sich Interessenten einen Eindruck von den Lebens- und Arbeitsbedingungen im Ausland machen. Außerdem gibt es für potenzielle Auswanderer in verschiedenen Städten den European Job Day und Einzelveranstaltungen, wie die Bustour von Berlin nach Österreich am 13. Dezember. Die Fahrt bringt Arbeitgeber und Bewerber in der Gastronomie und Hotellerie zusammen.

Auch wenn sich die ZAV weniger um Hochschulabsolventen kümmert: Auf dem europäischen Arbeitsmarkt sind sie sehr gefragt. „In der EU gibt es viele Stellen für Akademiker“, sagt Liebenberg. Die ZAV bietet auch ihnen regelmäßig spezielle Informationsveranstaltungen an. Um konkrete Jobs kümmern sich die Akademiker aber meist selbst. Angebote finden sie in Stellenbörsen im Internet (siehe Kasten), in Stellenanzeigen ausländischer Zeitungen, die man oft online einsehen kann, oder auch direkt auf den Webseiten ausländischer Firmen.

Neben der staatlichen gibt es eine Reihe privater Arbeitsvermittlungen, darunter zum Beispiel die Personalberatung „Das Team AG“ in der Schweiz oder die „Jobtop Personalbereitstellung GesmbH“ in Österreich. Häufig arbeiten sie mit der ZAV zusammen. Ein wesentlicher Vorteil solcher kleineren Unternehmen ist ihre Ausrichtung auf bestimmte Branchen oder Berufe. Die Firma Jacaranda zum Beispiel, die auch Janine Nowak nach England vermittelt hat, rekrutiert ausschließlich Sozialpädagogen und Sozialarbeiter für Großbritannien. Aufgrund dieser Spezialisierung ist es den Personalunternehmen möglich, wesentlich gezielter auf die Wünsche von Arbeitgebern und Bewerbern einzugehen.

Außerdem endet bei ihnen die Betreuung der Kandidaten meist nicht mit der Unterzeichnung des Arbeitsvertrags. „Wir assistieren bei der Wohnungssuche, der Eröffnung eines Bankkontos, der Steuer- und Versicherungsregistrierung und der interkulturellen Eingliederung. Und das bis zu drei Monate nach der eigentlichen Arbeitsaufnahme“, verspricht Ingolf Block von Jacaranda.

Die Kosten, die Bewerber für den Service der privaten Vermittler zu zahlen haben, sollten aber im Vorhinein geklärt sein. Denn auch wenn die eigentliche Vermittlung für Jobsuchende oft frei ist, weil sie von den ausländischen Arbeitgebern übernommen wird, können Kosten entstehen. So müssen auch Bewerber bei Jacaranda etwa für die Übersetzung von Zeugnissen oder die An- und Abreise für das Interview vor Ort selbst aufkommen.

LEBEN IM AUSLAND

Eine Unterstützung für den Start im Ausland kann sehr hilfreich sein, weiß Christina Busch. Als Mitarbeiterin des Berliner Raphaels-Werkes, eines Fachverbandes der Caritas, berät sie auswanderungswillige Deutsche. In Gesprächen weist sie auf mögliche Hindernisse bei dem geplanten Vorhaben hin und gibt Denkanstöße, die von Überlegungen wie „Nehme ich mein Auto mit?“ bis zu Fragen wie „Bei welcher Behörde muss ich mich melden, wenn ich in meinem Wunschland angekommen bin?“ reichen.

„Ein ganz großes Thema sind die Sozialversicherungen“, sagt Busch. So muss man etwa, sobald man bei einem ausländischen Arbeitgeber beschäftigt ist, die deutsche Krankenversicherung gegen eine Krankenversicherung des Ziellandes wechseln. Im Fall einer befristeten Entsendung durch den deutschen Arbeitgeber dagegen kann man unter Umständen weiterhin in Deutschland versichert bleiben. Wichtige Fragen sind außerdem: Welchen Anspruch auf Arbeitslosengeld hat man bei der Rückkehr nach Deutschland? Und in welchem Land muss man welche Steuern zahlen? Je nach Land und geplanter Dauer des Aufenthalts unterscheiden sich die Antworten.

Janine Nowak ist zunächst ohne Rückreiseticket nach England gegangen. Sie hat sich zwar mittlerweile an das Linksfahren auf den Straßen gewöhnt und sie erhält dort auch jene Wertschätzung für ihre Arbeit, die ihr bei ihren bisherigen Jobs in Deutschland oft versagt blieb. Wie lange sie dort bleiben wird, weiß sie allerdings noch nicht. Das werde sich zeigen und sei sicher auch von den weiteren beruflichen Möglichkeiten abhängig, sagt sie: „Ich denke aber nicht, dass ich für immer in England leben werde. Berlin mag ich doch sehr.“

Florian Kuhlmey

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