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Der Bohrturm einer Ölförderplattform, die nach dem Prinzip des «Fracking» arbeitet.

© picture alliance / dpa

Märkte: Wie es um das Erdöl steht

Der Terror verunsichert die Märkte, der IS verdient daran und vielerorts droht der Kollaps: So steht es momentan um das Erdöl.

Minus 60 Prozent in den vergangenen drei Jahren, minus 45 innerhalb eines Jahres, minus 13 seit Mitte Oktober: Der Ölpreis sinkt beharrlich und massiv. 2012 noch bei 127 Dollar je Barrel – das ist ein Fass mit 159 Litern – notiert Öl der Marke Brent aktuell nur bei 44,5 Dollar. Doch eine Trendwende könnte bevorstehen.

„In einem Jahr steht Öl wieder bei 60 Dollar“, prognostiziert Eugen Weinberg, Leiter der Abteilung Rohstoff-Research bei der Commerzbank. Dafür gebe es eine ganze Reihe von Gründen: Zum einen sei das Wachstum in China und den Schwellenländern zwar schwach, doch Industrien, die viel Öl benötigen oder eine höhere Ölnachfrage nach sich ziehen, wie die Autoindustrie, wachsen gut. Gleichzeitig werde der niedrige Preis teure Ölfördermethoden immer stärker bremsen, etwa die Gewinnung aus Schiefer in den USA – das sogenannte Fracking.

DER KRIEG ALS PREISRISIKO

Gleichzeitig bleibe die Nachfrage aber robust. Für 2016 prognostiziert die Opec, das Kartell erdölfördernder Länder, eine Ausweitung der Nachfrage um 1,8 Millionen auf gut 94 Millionen Barrel – pro Tag. Sollte der gegenwärtige Kampf gegen den „Islamischen Staat“ (IS) in Syrien zu einem größeren militärischen Konflikt in die Kurdenregion und den Südirak hinein eskalieren, dann könnte umgekehrt eine Verknappung anstehen. Auch die Marktpsychologie – Öl wird wie andere Rohstoffe vor allem über Finanzkonstrukte wie Futures gehandelt – setzte dann auf einen Preisanstieg. „Im Fall eines größeren Krieges ist fast jeder Ölpreis denkbar“, warnt Weinberg. Er persönlich sehe dafür in den nächsten Jahren ein erhebliches Risiko.

Kurzfristig jedoch glaubt der Commerzbank-Analyst wie viele andere Öl-Experten zunächst an weitere Abschläge. Denn die Opec, der die USA nicht angehören, versuche, mit hohen Förderquoten den Preis tief zu halten, um US-Produzenten aus dem Markt zu drängen. Vor allem Saudi-Arabien, der drittgrößte Ölproduzent der Welt nach Russland und den USA mit einem Ausstoß von etwa elf Millionen Barrel pro Tag, habe keine Pläne, die Förderung zu drosseln, obwohl der eigene Staatshaushalt bereits angeschlagen ist.

DIE VORRÄTE SIND GROSS

Ob die Strategie fortgesetzt wird, entscheidet sich unter anderem auf dem nächsten Treffen der Opec am 4. Dezember in Wien. Gleichzeitig sind die Vorräte sehr hoch. „In den Öllagern der Industriestaaten liegen derzeit 210 Millionen Barrel mehr als im Schnitt der vergangenen fünf Jahre“, sagt Alexander von Gersdorff, Sprecher des Verbandes der deutschen Mineralölindustrie. Weitere Ölmengen von bis zu einer Million Barrel pro Tag zusätzlich werde der Iran auf den Markt bringen, sollten im Dezember tatsächlich die Sanktionen gegen das Land fallen.

Auch der Irak sei dabei, die Förderung zu erhöhen. Analysten von Goldman Sachs etwa glauben deshalb, dass der Ölpreis kurzfristig weiter einbrechen und sich auf bis zu 20 Dollar halbieren könnte. Was mit einem Poker um die Kontrolle der Ölpreise begonnen habe, sei inzwischen zu einem echten Ölkrieg geworden, warnen die Analysten der US-Bank. Bleibe die Terrorgefahr hoch oder komme es sogar zu weiteren Anschlägen, könne dies den Ölpreis deckeln, weil viele Verbraucher dann weniger auf Reisen gehen und auch der Konsum sinke.

