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Wirtschaft: „Manager sollten auch gute Bürger sein“

EnBW-Chef Claassen über den Wert der Mitbestimmung und Erwartungen an den Energie-Regulierer

Herr Claassen, die Industrie und Arbeitgeberverbände fordern eine grundlegende Reform der Mitbestimmung. Würden Sie das unterschreiben?

Es ist die Aufgabe der Verbände, Reformen anzumahnen. Und es darf keine Tabuthemen geben. Meine Erfahrung ist aber, dass einschneidende Maßnahmen in den Unternehmen leichter im Konsens mit den Arbeitnehmern gestaltet werden können. Ich halte es deshalb für sehr wichtig, Arbeitnehmer auch in die formalen Gremien einzubinden und sie nicht auszugrenzen.

Den Arbeitnehmern wird zurzeit schon genug zugemutet. Also Hände weg von der Mitbestimmung?

Ich hätte die Diskussion jetzt nicht begonnen. Auch wenn sie legitim ist. Das grundsätzliche Infragestellen der Mitwirkung von Arbeitnehmern in den Aufsichtsräten ist der falsche Weg, um in Deutschland die Veränderungen zu erreichen, die wir brauchen. Nicht nur zu diesem Zeitpunkt.

BDI-Präsident Michael Rogowski spricht von einem „Irrtum der Geschichte“.

Ich empfinde hohe Wertschätzung und große Sympathie für Herrn Rogowski. Diese Formulierung halte ich jedoch für einen fundamentalen Fehler. Der Begriff ist völlig unangemessen. Wenn Arbeitnehmer oder Gewerkschafter in Aufsichtsräten sich für die Entwicklung ihrer Unternehmen eingesetzt haben, dann kann das kein Irrtum der Geschichte sein.

Reformbedarf wird auch bei der Arbeitszeit gesehen. Sollten wir länger arbeiten?

Ein gestrichener Feiertag hilft der Volkswirtschaft, keine Frage.

Bayern und Baden-Württemberg, die Bundesländer mit dem stärksten Wachstum, haben die meisten Feiertage. Das spricht gegen diese Theorie.

Die hätten vielleicht noch höhere Wachstumsraten, wenn sie weniger Feiertage hätten. Es ist jedenfalls kein Beweis dafür, dass ein zusätzlicher Arbeitstag nicht mehr Wachstum bringt.

Die Arbeitgeber kritisieren auch das starre Korsett der Tarifverträge und fordern längere Wochenarbeitszeiten.

Die Flexibilisierung der Arbeitszeiten ist sehr wichtig. In jede Richtung. Bei guter Auftragslage muss mehr, in schwierigen Zeiten weniger gearbeitet werden können. Wir haben bei EnBW die Viereinhalbtagewoche eingeführt und die Löhne und Gehälter um 5,2 Prozent abgesenkt. Alles im Rahmen der geltenden Flächentarifverträge.

Also kein Reformbedarf?

Gemessen an meinen Erfahrungen nicht.

Minister Clement meint, durch die starke Anhebung von Strom- und Gaspreisen werde die energieintensive Industrie aus dem Land getrieben. Wie patriotisch muss die Energiewirtschaft sein?

Wir haben in erster Linie eine Verantwortung gegenüber unseren Aktionären, unseren Belegschaften und unseren Kunden. Darüber hinaus sollte sich auch jeder Manager bemühen, ein guter Bürger zu sein.

Fordert die Regierung immer noch die Rücknahme der Preiserhöhungen?

In dem Gespräch mit Herrn Clement am letzten Wochenende sind an uns keine Forderungen herangetragen worden. Im Übrigen haben wir Vertraulichkeit über den Inhalt der Gespräche vereinbart.

Im nächsten Jahr soll – mit Verspätung – der Energieregulierer starten. Ihre Branche warnt vor Überregulierung. Gefährden sinkende Netzpreise tatsächlich gleich die Versorgungssicherheit in Deutschland?

Es gibt keine lineare Verknüpfung zwischen Investitionen, Kosten und Versorgungssicherheit. Das ist sicher richtig. Aber Versorgungssicherheit ist auch nicht zum Nulltarif zu haben. Dieser deutsche Standortvorteil wird in der Diskussion nur deshalb nicht richtig gewürdigt, weil die sichere Stromversorgung als selbstverständlich angesehen wird. Mit nur 15 Minuten Unterbrechung im Jahr liegen wir in der Weltspitze.

Aber wir könnten diese Sicherheit auch für etwas weniger Geld haben?

Die künftige Regulierung soll dem Wettbewerb dienen, nicht seiner Einschränkung. Der Staat legt ja keine Preise und Erträge fest. Sondern der Regulierer schafft die Voraussetzung für fairen Wettbewerb. Es gibt keinen Markt, auf dem man zwei Monate vorher weiß, wie sich die Preise entwickeln. Deshalb ist die Annahme, Regulierung führt zu sinkenden Preisen, ökonomisch nicht zwingend. Regulierung kann, muss aber nicht zu geringeren Strom- und Gaspreisen führen.

Das Gespräch führte

Dieter Fockenbrock

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