zum Hauptinhalt
Verloren. Anleger hatten bei Sparkassen und Banken Zertifikate von Lehman Brothers gekauft. Sie sind seit der Pleite wertlos. Foto: dpa

© picture alliance / dpa

Wirtschaft: Lehman-Opfer hoffen

Der Bundesgerichtshof entscheidet kommende Woche über die ersten Fälle. 50 000 geschädigte Anleger erwarten ein Urteil mit Signalwirkung

Rund 50 000 Anleger in Deutschland werden am 12. April aufmerksam nach Karlsruhe blicken. Denn zweieinhalb Jahre nach dem Bankrott der US-Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 befasst sich der Bundesgerichtshof zum ersten Mal konkret mit Klagen geschädigter Anleger. In Hunderten Prozessen quer durch die Republik versuchen Anleger derzeit, Entschädigungen der Banken zu erzwingen: Ins Feld geführt werden vor allem Beratungsfehler und fehlende Risikohinweise, aber auch das Verschweigen von Provisionen beim Verkauf von ca. 170 verschiedenen Lehman- Zertifikaten, die nach dem Crash der Bank wertlos verfallen sind.

Genaue Zahlen sind nicht bekannt, doch soll die Schadenssumme bei etwa 700 Millionen Euro liegen. Verkauft worden sind die Produkte bis Juni 2008 vor allem von den Sparkassen aus Hamburg und Frankfurt, von der damaligen Citibank Deutschland, die heute als Targobank zur französischen Genossenschaftsbank Crédit Mutuel gehört, und von der Dresdner Bank, die mittlerweile mit der Commerzbank verschmolzen ist.

Erstinstanzlich, also vor den Landgerichten, haben viele Anleger recht bekommen, die Banken wurden zu Entschädigungen verurteilt. Allerdings wurden viele anlegerfreundliche Urteile in zweiter Instanz vor den Oberlandesgerichten wieder kassiert. „Die Richter höherer Instanzen haben zwar ebenfalls ein Schutzbedürfnis des Anlegers und eine breite Aufklärungspflicht der Bank gesehen, aber sie haben im Vergleich zu den ersten Instanzen einen Gang herausgenommen“, sagt Marco Cabras von der Deutschen Schutzvereinigung Wertpapierbesitz. Anleger- und bankenfreundliche Ergebnisse hielten sich in etwa die Waage.

So urteilte am 22. März das Oberlandesgericht Frankfurt im Sinne der Bank (AZ 14 U 133/10) und wies die Entschädigungsforderung der Klägerin ab – obwohl sich die Anlegerin als sicherheitsorientierte Kundin bezeichnet hatte. Aus Sicht der Klägerin hätte dies verhindern müssen, dass ihr Lehman-Zertifikate empfohlen wurden. Die Richter sahen dies anders und argumentierten, dass der Kundin die Existenz verschiedener Risikoklassen bewusst gewesen sein müsse und dass das von ihr gekaufte Kapitalschutzzertifikat aus damaliger Sicht als sicher bezeichnet werden könne, zumal die Bank über das Emittentenrisiko aufgeklärt hatte.

Zwar handelt es sich bei den Lehman- Geschädigten um Tausende unterschiedliche Fälle, weshalb auch Sammelklagen nicht zugelassen wurden. Dennoch erhoffen sich Kunden wie Banken nun vom BGH klärende Worte grundsätzlicher Natur. „Konkrete Hinweise über die erforderliche Risikoaufklärung und Beratung der Banken wären wünschenswert“, sagt Finanzanwalt Matthias Schröder, der „eine dreistellige Zahl von Lehmann-Geschädigten“ vertritt und die dem BGH vorliegenden Urteile erwirkt hat. Denn eine Vielzahl von Kunden warte höherinstanzliche Urteile und damit Hinweise auf Erfolgschancen ab, bevor der teure Klageweg beschritten werde. Zeit lassen dürfen sie sich damit nicht: Drei Jahre nach dem Kauf der Papiere verjähren alle Ansprüche, die letzten im Juni dieses Jahres. Einzig die Hamburger Sparkasse hat die Verjährungsfrist auf fünf Jahre verlängert.

Auch im aktuellen Fall vor dem BGH geht es um Detailprobleme, die nicht beispielhaft für viele andere Anleger stehen können: Der Kunde der Frankfurter Sparkasse hatte ein Lehman-Zertifikat gekauft, das bei kräftigem Kursverfall des Dow Jones am Ende nicht in bar zurückgezahlt werden, sondern in ein Ersatzzertifikat getauscht werden sollte. Dass Lehman diesen Ersatz nach zwei Jahren hätte kündigen können, erfuhr der Kunde nicht, denn die Bank wies ihn nicht auf eine entsprechende Passage im Emissionsprospekt hin. Sowohl Landgericht als auch Oberlandesgericht gaben dem Kläger Recht, die Frankfurter Sparkasse jedoch ging in Revision. Laut Kunden-Anwalt Schröder sind am BHG nun zwei Ergebnisse möglich: Entweder erhält der Anleger grundsätzlich Recht und die Bank zieht die Revision zurück – oder das Gericht verweist den Fall zurück an untere Instanzen. „Dies würde die Frage der Entschädigung um weitere Jahre verzögern“, so der Bank- und Kapitalmarkt- Experte. Insgesamt sind weitere 20 Fälle beim BGH anhängig, von denen die nächsten im September verhandelt werden.

Ein Teil der Banken ist schon von sich aus aktiv geworden. So habe die Targobank „rund 4000 Anleger im Rahmen einer Kulanzlösung mit 22 Millionen Euro entschädigt“, sagt Sprecher Peter Herkenhoff. In der gemeinsam mit der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen erarbeiteten Lösung wurde jeder Einzelfall geprüft: Während Härtefälle, unerfahrene und ältere Kunden höhere Erstattungen erhielten, bekamen andere weniger oder gar nichts. Insgesamt lagen die Entschädigungen zwischen 30 und 80 Prozent, sagt Herkenhoff. Die Verbraucherschützer sind mit der Lösung im Grundsatz zufrieden. Zwar handle es sich nur um einen Kompromiss, doch sei das Angebot für jene interessant gewesen, die nicht klagen können oder wollen, hieß es.

Die Frankfurter Sparkasse hat bereits im Herbst 2009 allen 5000 Kunden eine Entschädigung von 50 Prozent des Zertifikate-Nennwerts angeboten. 95 Prozent der Kunden hätten das Angebot angenommen, sagt ein Sprecher. Bei 250 Kunden sei das Problem noch ungeklärt, die Hälfte davon habe geklagt. Die Commerzbank, bei der angeblich 20 000 Anleger betroffen sind, lehnt jegliche Information über mögliche Entschädigungen oder Klagen ab. „Wir sagen dazu überhaupt nichts und weisen jeden Informationsanspruch zurück“, so ein Sprecher. Nachdem Verjährungsfristen bald ablaufen, könnte auch hier die Klagewelle noch einen neuen Höhepunkt erreichen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false