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Wirtschaft: Mehrwertsteuer könnte in Stufen steigen Koalitionspolitiker sehen kaum noch eine andere Lösung/ Bund muss mit weniger Einnahmen rechnen

Berlin Das heißeste Thema des Wahlkampfs soll ganz am Schluss der Koalitionsverhandlungen entschieden werden. Offiziell war die Mehrwertsteuer noch gar nicht auf der Tagesordnung.

Berlin Das heißeste Thema des Wahlkampfs soll ganz am Schluss der Koalitionsverhandlungen entschieden werden. Offiziell war die Mehrwertsteuer noch gar nicht auf der Tagesordnung. Doch gehen Finanzpolitiker beider Parteien davon aus, dass eine Erhöhung unausweichlich ist, um den geplanten Sparkurs umzusetzen. Der Verhandlungsführer der Union, Roland Koch (CDU), sagte am Donnerstag, die Entscheidungen über die Konsolidierung des Haushalts seien von so weit reichender Bedeutung, dass sich die Parteien am Wochenende ausgiebig damit beschäftigen müssten. Er sprach von schwierigen, aber sehr konstruktiven Verhandlungen. Die Union strebt einen Mehrwertsteuersatz von 18 statt bisher 16 Prozent an. Diskutiert werden auch Varianten, etwa eine Erhöhung in zwei Schritten um je einen Punkt zum 1. Juli 2006 und zum 1. Januar 2007.

Von der Einnahmenseite ist keine Hilfe für die Koalition zu erwarten. Zwar werden die gesamtstaatlichen Steuereinnahmen nach Angaben aus der Steuerschätzung in diesem und im kommenden Jahr etwas besser ausfallen als zuletzt prognostiziert. 2005 könne der Fiskus rund eine Milliarde Euro mehr einnehmen als angenommen, 2006 seien es bis zu drei Milliarden mehr, sagte ein Mitglied des Arbeitskreises Steuerschätzung. Von den Mehreinnahmen würden aber fast ausschließlich die Gemeinden profitieren, da die ihnen zustehende Gewerbesteuer sich besonders gut entwickelt habe. Die auf dem Bund entfallenden Mineralöl- und Tabaksteuern liefen nicht besonders gut, so dass in der Bundeskasse eher etwas weniger hängen bleiben werde als erwartet.

Für die Union ist die Mehrwertsteuer weniger problematisch als für die SPD: Angela Merkel hatte eine Erhöhung der Mehrwertsteuer zum Jahreswechsel bei gleichzeitiger Senkung der Lohnnebenkosten angekündigt. Die SPD lehnte dies im Wahlkampf noch ab und machte die Frage zu einem zentralen Thema ihrer Kampagne. Dabei gab es durchaus SPD-Politiker, die sich vor dem Wahlkampf für eine Erhöhung der Mehrwertsteuer offen gezeigt hatten, der designierte Bundesfinanzminister Peer Steinbrück zum Beispiel. Im Juni wurde sogar aus dem Kanzleramt ein Papier lanciert, wonach Rot-Grün für Anfang 2006 eine Erhöhung auf 20 Prozent plante.

Doch auch die Union muss sich verbiegen. Zwar werden die Lohnnebenkosten nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit aus eigener Kraft sinken können, doch mit der Mehrwertsteuer hat das wenig zu tun. Pro zusätzlichem Prozentpunkt fließen sieben Milliarden Euro in die Staatskasse – angesichts des Haushaltslochs wären da schon zwei Prozentpunkte mehr als knapp kalkuliert. Die Union spricht inzwischen von einer Haushaltslücke von 43 Milliarden Euro in 2007. Das sind acht Milliarden Euro mehr, als SPD und Union zunächst festgestellt hatten. Für 2006 und 2007 war mit je 35 Milliarden Euro gerechnet worden. Ausgabenkürzungen, Subventionsabbau und Einsparungen beim Arbeitslosengeld II brächten allenfalls 15 Milliarden Euro, sagen Haushaltsexperten.

Daher gerät auch der ermäßigte Mehrwertsteuersatz ins Blickfeld. Er könnte nur für Nahrungsmittel, öffentlichen Nahverkehr und Druckerzeugnisse gelten. Alle anderen der über 50 Produktgruppen, für die bisher der Satz von sieben Prozent gilt, würden dann mit 18 Prozent besteuert. Das würde zu Mehreinnahmen von 3,5 Milliarden Euro führen. Entfiele der niedrigere Satz ganz, könnte der Fiskus 17 Milliarden Euro mehr einnehmen. „Das will aber niemand“, heißt es in der Arbeitsgruppe.

Weite Teile der Wirtschaft lehnen die Steuerpläne ab, allen voran der Einzelhandel. Doch haben erste Verbände ihren Widerstand aufgegeben. Es solle aber nicht der erste Schritt der neuenRegierung sein, und die zusätzlichen Einnahmen müssten zur Senkung der Lohnzusatzkosten eingesetzt werden, forderten DIHK und BDI.

Die Gewerkschaften halten vorsichtige Distanz zur designierten Regierung. „Besonders skeptisch bin ich, solange nicht einmal darüber nachgedacht wird, die Fixierung auf die bloße Haushaltskonsolidierung aufzugeben und durch Investitionen in Zukunft und Arbeit die Weichen für eine Belebung vor allem der Binnenkonjunktur zu stellen“, sagte Verdi-Chef Frank Bsirske dem Handelsblatt. Und IG Metall-Chef Jürgen Peters forderte ein „20-Milliarden-Euro-Sofortprogramm für öffentliche Investitionen und gesellschaftliche Innovationen“.Tsp/HB

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