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Krise nach der Krise: Finanzcrash stellt westliche Werte infrage

In der Finanzkrise hat das Haftungsprinzip versagt. Viele Wirtschaftsexperten zweifeln nicht nur am System, sondern auch an den Werten und der Moral, die ihm zugrunde liegen.

Seit vier Jahren wütet die Finanzkrise, und noch immer ist kein Ende in Sicht. Neben Banken und Staaten hat sie auch den Glauben der Menschen an die Marktwirtschaft erschüttert – und an jene, die sie vertreten: Banker, die Milliarden verzocken und nicht dafür geradestehen, Börsenhändler, die mit undurchsichtigen Geschäften das Ersparte vieler Bürger durchbringen. Deshalb zweifeln viele nicht nur am System, sondern auch an den Werten und der Moral, die ihm zugrunde liegen. „Ist die Marktwirtschaft ein Netto-Moralverzehrer? Erodiert sie ihr eigenes Fundament?“, fragte daher Karen Horn, Ökonomin vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW), am Mittwoch in Berlin.

„Von der Systemkrise der Wirtschaft zur Wertekrise der Gesellschaft“, unter diesem Titel hatten das arbeitgebernahe IW und die Schweizer Denkfabrik Avenir Suisse ins Tagesspiegel-Haus geladen. Tatsächlich fremdeln die Deutschen seit der Erfahrung durch die Finanzkrise mit den Prinzipien der Marktwirtschaft, wie Umfragen der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung zeigen. „Der Markt wird eher als Bedrohung gesehen denn als Instrument zur Verwirklichung eigener Ziele“, berichtete Stiftungs-Experte Thomas Volkmann. Die Menschen legten Wert auf die Freiheit von Lasten und Bedrohungen, nicht auf die Freiheit, Chancen zu verwirklichen. Eine „Ritalin- Gesellschaft“ sei dies, konstatierte Volkmann, letztlich gefährde diese Einstellung den Zusammenhalt und das Fortkommen.

In der Finanzkrise hat das Haftungsprinzip versagt, also das Zusammenwirken von Werten und Regeln. Die Verursacher seien „Zechpreller der Marktwirtschaft“, urteilte Gerhard Schwarz von Avenir Suisse. Ein Versagen des Systems sieht er indes nicht. „Der Markt ist immer nur so gut wie die Menschen, die auf ihm Handel treiben. Nicht der Markt kann versagen, nur die Menschen, die gierig sind oder dumm“, befand er.

Nicht erst seit der Finanzkrise gebe es eine Distanz zwischen Markt und Moral, stellte Joachim Fetzer vom Netzwerk Wirtschaftsethik fest. „Die Globalisierung ist nicht begleitet worden von einem globalisierten Wertebewusstsein“, sagte er. Selbst in Großkonzernen, die seit Jahrzehnten global tätig sind, sei es schwierig, sich auf einen Wertekanon mit Substanz zu einigen, berichtete Michael von Truchseß, ehemals Deutsche-Bank-Manager und nun Leiter des Arbeitskreises Evangelischer Unternehmer. Er warb für die Regeln der Religion – sie sei nicht nur „Heilserwartung“, sondern schaffe eine Basis für gemeinsames Leben und Menschlichkeit. Zugleich sei es schwierig, in einer Gesellschaft, die den Umbruch zum Prinzip erhebe, Werte zu vermitteln.

Der britische Historiker Harold James von der Princeton University sieht eher die „Schuldenwirtschaft“ von Staaten und Privaten als Problem. Nicht umsonst sei im Mittelalter der Zinswucher verboten gewesen und begrenze der Islam den Zins. James wünscht sich in der Zukunft Staaten, die alle Spielarten von Verschuldungen eingrenzen.

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