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Unparteiisch. Ringrichter sorgen dafür, dass sich die Kontrahenten nicht ohne Regeln verprügeln, sondern sich einen fairen Kampf liefern. Mediatoren haben eine ähnliche Aufgabe – wenn sie auch nicht eins zu eins der eines Schiedsrichters im Sport gleicht. Als Vermittler dürfen sich die Mediatoren weder auf eine Seite schlagen noch ihre eigenen Ideen einbringen. Foto: Reuters

© REUTERS

Wirtschaft: Lasst uns reden!

Mediatoren helfen, Konflikte im Sinne aller Beteiligten zu lösen. Eine Weiterbildung zum Mediator bietet sich etwa für Pädagogen oder Architekten an.

Der Kampf um die Bäume beginnt im Sommer 2007. Als ein rund 50 Meter langer Abschnitt am Tempelhofer Ufer ins Wasser rutscht, muss das zuständige Wasser- und Schifffahrtsamt handeln. Die Behörde beschließt, 200 Bäume zu fällen. Dort wird vermutet, dass die Wurzeln den Boden lockern. Doch bei den Anwohnern regt sich heftiger Widerstand. Sie sammeln tausende Unterschriften, besetzen die Bäume, einige ketten sich sogar an sie. Die Situation droht zu eskalieren. Schließlich lenkt die Behörde ein und startet ein Mediationsverfahren. Mehr als sechs Jahre dauern die Verhandlungen. Erst Ende des vergangenen Jahres einigen sich Behörden, Naturschützer und Anwohner auf einen Kompromiss zur Ufersanierung des Landwehrkanals.

Ohne sie hätten sich die Streithähne vermutlich nicht zusammengerauft. Beate Voskamp und ihre Kollegen von der Berliner Mediator GmbH haben das Verfahren begleitet. „Die Situation war zunächst total verfahren“, sagt die 48-Jährige. „Aber alle Beteiligten waren unglaublich engagiert.“ Vertreter von rund 25 Gruppen kommen regelmäßig zusammen. In stundenlangen Sitzungen machen sie ihre Positionen klar, kämpfen um ihre Interessen. Die Mediatoren sind dabei die Übersetzer und Vermittler zwischen Behörden und Aktivisten. „Häufig ging es darum, sicherzustellen, dass alle Teilnehmer genau verstehen, was der jeweils andere eigentlich meint", sagt Beate Voskamp. Es geht um Begriffe wie Ziegelflachschichten, Wasserrahmenrichtlinien, Primärsanierungsmethoden – die Materie ist kompliziert.

Der Streit um die Ufersanierung des Landwehrkanals ist eines der umfangreichsten Mediationsverfahren Deutschlands. Doch nicht nur, wenn es Konflikte bei großen Bauvorhaben oder im öffentlichen Raum gibt, kommt die Technik der Mediation zum Einsatz. Bei Familienkonflikten, bei Streitereien in der Schule oder unter Kollegen, sind Mediatoren als neutrale Vertrauensleute gefragt.

Vor allem Unternehmen setzen immer häufiger auf Mediationsverfahren. Ärger in der Firma gibt es aus vielen Gründen. Der unbeliebte Kollege ist vom Teammitglied zum Teamchef aufgestiegen und wird boykottiert. Es knirscht in der Abteilung, da neue Aufgaben dazukommen und andere Stellen Aufträge erteilen. Die neue Kollegin will nicht nur das Büro umräumen, sondern auch altbewährte Arbeitsabläufe komplett über den Haufen werfen. Wenn Personalgespräche nichts mehr erreichen, muss der Mediator ran.

