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Wirtschaft: Krankenkassen vor neuen Finanzproblemen

Bereits im zweiten Halbjahr steuern die Institute auf ein Defizit zu – weitere Beitragssenkungen sind bei ihnen vorerst kein Thema

Berlin - Die gesetzliche Krankenversicherung könnte in den kommenden Monaten wieder vor gravierenden Finanzproblemen stehen. Statt eines Überschusses, wie von Bundesgesundheitsministern Ulla Schmidt (SPD) erwartet, steuern die Krankenkassen im zweiten Halbjahr auf ein Defizit zu. Wie Finanzexperten von Kassen, Gesundheitsministerium und Bundesversicherungsamt in neuen Berechnungen annehmen, ist im zweiten Halbjahr ein Minus von 200 Millionen Euro möglich. Im kommenden Jahr könnte sich der Fehlbetrag sogar auf mehr als zwei Milliarden Euro summieren, erfuhr der Tagesspiegel am Sonntag aus Kassenkreisen. Weiter sinkende Beiträge, wie von der Regierung in Aussicht gestellt, wären damit kaum möglich.

In den ersten sechs Monaten dieses Jahres hatten die 262 Krankenkassen noch einen Überschuss von mehr als einer Milliarde Euro erwirtschaftet. Dies ist eine Folge der Gesundheitsreform 2004, die den Kassen-Versicherten eine höhere Eigenbeteiligung auferlegt hatte. Noch im vergangenen Jahr hatten die Institute allerdings ein Plus von vier Milliarden Euro erzielt. Die Sozialbeiträge zur Krankenversicherung waren im Gegenzug aber kaum gesunken, weil viele Kassen zunächst Schulden abbauen wollen. Für dieses Jahr hofft Ministerin Schmidt auf einen Überschuss von zwei Milliarden Euro. Vor allem die Weihnachtsgeld-Zahlungen am Jahresende sollen die Finanzlage der Kassen weiter aufbessern.

Der so genannte Schätzerkreis der Krankenversicherung, der alle drei Monate die Finanzentwicklung der Kassen prognostiziert, kam in seiner Sitzung Ende vergangener Woche zu einem anderen Ergebnis. Die Ausgaben für Medikamente und für Behandlungen im Krankenhaus würden im zweiten Halbjahr ein Minus von 200 Millionen Euro bei den Kassen verursachen, hieß es. Bereits in den ersten sechs Monaten waren die Kosten für Arzneien um ein Fünftel in die Höhe geschnellt. Insgesamt würden die Leistungen der Krankenkassen 2005 um 3,8 Prozent teurer, sagen die Schätzer voraus. Unter dem Strich bliebe den Krankenkassen in diesem Jahr also nur ein Überschuss von etwa 800 Millionen Euro. „Die sich bessernde Lage auf dem Arbeitsmarkt nützt der Krankenversicherung noch nichts“, sagte ein Kassen-Finanzexperte. Vor allem die stagnierenden Löhne, an die die Einnahmen der Kassen gekoppelt sind, bereiten den Fachleuten Kopfschmerzen.

Im kommenden Jahr könnte die Lage noch schlimmer werden. Dann fürchtet der Schätzerkreis ein Plus von 2,6 Prozent bei den Leistungsausgaben. Unter dem Strich würden den Kassen dann mehr als zwei Milliarden Euro fehlen.

„Diese Entwicklung wäre schon beachtlich“, sagt ein Kassen-Insider. Immerhin bekommen die Kassen in diesem Jahr 2,5 Milliarden und im kommenden 4,2 Milliarden Euro aus der höheren Tabaksteuer. Bewahrheitet sich die Prognose der Schätzer, wäre weder eine Senkung der Beiträge von jetzt durchschnittlich gut 14 Prozent möglich noch ein Schuldenabbau.

Das Bundesgesundheitsministerium zweifelt die Zahlen des Schätzerkreises an. „Die Schätzer haben einige Positionen übersehen“, sagte Schmidt-Sprecher Klaus Vater. So brächten die neuen Festbeträge für Arzneimittel den Krankenkassen im nächsten Jahr ein Sparpotenzial von 750 Millionen Euro. Weitere 300 Millionen Euro könnten sie sparen, indem sie auf die Erkenntnisse des neuen Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG), das den Nutzen von Medikamenten bewertet, zurückgreifen. „Die Selbstverwaltung kommt ihren Aufgaben nicht nach“, kritisierte Vater. „Der Gesetzgeber hat seine Pflicht getan, aber wir haben ein Vollzugsdefizit.“ Würden die Kassen ihre Möglichkeiten nutzen, könnte das auch zu sinkenden Beiträgen führen, heißt es im Ministerium.

Doch auf Beitragssenkungen werden die Kunden vermutlich vergeblich hoffen. „Zum 1. Oktober hat keine Kasse Beitragsermäßigungen beantragt“, heißt es beim Bundesversicherungsamt, das solche Schritte genehmigen müsste.

Die großen Kassen sind zögerlich. Die Barmer Ersatzkasse als größtes Institut mit mehr als sieben Millionen Versicherten peilt zwar schwarze Zahlen im Gesamtjahr an. „Spielraum für eine Beitragssenkung sehe ich derzeit allerdings nicht“, sagte Sprecherin Susanne Uhrig. Die Barmer werde ihre Beitragssätze in diesem und im kommenden Jahr aber stabil halten. Das verspricht auch die zweitgrößte Kasse, die DAK. Für eine Senkung des Beitrags von jetzt 13,8 Prozent gebe es keinen Spielraum. „Der Druck bei den Arzneimittelausgaben ist zu groß“, sagt DAK-Sprecher Frank Meiners. Auch die 206 Betriebskrankenkassen wollen mit den bislang erwirtschafteten Überschüssen die gestiegenen Arzneimittelkosten auffangen. Jetzt über Beitragssenkungen zu reden, sei „prophetisch“, gibt sich die Sprecherin des BKK-Bundesverbandes, Christine Richter, skeptisch.

Mitarbeit: Dagmar Rosenfeld, Flora Wisdorff

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