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Wirtschaft: „Kürzere Arbeitszeiten sind besser als Entlassungen“

EnBW-Chef Utz Claassen über den Nutzen von Flächentarifverträgen bei einer Firmensanierung, Strompreise und die Klimaschutzpolitik der Regierung

Herr Claassen, die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihren Vorgänger wegen „unrichtiger Darstellung der wirtschaftlichen Verhältnisse“. Waren die Zahlen früher geschönt?

Ich habe von dem Thema auch nur aus der Zeitung erfahren. Für mich gibt es keine Hinweise auf ein strafbares Verhalten des früheren Vorstandschefs Gerhard Goll.

Auf welche Hinweise könnte sich denn der Staatsanwalt stützen?

Das weiß ich nicht. Bei uns hat er bis jetzt nicht nachgefragt. Wir sehen uns von den Ermittlungen auch nicht betroffen und werden das Thema deshalb auch nicht weiter kommentieren.

Möglicherweise haben Sie selbst den Ermittlern einen Anlass geliefert. Kurz nach Antritt Ihres Amtes im Mai präsentierten Sie 950 Millionen Euro Verlust und ein radikales Sanierungsprogramm über eine Milliarde Euro. Das kam etwas überraschend.

Ein Programm zur Kostensenkung hatte schon der alte Vorstand beschlossen. Früher ist vielleicht nicht so deutlich gesagt worden, dass man dieses nicht erfolgreich umsetzen kann, ohne Personal abzubauen. Und wir haben die Stringenz der Umsetzung dieses Programms erhöht.

Sie waren Manager bei VW. Kann man EnBW sanieren wie einen Automobilhersteller?

Wir holen einen Prozess nach, den andere Branchen vor zehn oder 15 Jahren durchlaufen haben. Ich weiß schon jetzt, dass ich für diese Bemerkung kritisiert werde. Aber die Autohersteller bauen heute ihre Fahrzeuge in der Hälfte der Zeit von vor zwei Jahrzehnten. Da hat unser Unternehmen kräftig Nachholbedarf. Zumal uns einige unserer Konkurrenten schon um einiges voraus sind. Das muss man ganz selbstkritisch sehen. Aber wir sind nicht allein mit dem Ziel, die Kosten massiv zu senken. Auch Eon oder RWE haben entsprechende Programme angekündigt.

Wollen Sie die Vier-Tage-Woche ohne Lohnausgleich einführen, weil VW das mal erfolgreich vorgemacht hat?

Selbst wenn ich nicht aus der Autoindustrie käme, wäre es naheliegend, solchen Modellen zu folgen. Wenn unsere Belegschaft sich jetzt bereit erklärt, den Gürtel enger zu schnallen, muss sie auch im Erfolgsfall spüren können, dass sich das gelohnt hat. Besser Arbeitszeiten absenken und wieder anheben, als entlassen und wieder einstellen.

Sie haben es jetzt aber mit der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi zu tun, nicht mehr mit der IG Metall wie bei ihren früheren Arbeitgebern.

Da sehe ich keinen Unterschied. Man kann mit Verdi und der IG-Metall gleich vernünftig und vertrauensvoll diskutieren. Ich bin offen für jede Form der Arbeitszeitverkürzung.

Die Union fordert eine stärkere Öffnung der Tarifverträge. Würden davon auch Unternehmen wie EnBW profitieren?

Mehr Flexibilität ist immer gut. Meine Erfahrungen mit dem Metall-Tarif sagen mir aber, dass es nichts Wesentliches gibt, was man nicht im Rahmen des Flächentarifs vernünftig gestalten könnte. Bei Sartorius hatten wir die Situation, dass eine Sparte sehr stark gewachsen ist, während die andere gleichzeitig schrumpfte. Wir haben Überstunden, Extraschichten und Wochenendarbeit in dem einen Bereich vereinbart, in dem anderen hingegen die Arbeitszeit abgesenkt.

Der Flächentarifvertrag sollte also nicht angetastet werden?

Wichtiger als formale Regeln ist die Einstellung von Arbeitgebern und Gewerkschaften, Probleme zu lösen. Das fällt um so leichter, wenn man sich bewusst macht, dass die Rollen ja auch vertauscht sein könnten. Dann hätte ich die Interessen der Arbeitnehmer zu vertreten. Mit Polarisierung in Gut und Böse kommen wir da nicht weiter.

Wäre das ein Karriereziel für Sie, Utz Claassen als Erster Vorsitzender der IG Metall?

Es wäre zumindest eine interessante Erfahrung.

EnBW will 2000 Jobs unter anderem durch den Vorruhestand ab 52 Jahren streichen. Damit saniert auch Ihr Unternehmen auf Kosten der Sozialkassen.

Den Vorwurf kenne ich. Er ist nicht berechtigt. Die Frage lautet, was ist sozialer, Vorruhestand oder betriebsbedingte Kündigung? Der Sozialstaat trägt in beiden Fällen die Lasten mit. Vorruhestandsregelungen sind außerdem günstiger, als wenn wir jungen Menschen kündigen, die dann jahrelang arbeitslos sind. Ich kann mir in diesem Land niemanden vorstellen, der lieber kündigt, statt den Vorruhestand zu nutzen.

