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Wirtschaft: Keine Mehrheit für einen "blauen Brief"

Die Finanzminister der Europäischen Union sind offenbar bereit, im Streit mit Deutschland um den "blauen Brief" einzulenken. Gegen den Vorschlag der EU-Kommission gebe es eine ausreichende Sperrminorität im EU-Finanzministerrat, der an diesem Dienstag tagt.

Die Finanzminister der Europäischen Union sind offenbar bereit, im Streit mit Deutschland um den "blauen Brief" einzulenken. Gegen den Vorschlag der EU-Kommission gebe es eine ausreichende Sperrminorität im EU-Finanzministerrat, der an diesem Dienstag tagt. Dies berichteten EU-Diplomaten am Montag in Brüssel. Eine Sperrminorität im Finanzministerrat würde eine formelle Verwarnung der Bundesregierung wegen einer Überziehung der Haushaltziele zumindest vorläufig überflüssig machen.

Bei dem Ringen um den "blauen Brief" geht es um mehr als die deutsche Neuverschuldung und wirtschaftliche Abstimmung im Euroland. Es ist auch eine Machtprobe zwischen der EU-Kommission auf der einen und Deutschland als mächtigster europäischer Volkswirtschaft auf der anderen Seite. Neben der Defizitwarnung lehnt die Bundesregierung auch die von der Kommission geplante Verringerung der staatlichen Hilfen für die neuen Bundesländer ab.

"Die Glaubwürdigkeit des Euro-Stabilitätspakts ist von größter Bedeutung", sagte Gerassimos Thomas, der Sprecher von EU-Finanzkommissar Pedro Solbes. Er ließ jedoch erkennen, dass es der EU-Kommission vor allem darum gehe, "von den betreffenden Regierungen präzise Verpflichtungen zu erhalten." Dazu müsse der Rat sich klar entscheiden. Das heiße aber nicht, dass "unbedingt eine formelle Abstimmung im Rat" notwendig werde. Grafik: Staatsfinanzen in Europa Deutsche Diplomaten in Brüssel hoffen jetzt, dass sich die EU-Kommission mit einer Art Selbstverpflichtung Deutschlands und Portugals zufrieden geben könnte. Darin könnten beide Regierungen verbindlich erklären, dass sie alles tun werden, um die Neuverschuldung des Staates in diesem Jahr unter der im Stabilitätsvertrag festgesetzten Grenze von drei Prozent des Bruttoinlandprodukts zu halten. Außerdem müsste sich Bundesfinanzminster Eichel dazu verpflichten, nicht wie in Berlin angekündigt erst 2006 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, sondern - wie ursprünglich vorgesehen - schon 2004. Dies würde bedeuten, dass Eichel auch im Wahljahr strikt an seiner Sparpolitik festhalten müsste.

Bei unvorhergesehenen Mehrausgaben müsste die Bundesregierung an anderer Stelle den Rotstift ansetzen. Vor allem aber, so hieß es aus deutschen diplomatischen Kreisen in Brüssel, sollten in Deutschland Bund, Länder und Kommunen intern darüber nachdenken, wie sie künftig gemeinsam die Defizitbegrenzung des Euro-Stabilitätspakts einhalten könnten. "Der Bund ist derzeit hilflos der Haushaltspolitik der Länder ausgeliefert", beklagte sich ein Regierungsvertreter.

Bei der bevorstehenden EU-Ministerratssitzung am Dienstag sei niemand daran interessiert, dass eine Kampfabstimmung stattfindet, heißt es in Brüssel. Das gelte auch für die EU-Kommission. Offenbar könnte sich nämlich aus unterschiedlichen Gründen eine Sperrminorität aus Frankreich, Großbritannien und Luxemburg auf die Seite der Bundesregierung schlagen. Wenn die notwendige qualifizierte Mehrheit deshalb aber nicht zustande komme und der EU-Kommission als Hüterin der Verträge aus politischen Gründen die Hände gebunden werden, dann "würde sehr viel Porzellan zerschlagen", räumten deutsche Diplomaten schon am Wochenende ein.

Über eine Frühwarnung wegen des deutschen Haushaltsdefizits entscheidet nicht die EU-Kommission, sondern die 15 EU-Regierungen. Deren Wirtschafts- und Finanzminister müssten im EU-Ministerrat eine qualifizierte Mehrheit für den Kommissionsvorschlag zusammenbringen. Für den förmlichen Beschluss einer Frühwarnung ist eine qualifizierte Mehrheit von 62 Stimmen nötig. Insgesamt verfügen die 15 Regierungen über 87 Stimmen. Die Regierungen von Deutschland, Großbritannien, Portugal, Dänemark und Luxemburg haben bereits ihre Ablehnung des "blauen Briefs" angekündigt. Damit wäre eine qualifizierte Mehrheit im Rat nicht erreicht. Für eine Blockade sind mindestens 26 Stimmen erforderlich. Die Aussichten für Bundeskanzler Gerhard Schröder sind daher gut, dass es keinen "blauen Brief" geben wird.

tog

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