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Wirtschaft: Kehraus in Nürnberg

Die Sparpläne der Bundesagentur sind ein Anfang – Forschern und Arbeitgebern reicht das nicht

Jetzt wird es ernst. Wenn am Sonntagabend die Spitzen von Union und SPD die Große Koalition schmieden, geht es nicht nur um Köpfe. Merkel und Stoiber, Schröder und Müntefering müssen sich auch überlegen, wie sie das Kernproblem Deutschlands lösen wollen: Mehr als sechs Millionen offen und verdeckt Arbeitslose suchen einen Job. Daran hängt nicht weniger als die Zukunft des Sozialstaats: Nur mit mehr Beschäftigung, mit mehr Beitrags- und Steuerzahlern lässt sich das Gemeinwesen weiterhin finanzieren, lassen sich drastische Sozialkürzungen vermeiden.

Es geht deshalb in der Arbeitsmarktpolitik um einen Neuanfang. Die Hartz-Reformen, die seit 2003 umgesetzt werden, haben das Ziel bislang verfehlt: Die Zahl der registrierten Arbeitslosen stieg von vier auf in diesem Jahr schätzungsweise 4,8 Millionen. Eigentlich, so hatte Peter Hartz 2002 angepeilt, sollte es binnen drei Jahren zwei Millionen Jobsuchende weniger geben. Und die Reformen sollten Geld sparen – stattdessen rissen sie Milliarden-Löcher in den Bundesetat.

Dass viele der Instrumente aus dem Hartz-Baukasten nicht funktionieren, hat auch die Bundesagentur für Arbeit (BA) eingesehen. Nun will sie ihre gesamten Fördermaßnahmen prüfen – vom Überbrückungsgeld bis zur Ich-AG, von der Personal-Service-Agentur bis zur Job-Rotation. Das findet sowohl in der SPD als auch der Union Zustimmung. „Es ist sinnvoll, die 80 teilweise vollkommen unübersichtlichen Förderprogramme zu straffen und wirksamer zu gestalten“, sagt Unions- Fraktionsvize Ronald Pofalla. Damit würden die Instrumente für Arbeitslose und Arbeitgeber transparenter, außerdem lasse sich Geld sparen. Auch der SPD-Arbeitsmarktexperte Klaus Brandner zeigt sich offen für die Vorschläge aus Nürnberg. „Es darf aber nicht auf Kosten der Weiterbildung gekürzt werden“, schränkte er ein. Das würde sich langfristig rächen.

Durch einen sparsameren Einsatz der Förderinstrumente und einmalige zusätzliche Einnahmen in Höhe von drei Milliarden Euro rechnet die BA damit, dass die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung Mitte 2006 von jetzt 6,5 auf sechs Prozent sinken können. Die Union würde gerne weiter gehen: Im Wahlprogramm hatte sie einen Beitrag von 4,5 Prozent in Aussicht gestellt. Um das zu finanzieren, müsste die Mehrwertsteuer steigen. Arbeitgebervertreter Peter Clever, derzeit Chef des BA-Verwaltungsrats, erwartet dadurch bis zu 300 000 neue Stellen (siehe Interview). Der Arbeitsmarktchef des Essener Wirtschaftsinstituts RWI, Boris Augurzky, glaubt sogar, dass ein noch niedrigerer Beitragssatz möglich ist. „Wenn man die unwirksamen Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik streicht, ist eine Senkung der Beiträge von 6,5 auf 3,5 Prozent drin“, sagte er. Der BA zufolge schafft das 450000 Stellen – ganz ohne Mehrwertsteuererhöhung.

SPD-Mann Brandner hält niedrigere Beiträge grundsätzlich für ein „positives Signal“, das man aber nicht überbewerten dürfe. Er weist darauf hin, dass die Beiträge auch deswegen so hoch sind, weil einige Leistungen, die derzeit von der Arbeitslosenversicherung bezahlt werden, eigentlich über Steuern finanziert werden müssten: Reha-Maßnahmen oder das Nachholen des Schulabschlusses für Jugendliche.

Auch beim Thema Kombilohn, den die Union anstrebt, gibt es Annäherung. Brandner kann sich vorstellen, dass man gemeinsam die Vielfalt der bestehenden Kombilohn-Modelle zusammenführt. Die BA zahlt schon jetzt Lohnkostenzuschüsse und Eingliederungsgeld für Arbeitslose, um sie in den Arbeitsmarkt zu integrieren. In der Union räumt man ein, es gehe nicht darum, Kombilöhne neu zu erfinden – sondern darum, hier künftig mehr Geld zu investieren.

Arbeitsmarktforscher halten von diesem Modell nichts. „Der Kombilohn ist in unserem Sozialsystem nicht machbar“, sagt Hilmar Schneider, Direktor beim Institut zur Zukunft der Arbeit in Bonn. Das Problem: „Ein Kombilohn wäre nur dann wirksam, wenn die Grundsicherung radikal zusammengestrichen würde – das ist aber unrealistisch.“ Einen Anreiz zur Arbeit hätten viele erst, wenn der Nettolohn doppelt so hoch liege wie die Sozialtransfers – „Lohnzuschüsse wären daher sehr teuer“. Dieser Plan sei genauso schädlich wie das Vorhaben der SPD, einen Mindestlohn einzuführen – der würde das hohe Lohnniveau nur zementieren. Das beste Mittel für mehr Stellen seien ein Ausbau der Ein-Euro-Jobs und mehr Druck auf Arbeitslose. „Wer für die Leistung keine Gegenleistung erbringt, sollte noch eher mit der Kürzung seiner Bezüge rechnen müssen.“

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