Die Regierung prüft, ob die staatliche Alimentierung des Vorruhestands abgeschafft werden soll.

Das macht generell keinen Sinn, solange wir in der Konjunkturflaute sind. Das hätte nur noch mehr betriebsbedingte Kündigungen zur Folge. Wir bauen doch keine Arbeitsplätze ab, weil die rechtlichen Rahmenbedingungen günstig sind, sondern weil uns die wirtschaftliche Lage des Unternehmens dazu zwingt.

Der Billigstromanbieter der Bewag, Best Energy, wird eingestellt. Andere haben schon aufgegeben. Wann verschwindet Yello?

Wir haben keinen Plan, Yello dicht zu machen. Unsere bundesweite Stromtochter muss aber spätestens im Jahr 2005 schwarze Zahlen schreiben. Yello ist die bekannteste deutsche Strommarke und mit einer Million Kunden außerordentlich erfolgreich. Nur Geld verdienen wir damit noch nicht. Deshalb erarbeiten wir gerade ein neues Konzept.

Mit den Preisbrechern verabschiedet sich auch der Wettbewerb (siehe Lexikon Seite 17) aus dem Strommarkt.

Der Wettbewerb ist nicht tot. Es ist eben etwas schwieriger, Konkurrenz im Energiesektor zu organisieren, weil man auf Leitungsnetze angewiesen ist. Da müssen komplizierte Durchleitungsfragen geklärt werden. Für die notwendige Gerechtigkeit muss der künftige Energieregulierer sorgen. Ich möchte nicht auch noch den von der Konkurrenz gesponserten Fußballverein finanzieren, nur, weil ich deren Stromleitungen benutzen will.

Die Regierung wird von Ihrer Branche hart kritisiert, sie gebe umweltpolitischen Zielen zu großes Gewicht.

Diese Kritik teile ich nicht. Die Umweltpolitik ist extrem wichtig. Wir dürfen nicht so tun, als seien die Strompreise der nächsten fünf Jahre wichtiger als die ökologische Entwicklung der nächsten fünfhundert Millionen Jahre. Die umwelt- und industriepolitischen Ziele der Regierung halte ich für ausgewogen.

Fürchten Sie nicht, dass die Strompreise wegen zusätzlicher Umweltlasten explodieren?

Die Preise für Strom werden steigen, wenn der Klimaschutz konsequent verfolgt wird. Man muss dies nur ganz offen sagen und die resultierenden Folgewirkungen für die Kunden bedenken und diskutieren.

Der Atomkonsens ist wieder ins Gespräch gekommen. Die Opposition hat ihre Bereitschaft angekündigt, im Falle eines Wahlsieges den Vertrag aufzukündigen. Warten Sie darauf?

Nein. Ich warte nicht auf irgend etwas. Wir halten uns an gültige Verträge. Und daran orientieren wir uns auch in unseren Planungen.

Ihr Atomkraftwerk Obrigheim geht bald vom Netz. Was werden Sie stattdessen bauen?

Das ist noch nicht entschieden. Wir überlegen gerade, mit welchem Energiemix wir in Zukunft in unserem Unternehmen Strom erzeugen wollen.

Sie könnten zukaufen statt ein neues Kraftwerk zu bauen. Etwa bei Ihrem Aktionär Electricité de France, der Ihnen sicher gern französischen Atomstrom anbietet.

Wir wollen uns nicht zum reinen Stromhändler entwickeln. Schon jetzt kaufen wir über 20 Prozent unseres Bedarfs am Markt, mehr sollte es nicht werden. Die strategische Partnerschaft mit der EDF eröffnet allerdings ganz generell viele positive Perspektiven und ist für uns eine große Bereicherung.

An wen verkaufen Sie den Gebäudedienstleister Gegenbauer-Bosse?

Gegenbauer-Bosse ist ein attraktives Unternehmen auf einem Markt mit guten Entwicklungsperspektiven. Bis Jahresende hoffe ich eine Lösung vorlegen zu können. Ich will aber keine der Beteiligungen unter Wert verkaufen, nur wegen des Zeitdrucks. Ich will aber auch nicht jahrelang warten.

Sie haben sich zum Start bei Ihrem neuen Arbeitgeber den Ruf erworben, aus taktischen Gründen erst einmal alle Leichen aus dem Keller zu holen. Stört sie das?

Wissen Sie noch, welche Empörung in diesem Land einige Manager auslösten, weil sie die Lage ihrer Unternehmen in schönsten Farben gemalt hatten? Denken Sie nur an Teile der New Economy. Meine Vorstandskollegen und ich haben absolut keinen Spaß daran, schlechte Nachrichten in die Welt zu setzen. Als börsennotiertes Unternehmen sind wir aber verpflichtet, die wirtschaftliche Lage wahrheitsgemäß darzustellen. Und dazu gehört es auch, über die Schwächen dieses Unternehmens ehrlich zu berichten.

Das Gespräch führte Dieter Fockenbrock.

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