GEFÄHRLICHE EINNAHMEN

Die Angriffe der USA und Frankreichs auf den IS hingegen blieben ohne größere Auswirkungen auf den Ölpreis, sagen Experten. Denn der IS kontrolliere nur acht kleinere Ölfelder entlang des Euphrat im Osten Syriens, etwa die Ölfelder von Tanak und von Omar. Jene 30 000 bis 50 000 Barrel, die er dort pro Tag fördere, seien für den Weltmarktpreis unerheblich. Der Irak hingegen holt jeden Tag vier Millionen Barrel aus dem Boden. Eine Ausweitung des Krieges, sagt Weinberg, könnte sich daher erheblich auf den Ölpreis auswirken.

Für den IS ist Öl immer noch eine der wichtigsten Einnahmequellen, neben Erlösen aus dem Verkauf von Antiquitäten, Schutzgelderpressungen, Steuereinnahmen, Enteignungen und Spenden aus sunnitischen Golfstaaten. Laut US-Verteidigungsminister Ashton B. Carter verdiente der „Islamische Staat“ zuletzt mit Ölverkäufen etwa 40 Millionen Dollar pro Monat, rund 38 Millionen Euro, bis zu einer halben Milliarde pro Jahr. Das Öl habe der „Islamische Staat“ über Mittelsmänner und den Schwarzhandel ins benachbarte Ausland, aber auch an die syrische Regierung von Assad und selbst nach Kurdistan verkauft. Die Informationen stammten von Geheimdiensten.

Schäden an Raffinerien nach Angriffen wurden vom IS jeweils rasch wieder behoben. Zuletzt allerdings intensivierten die USA und Frankreich ihre Angriffe gezielt, um die Nutzung der Ölvorkommen längerfristig zu behindern und dem IS damit Geldquellen zu nehmen. Auch Tanklastwagen wurden angegriffen. Ob die Attacken erfolgreich waren, ist noch nicht bekannt. Sollte der Ölpreis jedoch steigen, könnte dies nicht zuletzt dem IS wieder nützen. Ölexperten halten es deswegen auch für denkbar, dass der IS Anschläge auf Ölanlagen im Irak plant. Dies könnte die Risikoprämien auf Öl sofort dramatisch steigen lassen und den Preis rasch verdoppeln, heißt es.

STAATEN UND KONZERNE LEIDEN

Für eine steigende Zahl an Mineralölunternehmen und Ölförderern in Europa sind die niedrigen Ölpreise inzwischen ein existenzielles Problem. Vor allem die britische Ölindustrie, die das schwarze Gold mit höheren Kosten aus der Nordsee holt, sah sich bereits vor einigen Monaten „nahe am Kollaps“. Auch Staaten wie Venezuela, Norwegen und Russland, deren Staatshaushalt zu einem erheblichen Anteil von Einnahmen mit Öl abhängt, leiden. Moskau etwa musste bereits Ausgaben in Milliardenhöhe zusammenstreichen und die Notfallreserven anzapfen. Umgekehrt befürchten Importländer wie Japan, dass mit dem billigen Ölpreis zusätzliche Gefahren einer Deflation importiert würden, weil die Preise fallen.

Für Industrien, die Öl als Rohstoff zur Produktion benötigen, etwa die chemische Industrie, ist der Preisverfall hingegen ein Segen. Sie sparen Milliarden. Auch Autofahrer und Haushalte, die mit Öl heizen und vor dem Winter noch ihren Tank füllen müssen, profitieren. Entscheidend ist hier jedoch nicht nur die Höhe der Ölpreise, sondern auch die Entwicklung des Euro, denn Öl wird ausschließlich in US-Dollar gehandelt. Fällt der Euro gegenüber dem Dollar beispielsweise um fünf Prozent, verteuert sich auch Heizöl um fünf Prozent, selbst wenn der Ölpreis stabil ist. Umgekehrt nutzt ein steigender Euro den Ölimporteuren zusätzlich.

Deutschland bezieht sein Öl insgesamt aus 30 Staaten, vor allem aus Russland, Großbritannien und Norwegen. Syrien gehört bereits seit 2011 nicht mehr zu den Lieferländern.

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