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Kieferorthopäden: Lachen wie die Stars

Jedes zweite Kind hat eine Zahnspange. Für die Eltern ist die Behandlung oft mit enormen Kosten verbunden. Ein neuer Test zeigt: Die Preisspannen sind riesig.

Wer schön sein will, muss leiden. Bei Kindern beginnt das Leid meist mit dem 10. Geburtstag. Dann bekommen sie ihre erste Spange – gewollt oder ungewollt. Zahnspangen gehören heute zum guten Ton. „Fast jedes zweite bis dritte Kind hat eine“, berichtet Gundi Mindermann, Vorsitzende des Berufsverbandes der Deutschen Kieferorthopäden. Rund 6,7 Millionen Behandlungen rechnen dessen Mitglieder im Jahr mit den Krankenkassen ab, fast immer sind die Kassenpatienten Kinder.

AUCH ERWACHSENE WOLLEN SPANGEN

„Bei Erwachsenen zahlen die Kassen fast nie“, sagt Tanja Koch von der Krankenkasse Barmer GEK. Zahnspangen gelten hier als Schönheitsmaßnahmen, die von den Patienten selbst getragen werden müssen. Dennoch gehen immer mehr Erwachsene zum Kieferorthopäden. Inspiriert von Filmstars und Models lassen sie sich Metall, Drähte oder Schrauben in den Mund setzen, um schiefe Zähne oder Zahnlücken zu korrigieren. Eine solche Behandlung kann Jahre dauern. Und sie kann – sowohl bei jungen als auch bei erwachsenen Patienten – viel Geld kosten. Je nach Therapie reichen die Kosten von einigen Hundert bis hin zu 8000 Euro.

WAS DIE KASSE ZAHLT

Bei Kindern zahlen die Kassen, wenn die Fehlstellung gravierend ist. Um das zu beurteilen, werden die Fälle in fünf verschiedene Kieferorthopädische Indikationsgruppen (KIG) eingeteilt. Die Kassen beteiligen sich erst ab KIG 3 an den Kosten, etwa bei einem Tiefbiss mit Überlappung der oberen Schneidezähne von mehr als drei Millimetern, wenn die unteren Schneidezähne das Zahnfleisch verletzen. Ob Tiefbiss, offener Biss, Engstand oder Platzmangel – ein Millimeter kann darüber entscheiden, ob die Kassen die Kosten übernehmen oder die Eltern die gesamte Behandlung selbst finanzieren müssen. Liegt das Kind knapp unter der Grenze, sollten Eltern zu einem zweiten Arzt gehen und diesen nachmessen lassen, empfiehlt die Stiftung Warentest. Manchmal lohnt es sich auch abzuwarten. Weil Ober- und Unterkiefer wachsen, können sich Fehlstellungen im Laufe der Zeit so verschärfen, dass die Kasse doch noch zahlen muss.

EXTRAS GEHEN EXTRA

Doch selbst wenn die Kasse einspringt, bleiben die Eltern oft auf einem Teil der Kosten sitzen. Denn in vielen Fällen empfehlen die Ärzte Extras, die über die Kassenleistung hinausgehen und von den Patienten selbst getragen werden müssen. Wer das nicht will, muss notfalls längere Therapiezeiten in Kauf nehmen, einen häufigeren Wechsel der Drähte oder empfindliche Zähne. „Drängen Sie darauf, dass Ihr Kieferorthopäde Sie über Sinn und Nutzen privat zu zahlender Leistungen detailliert aufklärt“, rät die Stiftung Warentest. „Noch besser wäre es, wenn solche Leistungen bereits auf dem Kostenvoranschlag verständlich charakterisiert würden“, schreiben die Verbraucherschützer in der aktuellen Ausgabe des Test-Heftes (Test 3/2010).

RIESIGE SPANNEN

Doch das ist meist nicht der Fall, wie die Tester in einer jetzt veröffentlichten Stichprobe selbst herausgefunden haben. Sie haben zwei Mädchen und einen Jungen im Alter zwischen zwölf und 14 Jahren zu insgesamt sechs niedergelassenen Kieferorthopäden geschickt, jedes Kind wurde dabei von zwei Ärzten begutachtet. Zuvor waren die Testkinder von einem Fachgutachter untersucht worden. Dessen Empfehlungen wurden dann mit den Kostenvoranschlägen der niedergelassenen Kieferorthopäden verglichen.

Die Abweichungen waren deutlich, obwohl aus Sicht der Tester keiner der konsultierten Fachärzte einen gravierenden Fehler gemacht hatte. Besonders auffällig: Im Fall eines 14-jährigen Mädchens, das unter einem Kreuzbiss und einem Überbiss von vier Millimetern leidet, kam der Gutachter auf Gesamtkosten von 4070 Euro, von denen die Eltern 1080 Euro übernehmen müssten. Der erste Kieferorthopäde blieb mit Gesamtkosten von 3820 Euro unter dem Ansatz des Gutachters, die zweite Praxis lag mit prognostizierten Gesamtkosten von 7050 bis 7550 Euro (Eigenanteil der Eltern: 3400 bis 3900 Euro) deutlich über der Lösung des Gutachters.

Besonders problematisch aus Sicht der Tester: Keiner der sechs Kostenvoranschläge war so transparent, dass die Eltern entscheiden konnten, ob sie die Privatleistungen brauchen oder nicht. Zudem werden die Extras meist nicht als frei wählbare Module angeboten, sondern sind jeweils Teil des Gesamtpakets.

DIE UNTERSCHIEDE

Patienten sollten gezielt nach preiswerten Lösungen fragen, empfiehlt die Stiftung Warentest. Auch eine Zweit- oder Drittmeinung könne helfen. Dass es Riesenunterschiede zwischen den Kostenvoranschlägen gibt, weiß auch Verbandsvertreterin Gundi Mindermann. Sie arbeitet als Kieferorthopädin in Bremervörde. „Zwischen uns und einer Praxis an der Kö in Düsseldorf liegen Welten“, sagt die Ärztin. Klar ist: Wer nur die allerbesten Rezepturen und aufwendige Therapien wählt, zahlt mehr. „Das ist wie beim Auto“, meint Mindermann.

MEHR ALS NUR SCHÖN

Zahnspangen sind Ausdruck der Wohlstandsgesellschaft. Auch ohne Klammer kann man überleben. Dennoch steckt hinter der Zahnspange mehr als der Wunsch, dem Einheitslook zu entsprechen, betont Mindermann. „Es ist heute wissenschaftlich erweisen, dass Fehlbelastungen der Zähne und des Kiefers den ganzen Körper beeinträchtigen können“, warnt die Ärztin. Schön aussehen und gesund sein – beides kann die Spange leisten.

Weitere Hinweise finden Sie im Ratgeber „Kieferorthopädie“ der Stiftung Warentest. Er kostet 14,90 Euro

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