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Wirtschaft: Langer Atem, großes Ziel

Akademiker haben derzeit beste Berufschancen – doch vor allem der Einstieg kann schwierig sein.

Für David Renz hat sich das Durchhalten gelohnt. Vor wenigen Tagen hat der 28-Jährige die Zusage für seinen ersten festen Arbeitsvertrag bekommen. Mitte September fängt er an, als Landschaftsarchitekt in einem Büro im hessischen Wetzlar. Sein langer Atem hat sich ausgezahlt.

Hinter David Renz aus Kassel liegen anstrengende Monate. Im März hat er sein Studium abgeschlossen: einen Master in Stadtplanung. Außerdem hat er ein Diplom in Landschaftsarchitektur, er absolvierte zwei Praktika und arbeitete während seiner Studienzeit als studentische Hilfskraft in einem Architekturbüro. Trotzdem dauerte es fast ein halbes Jahr, bis seine Arbeitssuche schließlich Erfolg hatte. In der Zwischenzeit lebte er von Erspartem, von Gelegenheitsjobs und mit Unterstützung seiner Eltern.

Die Familie und seine Freundin waren es auch, die ihm durch die vergangenen Monate geholfen haben. Nach etwa drei Monaten hatte ihn vorübergehend die Hoffnung verlassen. „Eigentlich ohne speziellen Anlass“, sagt er. Wieder ein Landschaftsarchitekturbüro heraussuchen, wieder ein Anschreiben verfassen, auf die Antwort warten und schließlich – im besten Fall – zum Bewerbungsgespräch fahren: Dazu konnte er sich nur noch schwer motivieren. „Da war die Luft erst einmal raus“, sagt Renz. Mit viel Disziplin und der Unterstützung seiner Familie rappelte er sich wieder auf.

Dabei stehen die Berufsaussichten für Akademiker sehr gut, der Trend zur höherqualifizierten Beschäftigung und der demografische Wandel tragen entscheidend dazu bei. 2012 waren 2,4 Prozent der Akademiker arbeitslos – laut Definition bedeutet das Vollbeschäftigung. Auch die ältere Generation der Akademiker profitiert davon. 2012 waren von den über 55-Jährigen bundesweit mehr als 82 Prozent erwerbstätig. 2003 waren es nur 70 Prozent.

„Eine gute Statistik bedeutet natürlich nicht, dass es im Einzelfall nicht schwierig werden kann“, sagt Ralf Beckmann, Arbeitsmarktexperte der Bundesagentur für Arbeit. 2012 waren bundesweit etwa 170 000 Akademiker arbeitslos, davon 23 200 in Berlin. Von Hartz IV lebten bundesweit 63 000, in Berlin 11 600. Gerade der Berufseinstieg ist nicht immer einfach – vor allem, wenn das Jobprofil nach dem Studium nicht klar umrissen ist. Eher schwer tun sich Absolventen von sprach- und kulturwissenschaftlichen Fächern, ebenso in den Bereichen Publizistik und Marketing. Sehr gute Aussichten gibt es für Human-, Zahn- und Tiermediziner, Informatiker, Ingenieure, Elektrotechniker, Mechatroniker.

Wenn David Renz rückwirkend etwas anders machen könnte, hätte er sich früher über die Berufschancen für Landschaftsarchitekten informiert. „Trotz Anratens meiner Verwandtschaft habe ich mir darüber keine Gedanken gemacht“, sagt er. Nach dem Abschluss wandte er sich an die Beratung der Arbeitsagentur. Er suchte über deren Jobbörse und über die Architektenkammern der Länder.

Bei etwa 35 Architekturbüros in ganz Deutschland hat sich der 28-Jährige beworben, gut zehn Mal wurde er zum Bewerbungsgespräch eingeladen. Zwischenzeitlich hatte er auch einfach Pech: Einmal bekam er ein paar Zusagen – doch als er sich für ein Büro entschieden hatte, sprang dieses ab und Renz stand wieder mit nichts da.

Aufgegeben hat Renz nicht – und auch nicht wirklich mit seinem Schicksal gehadert. Nach 13 Semestern Studium habe er sich zwar schon gedacht: „Jetzt war ich so lange in der Uni, das müsste sich doch mal auszahlen.“ Doch nachdem er aus dem Tief einmal herausgekommen war, hatte er auch wieder Optimismus gefasst.

Mehr als die Hälfte aller arbeitslosen Akademiker finden schon nach weniger als drei Monaten eine Stelle. Dennoch rät Arbeitsmarktexperte Ralf Beckmann zu einem langen Atem in der Bewerbungsphase. Er empfiehlt außerdem, auch Initiativbewerbungen zu schreiben und Netzwerke zu pflegen. Kontakte etwa aus früheren Praktika oder den Alumni-Netzwerken der Hochschulen können sich auszahlen. „Der erfolgreichste Weg, eine neue Stelle zu finden, geht immer noch über persönliche Kontakte“, sagt Beckmann. Nach drei, vier Monaten erfolgloser Arbeitssuche werde es jedoch Zeit, die Suchstrategie zu überdenken.

„Gerade bei einer akademischen Ausbildung spielt die Identifikation mit dem Berufsfeld oft eine große Rolle“, sagt Psychotherapeut Roland Raible. Manchen fiele es bei der Arbeitssuche schwerer, sich neu ins Gedächtnis zu rufen, ob die eigenen Stärken mit dem Berufsziel übereinstimmen. Dabei ist es gerade bei unfreiwilliger Arbeitslosigkeit wichtig, die Zukunft wieder selbst in die Hand zu nehmen. „Sonst fühlt man sich wie ein Stück Holz, das im Fluss treibt“, sagt Raible.

Ralf Beckmann empfiehlt die Beratungen für akademische Berufe in den Arbeitsagenturen. „Die Berater geben zum Beispiel gezielte Tipps für die Bewerbungsstrategie und für alternative Tätigkeitsfelder. Manchmal hilft es schon sehr, wenn man weiß, welche Begriffe man im Suchfeld noch eingeben kann.“

Manchmal habe er ein wenig das Gefühl von verlorener Zeit gehabt, sagt David Renz. Und er habe gemerkt, wie wichtig es ist, dass man während der Jobsuche einen Zeitplan macht. „Man sollte sich zwischendrin immer wieder kleine Ziele setzen.“ So hat er seine Pflanzenkenntnisse aufgefrischt und außerdem kleine Projekte übernommen, wie den Terrassenbau im Schrebergarten eines Freundes. Was er getan hätte, wenn er bis Ende des Jahres noch keine Arbeit gefunden hätte? „Dann hätte ich versucht, als freier Mitarbeiter oder in Teilzeit einzusteigen“, sagt er. Ein weiteres Praktikum wäre für ihn nicht infrage gekommen. „Davor haben sie uns schon an der Uni gewarnt“, sagt er. Laut Ralf Beckmann ist die Praktikumsfalle jedoch gar nicht so häufig, wie man denkt. „Das ist eher der Ausnahmefall“, sagt er. Zu den Ausnahmen gehören Bereiche wie Journalismus, Kulturmanagement und Marketing.

David Renz indes ist froh, dass für ihn die Bewerbungsphase erst einmal beendet ist. Und dass er sich nach Monaten der Arbeitssuche nun auf die Wohnungssuche konzentrieren kann.

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