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Machtverschiebung: Chinas Wirtschaft wächst weiter

China holt auf, militärisch und ökonomisch, und wird damit zum Hauptkonkurrenten der Vereinigten Staaten. Wie groß ist der Abstand noch?

Im zweiten Quartal 2010 hat China eine höhere Wirtschaftsleistung erzielt als Japan: Die Summe belief sich für die Monate April bis Juni auf 1,339 Billionen Dollar. Japan erreichte 1,288 Billionen Dollar. Ökonomen halten es nun für wahrscheinlich, dass China auch in der Gesamtabrechnung des Jahres 2010 Japan vom zweiten Platz der Liste der größten Volkswirtschaften verdrängt. China hatte Deutschland, das jahrzehntelang die drittgrößte Volkswirtschaft war, bereits 2007 überholt. Auch militärisch wird China stärker: Einer Studie des Pentagon zufolge rüstet China sein Militär stark auf, veröffentlicht diese Informationen im Gegensatz zu westlichen Ländern aber nicht.

Ist China wirtschaftlich wirklich so stark?

Chinas Wirtschaft wirkt nun noch mächtiger. Exportweltmeister sind sie ja schon, im vergangenen Jahr haben sie Deutschland an der Spitze abgelöst. Nun sind sie auch beim Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal 2010 zum ersten Mal auf Platz zwei hinter den USA vorgerückt. Seit 1968 hatte Japan diesen Platz innegehabt. Und Chinas Wirtschaft wächst weiter, die Weltbank prognostiziert, dass das Reich der Mitte in 15 Jahren auch die Vereinigten Staaten überholt haben könnte.

Im zweiten Quartal 2010 wuchs das chinesische Bruttoinlandsprodukt mit 10,3 Prozent allerdings etwas langsamer als im Quartal zuvor (11,9 Prozent). Diese leichte Abkühlung ist von der chinesischen Regierung gewünscht, sie fürchtet nichts mehr als eine Überhitzung der Wirtschaft. Auch relativiert ein Sprecher des Handelsministeriums den Titel als zweitgrößte Wirtschaftsmacht: „Wir sollten nicht nur auf die Größe der Wirtschaft schauen, sondern auch auf die Pro-Kopf-Zahlen.“ Das Pro-Kopf-Einkommen betrage in China rund 3800 Dollar (rund 3000 Euro), womit das Land in der Rangliste des Internationalen Währungsfonds lediglich auf Rang 99 liegen würde. Knapp hinter Jordanien und Albanien.

Zwar schreitet die chinesische Urbanisierung rasant fort und lässt damit noch viel Spielraum für Wachstum. Gleichzeitig ist das Land zu sehr von seinen Exporten abhängig, die heimische Nachfrage lässt zu wünschen übrig und die Furcht steigt, dass die Immobilienblase platzen könnte. Das würde schlagartig aufdecken, dass ein großer Teil des Wachstums auf einer sehr großzügigen Kreditvergabe der chinesischen Banken beruht. „Chinas Wirtschaft ist weiterhin unausgewogen, sie stützt sich übermäßig auf Exporte und Investitionen“, sagt der Chinaexperte Ben Simpfendorfer von der Royal Bank of Scotland.

Wo steht China militärisch?

Vor kurzem hat Taiwans Militär per Computer einen Angriff Chinas auf das Land simuliert. Das Resultat laut einem Pressebericht: In drei Tagen hätten die Chinesen die Hauptstadt Taipeh erobert. Kein Wunder, dass Taiwan wie schon zu Jahresbeginn Hilfe bei den USA sucht und darum bittet, Waffen kaufen zu können, F-16-Kampfjets und dieselbetriebene U-Boote zum Beispiel. Auch Vietnam und Japan fürchten einen militärischen Konflikt mit China. Neben den historischen Spannungen mit der Volksrepublik streiten die beiden Länder mit China um Inseln im süd- und ostchinesischen Meer.

