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Sozialplan: Am Ende reine Verhandlungssache

Wenn Unternehmen schließen oder ihren Standort verlegen, sind die Betriebsräte gefragt. Sie handeln für die Beschäftigten Abfindungen oder auch Umschulungen aus, die deren Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern.

Als die Nachricht von der Geschäftsführung kommt, ist Margrit Eitel geschockt. Ihr Arbeitgeber, der Pharmakonzern Pfizer, verlegt seine Deutschlandzentrale von Karlsruhe an den Potsdamer Platz nach Berlin. 680 Kilometer sind es in die Hauptstadt, einmal quer durch die Republik. Für sie und weitere 500 Mitarbeiter bedeutet das: Möbel packen, eine neue Wohnung suchen, Schulen für die Kinder finden, Familie und Freunde verlassen – oder den Job verlieren.

Margrit Eitel ist eine der ersten, die von den Umzugsplänen erfährt. Sie ist Vorsitzende des Betriebsrats von Pfizer in Deutschland. „Der Konzern müsse umziehen, um Politik und Forschung in der Hauptstadt näher zu sein, begründete die Geschäftsführung uns gegenüber ihren Entschluss“, sagt Eitel heute, ein halbes Jahr danach. „Außerdem bekamen wir gleich das Angebot, für die Mitarbeiter einen Sozialplan zu entwickeln.“

Sozialplan heißt im Klartext: Es geht um Ausgleichszahlungen für die Mitarbeiter. Wenn ein Betrieb seine Arbeitsbedingungen verändert, den Standort wechselt, einzelne Abteilungen verlegt oder gar schließt, sind für die betroffenen Angestellten entschädigende Finanzspritzen fällig. Die Geschäftsleitung ist gesetzlich verpflichtet, mit dem Betriebsrat einen Sozialplan auszuarbeiten. Verhandelt wird, wie hoch die Entschädigungen sind und wie das Unternehmen die Mitarbeiter dabei unterstützt, einen neuen Job zu finden. Die Firmenleitung des Nokia-Werks in Bochum etwa, das zur Jahresmitte geschlossen und nach Rumänien verlagert werden soll, kann der Sozialplan teuer zu stehen kommen, denn das Werk ist nicht insolvent – es macht sogar Gewinne. Und: Je mehr Geld ein Unternehmen hat, je größer sind die Chancen für den Betriebsrat, für die Mitarbeiter gute Konditionen herauszuhandeln.

Doch allen Protesten der 2 300 Nokia-Beschäftigten zum Trotz. Auf die Gestaltung des Sozialplans haben die Mitarbeiter keinen Einfluss. „Sie haben ja den Betriebsrat gewählt, damit er sich darum kümmert“, sagt Ralf-Peter Hayen, Referatsleiter betriebliche Mitbestimmung beim DGB Bundesvorstand. Der ist dafür mit besonderen Rechten ausgestattet: Betriebsräte müssen nicht auf ein großzügiges Angebot der Unternehmer warten, sie können den finanziellen Ausgleich für die Mitarbeiter erzwingen. Voraussetzung ist, dass ein größerer Teil der Mitarbeiter von den Betriebsänderungen betroffen ist. Auch die Größe des Unternehmens spielt eine Rolle.

Bei einer Firma mit bis zu 59 Beschäftigten etwa kann der Betriebsrat einschreiten, wenn mindestens sechs Arbeitnehmer versetzt oder gekündigt werden. Mittlere Unternehmen mit bis zu 499 Angestellten fallen unter den Sozialplan, wenn entweder zehn Prozent oder mehr als 25 Arbeitnehmer ihren Platz verlieren. Bei Großbetrieben mit mehr als 600 Beschäftigen sinkt der Satz auf fünf Prozent. Nicht nur angestellte Arbeitskräfte, sondern auch Trainees und oft auch Azubis werden berücksichtigt.

Margrit Eitel und ihre Kollegen vom Betriebsrat haben etwa erwirkt, dass die Pfizer-Mitarbeiter bis zu vier Mal im Monat mit Flugzeug, Bahn oder Auto zwischen Karlsruhe und Berlin pendeln können. Eineinhalb Jahre lang trägt der Betrieb die Reisekosten. „Außerdem bezahlt Pfizer Agenturen in Berlin, die bei der Wohnungssuche helfen“, sagt Eitel. Für die Zweitwohnung gibt es zunächst Zuschüsse, jeder erhält Begrüßungsgeld.

Sozialpläne werden zum Beispiel auch verhandelt, wenn Berliner Betriebe nach Brandenburg ziehen. Mitarbeiter erhalten etwa Fahrtkosten erstattet. „Wenn eine Firma innerhalb Berlins umzieht, gilt diese Regel nur bedingt“, sagt Christoph Abeln, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Charlottenburg. Eine Verlegung von Tempelhof nach Neukölln bedeute nicht unbedingt Nachteile für die Beschäftigten.

Wem statt Umzugsplänen die Kündigung bevorsteht, erhält gewöhnlich eine Abfindung. Die richtet sich nach Alter und Arbeitsjahren im Betrieb. „Im Durchschnitt liegen solche Abfindungen bei einem halben und einem Bruttomonatsgehalt pro Jahr der Beschäftigung“, erklärt Abeln. Dabei gibt es weder Ober-, noch Untergrenzen. Das ist Verhandlungssache. Der Betriebsrat vom Berliner Samsung-Werk zum Beispiel hat 2005 für seine Mitarbeiter einiges herausgeholt. Nachdem die Produktion von Röhrenbildschirmen in Köpenick eingestellt wurde, bekamen entlassene Mitarbeiter eine Entschädigung von einem Bruttomonatsgehalt pro Betriebsjahr. Außerdem wurden die Angestellten für maximal zwei Jahre in Beschäftigungsgesellschaften untergebracht. In dieser Zeit erhielten sie 70 Prozent ihres alten Gehalts, dazu einen Zuschuss von der Agentur für Arbeit.

„Taktisch sind Beschäftigungsgesellschaften jedoch nicht die beste Lösung“, meint Rechtsanwalt Christoph Abeln. „Für den neuen Arbeitgeber ist oftmals nicht ersichtlich, was der Bewerber in der Beschäftigungsgesellschaft geleistet hat.“ Der Schritt in den ersten Arbeitsmarkt ist umso schwerer, je älter der Bewerber ist.

Damit Mitarbeiter besser auf die Stellensuche vorbereitet sind, kann der Betriebsrat für gekündigte Arbeitnehmer auch Schulungen aushandeln, erklärt Abeln. Personalagenturen werden bestellt, um in Rollenspielen Bewerbungsgespräche zu üben, den Lebenslauf aufzubereiten – oder gleich einen neuen Job für die Entlassenen zu finden.

Wenn Firmen weniger als 20 Mitarbeiter beschäftigen oder die Belegschaft keinen Betriebsrat gewählt hat, sieht es ohnehin finster aus. In diesen Fällen besteht keine Pflicht zu einem Interessenausgleich – „und ohne den gibt es keinen Sozialplan“, sagt Ralf-Peter Hayen vom DGB. Der IG-Metall Berlin zufolge bewegt sich die Mehrzahl der Berliner Unternehmen in diesem Bereich – allerdings nicht die Mehrzahl der Beschäftigten. Die arbeitet in Großbetrieben.

Philipp Eins

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