Die Qualifizierung ist eine Zusatzausbildung, die auf beruflichen Erfahrungen aufbaut. Sie richtet sich vor allem an Juristen, Personalmanager, Pädagogen oder Architekten. Einheitliche Vorgaben für die Ausbildung gibt es bisher nicht. Der Stiftung Warentest zufolge legt jeder Mediationsverband seine eigenen Standards fest. Da der Markt der Anbieter boomt und noch unübersichtlich ist, haben die Testexperten einen Leitfaden für angehende Mediatoren entwickelt. Wie führe ich Gespräche? Wie leite ich Verhandlungen an? Wie reagiere ich, wenn der Konflikt zu eskalieren droht? Antworten auf diese Fragen müssen Bestandteil der Ausbildung sein. Seminare und Praxiseinsätze halten die Experten für die besten Lernformen. Sie veranschlagen mindestens 200 Wochenstunden über mehr als 20 Wochen hinweg. Hinzu kommt eine Supervision, denn auch die Mediatoren brauchen ein Ventil, um die Konflikte, die sie aushalten müssen, zu verarbeiten.

„Es menschelt an allen Ecken und Enden", sagt Voskamp. Bevor sie ihre Mediatorenausbildung bei der Architektenkammer machte, arbeitete sie als selbstständige Landschaftsarchitektin. Sie kennt die Arbeit der Bauplaner, der Behörden, der Investoren. Voskamp weiß, wie sie vor großen Gruppen sprechen muss und wie sie deren Interessen ausloten kann. Doch wer Mediator werden will, braucht vor allem eins: eine professionelle Distanz zu den Sachverhalten und den Beteiligten. Als Vermittler dürfen sich die Mediatoren weder auf eine Seite schlagen noch ihre eigenen Ideen einbringen. Viele Techniken dazu könne man lernen, sagt Voskamp. Aber die Haltung und das Rollenverständnis müssen da sein, bevor die Ausbildung zum Mediator in Frage kommt.

Dies gilt vor allem dann, wenn die Teilnehmer ihrem Ärger lautstark Luft machen. Voskamp muss Ruhe bewahren. Manchmal kann es helfen im richtigen Moment eine Pause zu machen, sagt sie. Fenster auf, eine Runde an der frischen Luft, die Gemüter abkühlen. Wenn die Mediatoren es schaffen, nach einem Wutausbruch die Lage so zu analysieren, dass die Verhandlungen wieder Fahrt aufnehmen, hat Voskamp ihr Ziel erreicht. Aus Gegenspielern sollen schließlich Verbündete werden.

Dass der Chef seine Mitarbeiter zum Gespräch mit allen Beteiligten verdonnert, davon hält Voskamp nichts. Der Expertin zufolge, schafft das eine schwierige Ausgangslage für die Mediation. Gleichzeitig bleibt vielen Vorgesetzen keine andere Wahl. „Alle Betroffenen müssen ein Mindestmaß an Gesprächsbereitschaft zeigen, die Lage besprechen zu wollen“, sagt Voskamp. „Sonst ist der Erfolg eines Mediationsverfahrens nahezu aussichtslos.“ Meist beugen sich die Mitarbeiter dem Druck des Chefs. Dennoch hat auch Voskamp schon erlebt, dass Teilnehmer bereits nach der ersten Sitzung die Runde verlassen wollen. Vertrauen und Zuversicht, dass sich am Ende des Verfahrens eine Lösung abzeichnet, fehlt vielen. Dann schreitet Voskamp ein. Ihr Job ist es, die Bedenken der Zweifler zu erkennen und auch den anderen Beteiligten klar zu machen.

Hoffnungslose Fälle, in denen auch eine Mediation nichts mehr ausrichten kann, gibt es kaum. Auch im Streit um die Ufersanierung des Landwehrkanals waren 2007 die Positionen verfahren, der Ton rau, die Emotionen kochten. „Oft wäre es besser, man würde viel früher einen Vermittler einschalten“, sagt Voskamp. Eine Lösung ließe sich leichter finden, wenn die Situation noch nicht eskaliert sei. Doch die Ufersanierung am Landwehrkanal hat auch gezeigt: Selbst wenn die Polizei anrückt und Demonstranten sich an Bäume ketten, lohnt es sich zuzuhören und zu reden. Manchmal dauert es dann allerdings mehr als sechs Jahre, bis sich alle einigen können.

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