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Wirtschaft: Letztes Kräftemessen

Am Dienstag treffen sich die Mitglieder der Welthandelsorganisation, um zumindest eine Grundlage für den Abbau von Handelsschranken zu vereinbaren

Berlin - Die ärmeren Länder sollen endlich leichteren Zugang zum Welthandel bekommen, und weltweit sollen Subventionen radikal abgebaut werden: Das sind die Ziele der Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO), die am Dienstag in Hongkong beginnt. Knackpunkt sind die Gelder, die die Industrieländer ihren Bauern zur Unterstützung zahlen, und die Zölle, die diese Landwirte zusätzlich von der Konkurrenz aus den Entwicklungsländern abschottet. Da sich in dem Bereich keine Einigung zwischen Agrarexporteuren und -importeuren abzeichnet, haben alle Parteien ihre Erwartungen nach unten geschraubt.

Auch die Bundesregierung hat das Treffen schon abgeschrieben. Die Erwartungen müssten trotz der intensiven Verhandlungen der jüngsten Zeit „neu justiert“ werden, erfuhr der Tagesspiegel aus Regierungskreisen. „Ziele der Konferenz sind nunmehr eine Bestandsaufnahme der bisherigen Verhandlungsfortschritte“. Zu hoffen sei lediglich auf „Festlegungen möglicher Strukturelemente“ bei Agrarsubventionen, Industriezöllen und Dienstleistungen. „Außerdem soll durch die Vereinbarung eines konkreten und stringenten Zeitplans die Basis für die Fortführung der Verhandlungen im Jahr 2006 gelegt werden.“ Die Erklärung, die die Grundlage für die Verhandlungen kommende Woche sein soll, ist aus deutscher Sicht „unausgewogen“ und beim Abbau von Zöllen bei Industriegütern und Dienstleistungen „ambitionslos“.

Trotz dieses mageren Ausblicks übt der Bundesverband des Groß- und Außenhandels (BGA) nur verhalten Kritik. „Mehr ist halt nicht drin“, sagte der Präsident des Verbands, Anton Börner, dem Tagesspiegel. „Die gute Nachricht ist, dass die Konferenz nicht platzen, sondern einen neuen Zeitplan festlegen wird.“ Für die Exportnation Deutschland sei der freie Welthandel unverzichtbar. Insgesamt könnte der Abbau von Handelsschranken 300 Milliarden Dollar jährlich freisetzen, was auch deutschen Unternehmen zugute käme. „Wir verschenken Chancen“, sagte Börner.

Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie, Ludolf von Wartenberg, zeigte sich kritischer. „Eine allgemeine, ambitionierte Zollabbauformel, welche die angewandten Zölle tatsächlich spürbar senkt, ist aus unserer Sicht ein wesentliches Erfolgskriterium der Verhandlungen“, sagte er dieser Zeitung. Zahlreiche nicht-tarifäre Handelshemmnisse, wie nationale Standards und Zertifizierungsverfahren, seien „gerade für den Mittelstand ein bedeutsames Exporthemmnis“.

Schon seit Beginn der Runde im Jahr 2001 beharren die 148 WTO-Mitglieder mehr oder weniger auf ihren Positionen. Die Fronten sind festgefahren, weil die Industrieländer sich weigern, ihre Agrarsubventionen abzubauen, wenn die Schwellen- und Entwicklungsländer nicht ihre Zölle für die Industriegüter und Dienstleistungen aus den reichen Ländern senken.

Die Zeit läuft jetzt davon. Mitte 2007 läuft das Verhandlungsmandat von George W. Bush aus. Kommt es vorher nicht zu einer Einigung, fürchten viele das Ende des Multilateralismus und den Beginn von bilateralen Handelsabkommen – zum Nachteil der Entwicklungsländer.

AGRAR

Ein Beispiel, an dem sich Folgen und Wirkungen von Zöllen und Subventionen im Agrarbereich illustrieren lassen, ist die Milch. Milch, meist in Form von Milchpulver, aber auch als Butter und Käse, ist, wie Marita Wiggerthale, Agrarexpertin von Oxfam sagt, „der größte Exportschlager“ der Deutschen, respektive der EU-Ernährungsindustrie. Weltweit werden jährlich 620 Millionen Tonnen Milch produziert. In der EU sind es 138 Millionen Tonnen. Weit mehr als in Europa verzehrt werden. Der Rest wird exportiert.

