zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Margarete Godon

(Geb. 1909)||Hat die Giraffe Pantoffeln an? Mag sein. Aber lustig ist das nicht.

Von David Ensikat

Hat die Giraffe Pantoffeln an? Mag sein. Aber lustig ist das nicht. Warum diese Preise? 5000 Mark für ein Bild auf zerknittertem Papier, das einstauben muss, weil man es nicht hinter Glas aufhängen darf – die Künstlerin meint, hinter Glas wirke ihre Knitterkunst nicht. 20 000 Mark für eine bunt angemalte Gipsplastik, die sich kunsthistorisch nirgends verorten lässt – die Künstlerin sagt nichts zu ihren Motiven und Vorbildern.

Sind das „Schutzpreise“, Preise, die die Kunst vorm Verkauf schützen sollen? Will die Künstlerin alles behalten? Sind es Preise, die jemand verlangt, der aus Selbstachtung seine Werke nicht unter Wert verkaufen will?

Eines ist sicher: Margarete Godon will ihre Kunst zeigen, so oft und so vielen, wie möglich. Am liebsten ist ihr die große Vitrine auf dem Kurfürstendamm, da laufen Tausende vorbei und können ihre Figuren bewundern. Preisschilder gibt es in der Vitrine nicht.

Margarete Godon lebt für die Kunst, nicht von der Kunst.

Vielleicht sähe es anders aus, wenn ihr Mann nicht der wäre, der er ist. Fritz Godon, ehemaliger Prokurist bei Siemens, hat eine ausreichende Pension, er kocht das Essen, er fegt den Schmutz aus dem kleinen Häuschen in Siemensstadt. Wenn seine Frau aus dem Atelier kommt, liegt überall Gipsstaub herum. Sie merkt das gar nicht. Und ums Essenkochen kann sie sich sowieso nicht kümmern. Schlimm genug, dass sie zum Essen ihre Arbeit hin und wieder unterbrechen muss.

Wofür arbeitet der Mensch? Für Geld. Für Anerkennung. Zum Zeitvertreib. Ob Margarete Godon ihre Zeit anders als mit der Kunst vertreiben kann, weiß niemand. Sie hat es nie versucht. Das Geld, wir wissen es, spielt keine Rolle, es sei denn, möglicherweise, es wäre so viel, dass es Anerkennung bedeutete. Anerkennung ist für die große schlanke Frau, die sich bis zum Schluss die Haare hennarot färbt, und die sich für die Kunst anderer gar nicht interessiert, wichtig. Schon weil es Schmidt-Rottluff gesagt hat: „Zeigen Sie ihre Kunst! Sehen Sie zu, dass Sie Ausstellungen bekommen!“ Karl Schmidt- Rottluff, der Brücke-Expressionist, ist der einzige Künstler, den sie neben sich akzeptiert, über sich, vor sich.

Sie war 48 Jahre alt und längst ausgebildete Grafikerin, als sie ihm mit pochendem Herzen ihre Mappe zeigte und er sie sich ansah und schwieg. Da dachte sie: „Ich dummes Vieh, das hätte ich mir ersparen können.“ Und da sagte er: „Ich nehme sie.“

So studierte sie noch einmal Kunst, jedoch diesmal nicht jene Kunst, die Naturtreue mit Ähnlichkeit gleichsetzt. Sie lernte, wie Farben, nebeneinander gesetzt, singen können, ihr Meister lehrte sie, nie am Material zu sparen, viel hilft viel. Und er ermahnte sie: „Machen Sie etwas, worauf Männer nicht eifersüchtig sind.“ Das war damals noch so: Allein die Männer bestimmten, wo es in der Kunst langging, Kunst von Frauen gab es selten zu sehen. Weil die Männer Leinwandbilder und Bronzefiguren herstellten, widmete Margarete Godon sich den Stoffen und Seilen. Sie batikte, häkelte und stellte archaische Seilmasken her. Und um ausstellen zu können, tat sie etwas ihr gänzlich Fremdes: Sie trat einem Verein bei, dem „Verein der Berliner Künstlerinnen 1867“. Um mehr als die anderen Vereinsdamen ausstellen zu können, war sie einige Jahre lang sogar Vorsitzende.

Mit den riesengroßen, bunten Gipsfiguren fing sie an, da war sie schon über 70. Der Grund dafür: das neue Atelier, in dem sie so etwas machen konnte, ein Glasanbau für 20 000 Mark. Sie fand erstmal, so viel Geld dürfe man nicht für ein Atelier ausgeben, sie könne doch ganz gut im Keller und im Garten arbeiten. Ihr Mann aber sagte: „Wir können uns das leisten.“

Nun also steigt die alte Dame mit weißer Schürze und rotem Haar Tag für Tag auf die kleine Leiter und baut ihre zwei Meter hohen Figuren, zuerst ein Holz-Pappmaché-Gestell, Zahnstocher als Verbindungselemente, dann jede Menge Gips, viel Farbe. Die Menschengestalten sind nicht Mann, nicht Frau, nur Figur, Form, Farbe.

Als sie im Fernsehen mal Eiskunstläufer sieht, da seufzt sie tief: „Dass so was Schönes alt werden und verfallen muss!“ Die Menschen als Gesellschaftswesen interessieren Margarete Godon wenig, sie kennt auch nicht viele, begibt sich ja kaum aus ihrem Atelier, aus Siemensstadt heraus. Ihre Galeristin ist ihr wichtig, mit der kann sie über die Kunst reden. Eine Nachbarin bringt ihr immer mal Bücher vorbei, naturwissenschaftliche vor allem.

Irgendwann hört sie ganz auf, Menschen zu formen, dann sind es nur noch Tiere, große, bunte Tiere. Man könnte meinen, sie sehen lustig aus, die Giraffe zum Beispiel – hat die nicht Pantoffeln an? Was für ein Missverständnis! Margarete Godon meint überhaupt nichts lustig. Kunst ist doch kein Spaß, bei ihr auf keinen Fall! Andererseits sagt sie selbst, dass erst der Betrachter erkenne, was ihre Kunst meinen könnte.

Im Jahr 1995 stirbt ihr Mann, und sie arbeitet weiter. Sie kann sich auch von Stullen ernähren. Erst als sie 93 Jahre alt ist, gibt sie die Kunst auf, von einem Tag auf den anderen. Sie ist so gesund wie am Tag zuvor, sie könnte natürlich weitermachen, doch sie will nun nicht mehr. Hat sie sich auf einmal die Frage gestellt, wozu die ganze Mühe? Hätte sie nicht aufgehört, wenn es mehr Anerkennung gegeben hätte, mehr Ausstellungen?

Ein Jahr noch lebt sie in ihrem Haus, umgeben von ihren großen Figuren und den Bildern, die sie allesamt nicht verkauft hat, vielleicht gar nicht verkaufen wollte. Sie kommt ins Krankenhaus, liegt ein Jahr lang im Koma und stirbt.

Ihr Atelier in Siemensstadt ist immer noch voll mit Figuren, die nicht jung sind und nicht alt. Große Kunst, unbezahlbar.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false