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Wirtschaft: Lukas, dem Lokomotivführer, geht die Kohle aus

Die Augsburger Puppenkiste hat im letzten Jahr Verluste geschrieben. Weil das Marionettentheater von Idealisten geführt wird – und nicht von Betriebswirten

Ein bisschen seltsam ist die Geschichte schon. Die Augsburger Puppenkiste, eines der bekanntesten und berühmtesten Kindertheater Deutschlands, ist im vergangenen Jahr schwer in die roten Zahlen gerutscht. 98000 Euro Verlust bei einem Gesamtetat von 1,5 Millionen Euro. Das ist eine Menge Geld, wenn es keine Reserven gibt. Und wenn die Eigentümer trotzdem keinen der 14 Puppenspieler oder der 15 anderen Angestellten entlassen will. Warum macht das Unternehmen, das so weltbekannte Figuren wie Urmel aus dem Eis oder Jim Knopf und der Wilden Dreizehn Gestalt und Gesicht gegeben hat, keinen Gewinn?

„Weil wir uns eine gewisse Sentimentalität leisten“, sagt Klaus Marschall, der Chef der Puppenkiste. So wird die Augsburger Puppenkiste sich erst einmal damit begnügen, nach der Sommerpause zum ersten Mal seit Jahren die Preise für ihre Eintrittskarten ein bisschen zu erhöhen. Um 50 Cent für Kinder, um einen Euro für Erwachsene. Die teuerste Karte für Erwachsene kostet dann 18 Euro, die teuerste für Kinder 9,50 Euro. Wenn das nicht reicht, müsse man zum Januar vielleicht noch mal aufschlagen. Vielleicht aber auch nicht. Wenn man neue Partner finden würde, für eine Tournee, dann vielleicht nicht. Oder wenn es einen Partner fürs Merchandising gibt, das ist der Verkauf von Urmel-Produkten, Wutz-Handtüchern und Flammo-Feuerwehrbär-Plüschfiguren.

Ein harter Sanierungskurs für das Theater sähe anders aus. Aber einen solchen Kurs würden Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer, der kleine König Kallewirsch und die Blechbüchsenarmee, nicht überleben. Sagt Marschall. „Wir bekennen uns dazu, dass wir ein Subventionstheater sind. Das heißt, dass wir auch soziale Verpflichtungen haben. Wir wollen den Profit nicht ungehemmt maximieren.“

Ein Subventionstheater tut nämlich vieles nicht, worüber andere Unternehmen gar nicht erst nachdenken müssen. Ein Subventionstheater ist immer auf Monate hinaus zu hundert Prozent ausverkauft, und erhöht die Preise trotzdem nur um fünf Prozent. Ein Subventionstheater hat Figuren, mit denen McDonald’s, die Bahn, Süßigkeitenhersteller und Handelsunternehmen sofort werben würden – und lässt die Puppen trotzdem in der Kiste, weil Puppenspieler keine Burger mögen. Ein Geschäftsführer eines Subventionstheater fährt vor ein paar Jahren nach München und besucht die super-erfolgreichen Haffa-Brüder, die gern ein paar Lizenzen von der Puppenkiste kaufen würden. So, wie die EM-TV-Gründer vorher auch die Muppet-Show-Rechte gekauft haben. Aber der Subventionstheater-Puppenspieler-Geschäftsführer unterschreibt nicht. Er haut ab. Weil ihm die Haffas unheimlich sind.

Ein Subventionstheater ist eines, das nicht sein ganzes Geld alleine verdienen muss, weil es staatliche Zuschüsse bekommt. 119000 Euro im Jahr von der Stadt Augsburg, 125000 Euro vom Land Bayern, 27600 Euro vom Landkreis, dazu das Gebäude, die Heizung. Gereicht hat das trotzdem nicht im letzten Jahr. Das ist eine kleine Katastrophe. Denn es gibt niemanden, der den Verlust übernimmt.

Theoretisch könnte die Puppenkiste öfter spielen. Aber bei 367 Vorstellungen im Jahr geht nicht viel mehr: Jeden Tag, außer den Theaterferien wird schon jetzt zwei Mal gespielt. Mit Lizenzeinnahmen für seine berühmten Marionetten könnte die Puppenkiste Millionen verdienen. Sie könnte Filme und Videos verkaufen, Computerspiele, Bettwäsche und Plüschtiere nach Art der Urmels und Wawas gestalten, Lokomotivführer-Zahnbürsten fertigen und Lilalu-Schepperland-Bobbycars rollen lassen.

Könnte. Theoretisch. Aber das geht das nicht. „Weil wir nicht an jeder Tankstelle hängen wollen. Und weil wir oft die Rechte gar nicht haben“, sagt Marschall. Die Puppenkiste war vermutlich der letzte Ort in Deutschland, der von der Erfindung der Videotechnik Kenntnis nahm. Deshalb hat auch nie jemand daran gedacht, dass Videorechte wichtig sein könnten. Heute kann man überall Puppenkisten-Videos kaufen. Nur im Augsburger Theater nicht. Es sei denn, „wir bekommen noch einen Restposten Videos von Sony, die wir verkaufen können“, sagt Marschall.

Vernachlässigt haben die Puppenspieler auch die Rechteverhandlungen über die eigenen Figuren. In Augsburg arbeiten Puppenspieler, keine Betriebswirte. So hat die Puppenkiste zwar die Rechte am Urmel, aber nur „am dreidimensionalen Urmel in grünem Nickidress, das an Fäden hängt“. Trägt Urmel eine Latzhose, oder wird Lukas der Lokomotivführer ohne Pfeife in einer Holzeisenbahn gesehen, kassiert ein anderer. EM.TV zum Beispiel, oder der Medienunternehmer Saban, der gerade die Kirch Media gekauft hat. So gibt es sogar ein Edutainment-Computerspiel namens „Urmels Filmstudio“, das die Spiele-Firma Infogrames zwischen „Panzer Dragon“ und „Heroes of Might and Magic 4“ anbietet, „aber das ist nicht unser Urmel, wirklich nicht“, beteuert Marschall.

„Eine neue erfolgreiche eigene Story, mit eigenen Figuren, das wäre was“, träumt der Chef der Pupenkiste. Da wüsste man genau, was zu tun ist: Rechte sichern, ein, zwei und dreidimensional, mit und ohne Fäden, in Plüsch und auf CD-Rom. Dann würde der Wohlstand über Augsburg hereinbrechen? „Kein bisschen“, erschreckt sich der Geschäftsführer. „Wir würden nur mit ganz hochwertigen Firmen zusammenarbeiten, solchen, mit denen wir uns identifizieren.“ Jim-KnopfPreise bei der Bahn zum Beispiel wird es zunächst nicht wieder mit Erlaubnis der Augsburger geben: „Die machen im Augenblick nur Negativ-Schlagzeilen, da wollen wir nicht dabei sein.“

Und jetzt? Fürs erste reicht die Hypothek auf das Haus der Mutter, die die Familie aufgenommen hat. Und dann gibt es noch Hoffnung: auf eine Tournee. Auf eine neue Fernsehproduktion. Und auf das Urmel. Da liegen die meisten Rechte jetzt wieder bei Max Kruse, dem Schriftsteller der Urmel-Bücher. „Und mit dem reden wir darüber, ob wir jetzt gemeinsam etwas machen können“, sagt Marschall.

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