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Wirtschaft: Lebenselexier Biochip

Nach den Computern revolutionieren Chips nun auch die Medizin – Krankheiten können schneller erkannt werden

Microchips haben das Leben sehr viel leichter gemacht. Künftig könnten sie es auch verlängern. Seit Wissenschaftler vor einigen Jahren das menschliche Genom entschlüsselt haben, arbeiten Experten an der Entwicklung neuer gen-basierter Medikamente. Doch es ist zeitaufwändig und teuer, die Daten mit konventionellen Methoden zu analysieren. Um den Prozess zu beschleunigen, haben sich die Forscher an die Halbleiterhersteller gewandt. Die Lösung: Biochips.

Die neue Chipgeneration soll die Entwicklung neuer Medikamente billiger machen und verkürzen. Außerdem könnte sie Ärzten bei der Diagnose und Behandlung von Krankheiten helfen. Vorteilhaft sind die Biochips nicht zuletzt für die Halbleiterindustrie selbst: Die Chiphersteller könnten damit die häufig extremen Schwankungen auf ihrem Kernmarkt – den Speicherchips – abfedern. „Wir betreten damit wirklich Neuland“, sagt Malcolm Penn, der Chef des Halbleiter-Research-Unternehmens Future Horizons.

Die Chips können tausende Genfragmente eines Patienten speichern. Wissenschaftler analysieren diese auf der Suche nach Abweichungen im genetischen Material. Aus Unregelmäßigkeiten erfahren sie, wie sich eine bestimmte Krankheit auf die Gene auswirkt und wie die Gene auf eine bestimmte Behandlung reagieren.

Der Biochipmarkt wurde 2001 auf ein Milliarde Dollar (992 Millionen Euro) geschätzt. Aber Analysten erwarten, dass der Markt bis 2005 auf fast 3,5 Milliarden Dollar wächst. Bisher dominiert das kalifornische Unternehmen Affymetrix den Markt mit seinem Produkt Gene-Chip. Doch das Unternehmen muss sich auf wachsende Konkurrenz einstellen. Kürzlich haben zwei der führenden europäischen Halbleiterhersteller – die deutsche Infineon Technologies AG und die italienisch-französische STMicroelectronics – die Entwicklung eigener Produkte angekündigt.

Gene durchfließen die Chips

Anders als die kalifornische Affymetrix, die nur im Nischenmarkt der Biochips tätig ist – gehören die beiden europäischen Unternehmen zu den Großen der Halbleiterbranche. Bisher waren sie mehr in der Welt der PCs als in der medizinischen Forschung zu Hause. Europäischer Pionier in Sachen Biochips ist Infineon. Das Unternehmen hat kürzlich ein Produkt namens Flow-Thru- Chip vorgestellt – und erhielt dafür vom Wall Street Journal Europe einen Innovationspreis. „Wir sehen langfristig ein großes Potenzial in diesem Bereich“, sagt der Infineon-Vorstandschef Ulrich Schumacher.

Der Infineon-Chip unterscheidet sich von einigen seiner Vorgänger dadurch, dass es aus Silizium statt Glas besteht. Der Vorteil: Silizium beschleunigt Experimente, liefert genauere Ergebnisse und ist preiswerter. Infineon und andere Halbleiterhersteller müssen für die Fertigung von Silizium-Biochips kaum zusätzlich investieren, weil sie auf vorhandene Fertigungstechniken und -kapazitäten zurückgreifen können.

Was den etwa 100 Dollar teuren Infineon-Chip so innovativ macht, ist seine Durchlässigkeit. Eine genetische Probe kann auf drei Arten ausgewertet werden, weil sie durch winzige Löcher im Chip fließt. Der Infineon-Forscher Volker Lehmann entwarf den Chip in seinen Grundzügen bereits Mitte der Achtzigerjahre. Während er mit verschiedenen Ätztechniken von Silizium experimentierte, entdeckte Lehmann eine Methode, wie man eine Materialoberfläche mit gleichgroßen Löchern produziert. Wie sich herausstellte, konnte die Methode nicht für die Herstellung konventioneller Speicherchips verwendet werden, wie er gehofft hatte. Doch Ende der Neunziger fand Lehmannn eine andere Verwendung für seine Entdeckung – die Biochips. Vor zwei Jahren hat Infineon ein Team zusammengestellt und sich gemeinsam mit dem US-Biotech-Unternehmen Gene Logic an die Entwicklung des Chips gemacht. Denn Infineon hat zwar die Technik, aber nicht die Erfahrung, was die potenziellen Kunden von Biochips erwarten.

Der Infineon-Konkurrent STMicroelectronics (ST) verwendet teilweise die gleiche Technik wie der „Flow Thru Chip“ von Infineon. Ihr Chip „Lab On Chip“ transportiert ein DNA-Muster in einer Flüssigkeit durch winzig kleine Kanäle im Silizium. Dabei wird die DNA verstärkt und ermittelt. ST hat auf Techniken zurückgegriffen, die es in anderen Chips verwendet, etwa in jenen von Tintenstrahldruckern. Der Chip wird noch nicht produziert, ST schätzt aber die Kosten auf anfangs etwa 50 Dollar pro Stück.

Die Anwendungsmöglichkeiten von Biochips sind groß. Für Pharmahersteller sind sie bereits ein wichtiges Instrument geworden. Einerseits werden neue Medikamente damit auf Sicherheit und Wirksamkeit getestet. Andererseits spielen sie eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der so genannten „personalisierter Medizin“, die auf das genetische Profil eines Patienten maßgeschneidert ist. Zum Beispiel entwickelt die Schweizer Roche Holding AG mit Affymetrix einen DNA-Chip, der feststellen soll, wie gut die Behandlung zum Beispiel mit Antidepressiva bei einem Patienten anschlägt. Der Chip soll 2003 auf den Markt kommen.

Der Biochip dürfte nur der erste Schritt einer größeren Revolution sein, die die Welt der Medizin mit der Welt der Informationstechnologie zusammenführt. „Die Pharmaindustrie steht vor der gleichen tiefgreifenden Veränderung, die wir vor 20 Jahren in der Elektronik gesehen haben“, sagt Thomas Klaue, Leiter des Bereichs Business Development bei Infineon.

Matthew Karnitschnig

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