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Wirtschaft: Lipobay und die Folgen: Nur über meinen Stempel - Seit dem Contergan-Skandal müssen Arzneimittel zugelassen werden

Alexander K. ist 43 Jahre alt und behindert.

Alexander K. ist 43 Jahre alt und behindert. Weil seine Mutter während ihrer Schwangerschaft ein Schlafmittel einnahm, kam er ohne Arme auf die Welt. Alexander K. war eines von weltweit 12 000 Contergankindern, die Ende der 50er Jahre mit verstümmelten Gliedmaßen geboren wurden.

Der Aachener Pharmakonzern Grünenthal musste das Schlafmittel Contergan 1961 vom Markt nehmen - der erste Arzneimittelskandal der Bundesrepublik. "Der Conterganfall hat der Öffentlichkeit ins Bewusstsein gerufen, dass Arzneimittel nicht nur Schmerzen lindern, sondern auch Risiken bergen", sagt Ulrich Hagemann vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BFARM). Denn damals existierten weder eine gesetzliche Grundlage, noch methodische Forschungsansätze für die Zulassung von Medikamenten: Pillen und Säfte kamen ohne behördliche Kontrolle auf den Markt, wissenschaftliche Tests mussten erst noch entwickelt werden.

Unter dem Eindruck der Contergan-Fälle wurde 1961 das erste Arzneimittelgesetz der Bundesrepublik verabschiedet. Stoffe die neu auf den Markt kamen, waren von nun an rezeptpflichtig. Im Juli 1975 gründete das Bundesgesundheitsministerium das Institut für Arzneimittel, aus dem 1994 das selbstständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte wurde. Seit dem Inkrafttreten des zweiten Arzneimittelgesetzes im Jahr 1978 ist das Institut für die Zulassung von Arzneimitteln, also ihre Überprüfung auf Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und pharmazeutische Qualität, zuständig. Auch nach ihrer Zulassung werden die Produkte vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte kontrolliert.

Bereits im Juli 1978 wurde das Institut für Arzneimittel aktiv und nahm Biguanide, die wegen ihrer blutzuckersenkenden Wirkung an Diabetes-Patienten verabreicht wurden, vom Markt. Der Grund: Die Übersäuerung des Blutes war als lebensbedrohliche Nebenwirkung entdeckt worden. Einzig das Biguanid-Derivat Metformin ist bis heute zugelassen, weil es für Zuckerkranke mit Übergewicht eine der bestmöglichen Therapien bietet. Ähnlich wie Metformin ist auch Leponex, das zur Behandlung von Schizophrenie-Patienten eingesetzt wird, trotz tödlicher Nebenwirkungen weiterhin im Handel. Der Grund: Der therapeutische Wert des Medikaments überwiegt die Gefahr einer möglichen Blutschädigung. Strenge Auflagen, wie eine regelmäßige Kontrolle des Blutbildes des Patienten, sollen das Risiko möglichst gering halten.

"Der Nutzen eines Medikaments ist immer wieder gegenüber den Risiken abzuwägen und gegebenenfalls müssen entsprechende Konsequenzen gezogen werden", sagt Judith Kramer vom Pharmaunternehmen Glaxo Smith Kline. Am 27. Oktober 1999 hatte der amerikanische Arzneimittelhersteller, der damals noch Glaxo Wellcome hieß, das Antibiotikum Grepafloxacin freiwillig vom Markt genommen. 2,7 Millionen Menschen waren mit dem Antibiotikum behandelt worden, als sieben Patienten an Herzrhytmusstörungen starben - eine bis dahin unentdeckte Nebenwirkung des Medikaments.

Eine Zahl, wie viele Medikamente wegen lebensbedrohlicher Nebenwirkungen in Deutschland bislang aus dem Verkehr gezogen wurden, gibt es nicht. "Bei der Rücknahme von Medikamenten spielen ganz unterschiedliche Gründe eine Rolle", erklärt Arznei-Experte Hagemann. "Eine Reihe von Medikamenten verschwinden vom Markt, weil die Umsatzzahlen nicht stimmen."

Nicht nur chemische Präparate können lebensbedrohliche Nebenwirkungen aufweisen, auch pflanzliche Arzneimittel haben es in sich. Das Fuchskreuzkraut, das in der Gynäkologie gegen unregelmäßige Blutungen angewandt wurde, ist wegen seines krebserregenden Potenzials von der BFARM auf die rote Liste gesetzt worden.

Das Medikament Contergan, das für die Behinderung von Alexander K. verantwortlich ist, ist dagegen heute wieder auf dem Markt erhältlich - in anderer Funktion: Die USA gaben Contergan 1998 zur Behandlung Leprakranker frei.

Dagmar Rosenfeld

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