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8,50 Euro, diese Zahl geistert seit Anfang März durch die Republik. Der Bundesrat stimmte in der vergangenen Woche für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn in dieser Höhe.

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Lohnuntergrenze: Was ein Mindestlohn für Berlin bedeuten würde

In Berlin arbeiten so viele Menschen für wenig Geld wie nirgends sonst - sie ist die Stadt der Hartz-IV-Aufstocker. Trotzdem sperren sich die Unternehmen immer noch gegen einen Mindestlohn.

Berlin - 8,50 Euro, diese Zahl geistert seit Anfang März durch die Republik. Der Bundesrat stimmte in der vergangenen Woche für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn in dieser Höhe. Welche Wirkung würde eine solche verbindliche Lohnuntergrenze in Berlin haben, der Stadt der Hartz-IV-Aufstocker, Minijobber und Geringverdiener?

Zwar nimmt die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Hauptstadt seit Jahren zu und liegt mittlerweile bei knapp 1,2 Millionen. Besonders stark ist der Zuwachs in der Dienstleistungsbranche, wo heute schon eine knappe Million tätig sind. Doch Arbeitssenatorin Dilek Kolat (SPD) klagte kürzlich, ein Großteil der neuen Beschäftigungsmöglichkeiten seien „prekäre und atypische Jobs“. So müssen derzeit in der Stadt rund 129 000 Beschäftigte aufstocken, weil ihr Verdienst zum Leben nicht reicht. Dazu zählt auch ein Viertel der knapp 215 000 Minijobber.

Die Gewerkschaften erwarten, dass ein gesetzlicher Mindestlohn die Firmenlandschaft in der Stadt bereinigt. „Unternehmen, die Dumpinglöhne zahlen, hätten es dann schwerer, und das ist gut so“, sagt der Sprecher des DGB-Bezirks Berlin-Brandenburg, Dieter Pienkny. Die verbliebenen Firmen könnten von der höheren Kaufkraft, die durch die bessere Bezahlung entsteht, profitieren und neue Jobs schaffen. „Wir sehen mittelfristig durch einen flächendeckenden Mindestlohn keine negativen Auswirkungen auf die Beschäftigung in der Stadt“, betont Pienkny. Zugleich geht der DGB-Mann davon aus, dass Dienstleistungen durch den Mindestlohn teurer werden könnten. „Sicher werden die Firmen versuchen, die höheren Lohnkosten auf die Preise umzulegen.“

Auch das Land, so argumentiert der DGB, kann durch eine gesetzliche Lohnuntergrenze sparen. 400 Millionen Euro würden derzeit allein in Berlin jedes Jahr an Aufstocker ausgezahlt. „Von diesem Geld, das ja letztlich eine Subvention der Unternehmen ist, kann man ein Stadtschloss bauen“, sagt der DGB-Mann. Zudem könne das Steueraufkommen steigen, da manche Minijobs durch den Mindestlohn zu regulären Beschäftigungsverhältnissen umgewandelt werden müssten.

Die Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB) sind gegen jede Art vorgeschriebene Mindestverdienste. „Ein gesetzlicher Mindestlohn würde bestehende Arbeitsplätze in Berlin und Brandenburg gefährden und den Eintritt von Jobeinsteigern, Langzeitarbeitslosen und Geringqualifizierten in den Arbeitsmarkt verhindern“, sagt UVB-Sprecher Frank Hufnagel. Dadurch könnten für den Fiskus und die Sozialversicherungen hohe Kosten entstehen.

Branchen, die besonders von einem gesetzlichen Mindestlohn profitieren könnten, sind das Gastgewerbe, die Friseure, den Einzelhandel sowie Paket- und Zustelldienste. Tatsächlich lohnt sich der Blick auf den Handel, der mit etwa 115 000 Beschäftigten eine der wichtigsten Branchen der Stadt ist. Zwar gibt es einen Tarif, der im Westteil bei 9,50 Euro liegt – also deutlich über dem derzeit angepeilten Mindestlohn. Wie viele Beschäftigte der Branche aber danach entlohnt werden, ist nicht bekannt. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hat für den Osten Deutschlands geschätzt, dass nur 27 Prozent der Handelsbeschäftigten tarifgebunden sind. Hinzu kommt, dass Firmen verstärkt Tätigkeiten an Werkvertragsunternehmen auslagern, die deutlich niedrigere Stundenlöhne zahlen. Ein gesetzlicher Mindestlohn könnte dem entgegenwirken. Allerdings nur, so gibt Verdi-Sprecher Andreas Splanemann zu bedenken, wenn das Land diese Unternehmen auch ausreichend kontrolliere.

Der Handelsverband Deutschland (HDE) sieht dagegen den Mittelstand bedroht, sollte ein Mindestlohn von 8,50 Euro kommen. „Für viele Tante Emma-Läden oder Spätkaufe, die sich gerade so über Wasser halten, kann ein solcher Mindestlohn das Aus bedeuten“, sagt HDE-Tarifexperte Heribert Jöris. Internationale Unternehmen könnten Jobs ins Ausland verlagern, was die Arbeitslosigkeit steigern und die Kaufkraft in Berlin schwächen würde. Zudem würden Minijobber in die Steuerpflicht rutschen. „Manche werden dann für das weniger Netto nicht mehr arbeiten wollen“, sagt Jöris. Ein flächendeckender Mindestlohn werde den regionalen Gegebenheiten in Deutschland nicht gerecht. „Berlin hat nicht die Kaufkraft von München und braucht daher ein anderes Lohnniveau“, sagt Jöris.

Die Senatsverwaltung für Arbeit prüft derzeit mögliche Auswirkungen eines Mindestlohns, für den sich auch SPD-Senatorin Dilek Kolat stark macht. Man rechne aus den Erfahrungen aus anderen EU-Ländern aber nicht mit negativen Beschäftigungseffekten für die Hauptstadt, teilte ein Sprecher mit. Jahel Mielke

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