Während sich Taiwan militärisch von den rund 1600 Raketen an Chinas Ostküste bedroht fühlt, hat es sich seit Mittwoch wirtschaftlich an China so stark angenähert wie nie zuvor. Taiwans Parlament verabschiedete mit den Stimmen der regierenden Kuomintang-Partei das umstrittene Handelsabkommen mit China. Die oppositionelle DPP enthielt sich der Stimmen. Das Abkommen, mit dem Einfuhrsteuern auf zahlreiche Produkte entfallen, wird als größte Annäherung zwischen Taipeh und Peking seit dem Ende des Bürgerkrieges 1949 bezeichnet. Aber es hat in Taiwan auch wütende Proteste bei Teilen der Opposition ausgelöst, die einem Ausverkauf und schließlich die Vereinigung des Landes mit China fürchtet.

Wie beurteilen die USA die neue Stärke Chinas?

Für Amerikas Medien gehört die Veränderung in der Rangordnung zu den wichtigsten Nachrichten der ersten Wochenhälfte. China gilt in den USA seit Jahren als der Maßstab für die künftige Machtverteilung in der Welt. Russland wird längst nicht mehr als ernsthafter Konkurrent bewertet. Und die Europäische Union betrachten die Amerikaner als freundlichen Wirtschaftsriesen ohne größere Ambitionen in der Weltpolitik.

Wirtschaftsexperten sagen, es sei nur „ein symbolischer Meilenstein“, wenn China Japan überhole. Die US-Wirtschaft sei annähernd drei Mal so groß wie die chinesische. China liege bei Technik und Produktivität weit zurück. Es erziele pro Kopf der Bevölkerung nur ein Zehntel der Wirtschaftsleistung westlicher Industriestaaten. Fraglich sei auch, ob die Wirtschaft weiter so ungehindert wachse. Außerdem drohen Konflikte wegen der sozialen Spannungen zwischen boomenden Städten und armen ländlichen Regionen. Und es gibt immer wieder ethnische und religiöse Unruhen in Tibet sowie den Provinzen mit hohem Muslimanteil. Die neuen Daten dienen den USA vor allem als Anlass, Peking erneut aufzufordern, seine Währung aufzuwerten und so zu einer faireren Handelsbilanz beizutragen.

Chinas Aufstieg wird als Beispiel für die generelle Machtverschiebung zwischen führenden Industriestaaten und Schwellenländern interpretiert. Indien und Brasilien könnten in einigen Jahren Italien, Großbritannien und Frankreich die Ränge fünf bis sieben unter den größten Wirtschaftsmächten streitig machen.

Welche Folgen hat der Wettkampf um Platz eins zwischen den beiden Staaten?

Die USA betrachten sich noch für lange Zeit als unangefochtene Nummer Eins in der Welt. In der ökonomischen und militärischen Debatte um Chinas Aufstieg geht es zunächst nur um die regionalen Interessen beider Länder in Asien. Wird Peking die nationalen Interessen dort egoistisch und aggressiv verfolgen oder ist es bereit, Mitverantwortung für die allgemeine Stabilität zu übernehmen? In der weltweiten Finanzkrise hat sich China konstruktiv und gemeinschaftsdienlich verhalten. Im Konflikt um Nordkorea dagegen könnte Peking mehr Druck auf Pjöngjang ausüben.

Militärisch wird Peking die USA auf absehbare Zeit nicht im globalen Maßstab herausfordern können. Aber seine Aufrüstung verändert die Balance bei regionalen Konflikten in Asien. Sollte es, zum Beispiel, zu einem Krieg um Taiwan kommen – Peking betrachtet die Insel als Teil Chinas, die USA haben sich verpflichtet, Taiwans Souveränität zu verteidigen –, müssten die USA sich auf Flugzeugträgerflotten stützen und deren Versorgung mit Treibstoff und Waffen über viele tausend Kilometer sicherstellen. Chinas Streitkräfte könnten von Stützpunkten auf dem Festland operieren, die nur wenige hundert Kilometer entfernt sind.

Weltweiter Einfluss hat seinen Preis. Die USA betrachten sich als Macht mit globaler Verantwortung. China tut das heute nicht. Und es ist unklar, ob es diese Rolle überhaupt anstrebt.

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