Das Problem ist: Mit Produktionskosten von 30 und mehr Cent pro Liter liegt die EU weit über dem Weltmarktpreis, und weiter noch über dem Preis des Milch-Billigerzeugers Neuseeland in Höhe von 15 Cent pro Liter. Um dennoch konkurrenzfähig zu sein, wird der EU-Milchexport massiv subventioniert: mit ein bis zwei Milliarden Euro pro Jahr. Damit wird die an sich teure Milch so billig, dass Länder, die wie Burkina Faso und Jamaika als Gegenleistung für einen Kredit der Weltbank die Schutzzölle für ihre heimischen Märkte abgeschafft haben, die Existenzgrundlage ihrer Milcherzeuger gefährdet sehen.

Und dass ein Land wie Indien – mit 90 Millionen Tonnen pro Jahr die größte Milchnation der Welt – auf seinen „natürlichen“ Exportmärkten Pakistan oder Bangladesch keinen Fuß auf den Boden bekommt, weil die indische Milch gegenüber der künstlich verbilligten EU-Milch nicht bestehen kann, bringt der EU auch von Seiten anderer großer exportwilliger und günstiger produzierender Milchnationen den Vorwurf unfairen Dumpings ein.

Damit nicht genug: „Vor dem Hintergrund hoher Produktionskosten klaut die EU mittels ihrer Subventionen nicht nur anderen die Exportmärkte, macht den Weltmarktpreis kaputt und zerstört zum Teil Wirtschaften in Entwicklungsländern“, sagt Martin Hofstetter, Experte für Landnutzung und regionale Agrarpolitik der Universität Kassel: „Mittels hoher Zölle schützt sie zudem den heimisch-europäischen Markt vor der an sich günstigeren Konkurrenz aus dem Ausland.“

Doch nicht nur die Länder, auch die Akteure haben unterschiedliche Interessen. Molkereien hier zu Lande wären für eine vorsichtige Liberalisierung durchaus zu haben, sie versprechen sich bessere Exportchancen für aus billigerer Milch hergestellte Produkte wie Käse. Deutsche Landwirte dagegen sehen das Problem, dass die Preise dann noch mehr unter Druck gerieten. Dem Verbraucher hingegen wäre billigere Milch eine Freude – als Steuerzahler hat er zudem ein Interesse an der Streichung von EU-Subventionen.

INDUSTRIE

Im Gegenzug für Zugeständnisse im Agrarbereich verlangen die Industriestaaten, dass die Entwicklungs- und Schwellenländer ihre Märkte stärker für Produkte wie Maschinen, Textilien oder Autoteile öffnen. Unter der Rubrik „Marktzugang für Nicht-Agargüter“ wird in Hongkong über Zollsenkungen beraten. Darunter fallen auch Forstwirtschaft, Fischerei, Erdöl und Mineralien. Ein Industriezweig, der sich viel von einer weiteren Liberalisierung verspricht, ist die Autoindustrie. Mit einem Volumen im Jahr 2005 von 154 Milliarden Euro ist der Autoexport ein Kernbereich des deutschen Exports. Offene Märkte, zuverlässige Rahmenbedingungen und der Schutz geistigen Eigentums sind für die hiesige Industrie wichtige Aspekte. Handelshemmnisse wie Einfuhrzölle verteuern Produkte aus Deutschland – und vermindern so nach Ansicht der Branche die Absatzchancen. Das wichtigste Ziel der WTO-Konferenz ist für sie daher, eine Zollsenkung für Industriegüter zu erreichen.

Gegenwärtig sind aber eine Reihe der dynamischsten Wachstumsmärkte vor allem in Asien – von Indien und Thailand bis Malaysia –, durch Zollmauern geschützt, die teilweise bei 100 Prozent liegen. Um diese Länder in den globalen Liefer- und Produktionsverbund einzubinden, ist ein Abbau dieser Zölle für die Autoindustrie unverzichtbar. Das könne am besten durch eine ambitionierte Zollsenkungsformel passieren, die für alle Länder, alle Zölle und alle Produkte gilt. Zugleich bestehen eine Vielzahl nicht-tarifärer Handelshemmnisse, zum Beispiel durch technische Regularien, die den weltweiten Automobilhandel behindern.

