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Harald Martenstein.

© dpa

Martensteins Kolumne: Kapitalismus - gute Idee, schlecht umgesetzt

Langfristig lebensfähig oder nicht? Harald Martenstein über den angeblich inhumanen Kapitalismus.

Kürzlich trat in Berlin, auf einem Kongress der „taz“, ein Superstar der Soziologie auf, der Amerikaner Richard Sennett. Sennett erzählte, wie der Kapitalismus sich seit den 80er Jahren verändert hat. Es kam, in den Augen der meisten Manager, immer weniger darauf an, langfristig Profit zu erzielen. Stattdessen wurde der Aktienkurs eines Unternehmens immer wichtiger. Service für die Kunden, eine kompetente Belegschaft, das waren Faktoren, deren Bedeutung immer mehr sank. Man gewöhnte sich daran, „Erfolg“ von Tag zu Tag zu messen, nicht mehr in Jahren oder gar Generationen. Diese These kannte ich.

Für noch zerstörerischer hält Sennett eine zweite Eigenschaft des heutigen Kapitalismus. „Macht“ und „Verantwortung“ seien, vielleicht zum ersten Mal in der Geschichte, voneinander getrennt worden. Man muss sich einen König vorstellen, der sein Heer in die Schlacht führt, oder einen Minister. Verliert der König den Krieg, dann ist er im schlimmsten Fall sein Leben los. Passiert im Ministerium eine Schweinerei, dann musste, jedenfalls bis vor kurzem, der Minister die Verantwortung übernehmen und zurücktreten.

Bei den heutigen Wirtschaftseliten aber bleibt, wie man fast täglich beobachten kann, persönliches Versagen nahezu folgenlos. Die Firma fährt an die Wand, die Leute verlieren ihre Jobs, das Management bekommt häufig eine schöne Abfindung und einen neuen Posten. Das System bestraft, ausgerechnet bei seinen wichtigsten Leuten, Inkompetenz nicht. Ein solches System, sagt Sennett, ist langfristig nicht lebensfähig. Wenn Fehlentscheidungen den Entscheidern nicht wehtun, gibt es nämlich immer mehr Fehlentscheidungen.

Das hat mir eingeleuchtet. Ein paar Tage später las ich, dass sich in den USA der Finanzchef der Bank „Freddie Mac“ umgebracht hat. „Freddie Mac“ und „Fannie Mae“ schütten, trotz Pleite, 210 Millionen Dollar Prämie an ihre Manager aus, auch der Tote hätte davon profitiert. Er besaß offenbar ein altertümliches Gefühl für Ehre, eine Scham, wie sie im Kapitalismus eigentlich gar nicht mehr vorgesehen ist.

Trotzdem konnte ich dem stramm linken Freund nicht zustimmen, der neben mir, auf diesem Kongress, über den „inhumanen“ Kapitalismus schimpfte. Im Sozialismus sind Regimekritiker eingesperrt worden, im Kapitalismus lehren sie an der Uni. Sogar ein Hartz-IV-Empfänger lebt, wenn man nur das Materielle betrachtet, nicht schlechter als damals ein durchschnittlicher DDR-Bürger. Früher hörte man oft den Satz: „Der Sozialismus ist eine gute Idee, sie wird in der DDR lediglich schlecht umgesetzt.“

Ich finde, man kann diesen Satz heute ohne weiteres auf den Kapitalismus anwenden. Der Kapitalismus ist wahrscheinlich eine gute Idee. Sie wird aber schlecht umgesetzt.

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