Die Entwicklungsländer aber wollen ihre heimische Industrie möglichst gut gegen Konkurrenz aus dem Norden schützen – für die Nichtregierungsorganisation (NGO) Weed ein legitimes Interesse. „Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass viele heutige Industrienationen durch solche Schutzzölle überhaupt erst einen bestimmten Industriesektor aufbauen konnten“, sagt Christina Deckwirth von Weed. Ein Zollabbau dagegen könne in Entwicklungsländern zu Deindustrialisierung führen. Dazu komme, dass die Zölle für viele Entwicklungsländer zu den wichtigsten Einnahmequellen gehören. „In Ländern der Subsahara-Region beispielsweise machen sie manchmal mehr als 40 Prozent der Staatseinkünfte aus“, sagt Deckwirth. „Wenn diese wegfallen, fehlt das Geld an anderer Stelle, zum Beispiel im sozialen Bereich.“

Für Dean Spinanger vom Kieler Institut für Weltwirtschaft zeigt dagegen das Beispiel Chinas, was eine wirtschaftliche Öffnung dem jeweiligen Land bringe: „Wenn China nicht importiert hätte, läge die Autoindustrie jetzt völlig am Boden.“ Denn vor dem WTO-Beitritt sei dieser Teil der chinesischen Industrie „katastrophal“ gewesen.

DIENSTLEISTUNGEN

Der Dienstleistungssektor ist der Wachstumsmotor der Weltwirtschaft. Insgesamt 163 Bereiche sollen nun bei den Welthandelsgesprächen stärker für den weltweiten Austausch geöffnet werden. Dies soll aber nicht nach einem allgemein verpflichtenden WTO-Prinzip geschehen, sondern zwischen den einzelnen Ländern ausgehandelt werden. Bislang wurden jedoch längst nicht von allen Staaten entsprechende Angebote gemacht.

Dienstleistungen umfassen unter anderem Banken mit ihren Finanzdienstleistungen, Versicherungen, Medien, Telekommunikation, Strom, Wasser, Bildung und Gesundheit – Bereiche, in denen deutsche Unternehmen schon jetzt weltweit erfolgreich aktiv sind. So machen Konzerne wie der Versicherer Allianz laut einer Studie der Welthandels- und Entwicklungskonferenz (UNCTAD) mittlerweile mehr als zwei Drittel ihrer Einnahmen außerhalb Deutschlands: 75,2 von 107,1 Millionen US-Dollar (90,5 Millionen Euro) setzt die Allianz demnach im Ausland – in 61 Ländern – um.

Die höchsten Wachstumsraten für Konzerne wie die Allianz versprechen dabei aufstrebende Schwellenländer wie China, Indien oder Brasilien – vorausgesetzt, noch bestehende Auflagen und Regulierungen, die das Geschäft derzeit bremsen, würden beseitigt. Vor allem die EU erhofft sich viel durch eine Öffnung der Märkte in den Entwicklungs- und Schwellenländern: Sie hat nach Angaben von Weed an 85 WTO-Mitglieder Forderungen zur Liberalisierung des Finanzsektors geschickt.

Für den Dresdner-Bank-Experten Rainer Schäfer profitieren beide Seiten davon: Deutschlands Wirtschaft sei schließlich abhängig von Exporten. Die Angst mancher Entwicklungsländer sei „meist unberechtigt“. Das erfolgreiche Beispiel Mexikos, wo viele internationale Finanzdienstleister vor Ort seien, zeige doch, dass vom Wettbewerb alle profitierten.

Dagegen lehnen die Entwicklungsländer eine weitere Finanzliberalisierung überwiegend ab – denn ihre Banken und Versicherungen sind international meist nicht konkurrenzfähig. Weed geht davon aus, dass bei einer weiter gehenden Öffnung der Anteil transnationaler privater Banken rapide ansteigt. Und die hätten wenig Interesse an armer Kundschaft. Als Folge befürchtet die NGO, dass arme Bevölkerungsschichten sozial ausgegrenzt würden.

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