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Wirtschaft: Memorandum-Gruppe wirft Regierung Sparbesessenheit vor

"Es gibt eine Alternative zur Sparpolitik", sagt der Bremer Ökonom Rudolf Hickel, der all das, was Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) so tut, kurzerhand als "skandalös" bezeichnet. Hickel kennt man.

"Es gibt eine Alternative zur Sparpolitik", sagt der Bremer Ökonom Rudolf Hickel, der all das, was Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) so tut, kurzerhand als "skandalös" bezeichnet. Hickel kennt man. Der Mann ist Mitglied der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, die sich seit Jahren als Gegenkreis zur herrschenden Meinung der Ökonomenzunft versteht. Einmal im Jahr bringt sie ein Memorandum heraus, quasi als Gegenstück zum Jahresgutachten des Sachverständigenrats der fünf Weisen. In diesem Jahr war die Arbeitsgruppe noch aktiver: Sie verfasste ein Sondermemorandum "Arbeit, Umwelt, Gerechtigkeit".

Das Papier, das Hickel am Donnerstag zusammen mit dem einstigen Arbeitsminister Herbert Ehrenberg (SPD) präsentierte, bescheinigt der rot-grünen Bundesregierung eine miserable Arbeit. Entgegen ihrer Wahlaussage, so schreibt der Kreis um den Bremer Professor, stilisiere die Regierung die Staatsschuld und nicht die Massenarbeitslosigkeit "zum größten sozialen Skandal".

Dabei habe die Regierungszeit doch so gut begonnen. Doch hat das Kabinett um Gerhard Schröder (SPD) nach Ansicht der Memorandum-Gruppe den Kurswechsel "kurz nach seinem Beginn abgebrochen" - womöglich zu dem Zeitpunkt, als Eichel seinen Vorgänger Oskar Lafontaine (SPD) ablöste. Stattdessen seien die "Weichen im Kern auf Fortsetzung der alten Politik gestellt" worden. Und die, da sind sich die Kritiker ganz einig, sei bekanntermaßen "marktradikal" gewesen und ein "fundamentalistisches Rezept". Schröder habe es sich nun einfach gemacht und das Ziel, für mehr Beschäftigung zu sorgen, an "ein Bündnis für Arbeit delegiert, dem jede Verbindlichkeit fehle". Zudem sei an die Stelle einer "Perspektive für mehr Beschäftigung, soziale Gerechtigkeit und ökologischen Umbau allgemeine, blinde und in jeder Hinsicht schädliche Sparwut" getreten.

"Von einer Trendwende am Arbeitsmarkt kann keine Rede sein", konstatieren die Wissenschaftler. Das sei kein Wunder, heiße doch das Bündnis für Arbeit und Ausbildung plötzlich Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit.

Den Perspektivwechsel der jungen Regierung, den die Ökonomen ausgemacht haben, halten sie für "wirklich skandalös". Schulden würden als Erblast für die Kinder und Enkel stigmatisiert - ganz falsch, schließlich, so formulieren die Wissenschaftler, ruiniere die Sparbesessenheit Wachstum und Beschäftigung. Mehr noch, sie untergrabe den sozialen Zusammenhalt und hinterlasse den Nachkommen "letztlich eine zerrüttete Gesellschaft".

Hickel attackiert den Finanzminister, der sagt, es gebe eine Ungerechtigkeit zwischen den jetzt lebenden und den künftigen Generationen, wenn man heute zu viel Schulden aufnehme. Die Behauptung nämlich, durch die hohe Staatsverschuldung würden über die Zinsausgaben künftige Generationen belastet, halte einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht stand. In der Tat tun sich Ökonomen schwer damit, die Frage nach der Lastenverteilung hinsichtlich der Zinsen zu beantworten. Nur lässt Hickel vollkommen die Frage der Tilgung der Schulden außer Acht. Denn, so sein Argument, der Schuld stehe ja ein Wert gegenüber. Freilich sagt er nichts darüber, dass die kommenden Generationen für etwas bezahlen müssen, über das sie niemals entscheiden durften.

Die Memorandum-Gruppe hält den Sparkurs für den sicheren Weg in eine tiefe Rezession. Denn öffentliche Ausgabenkürzungen führten "in Phasen konjunktureller Schwäche" in der Wirtschaft zu Umsatz- und damit zu Einnahmeverlusten. Kein Satz im Papier taucht dazu auf, dass der Aufschwung im kommenden Jahr den aktuellen Prognosen zufolge um 2,5 Prozent liegen und eine konjunkturelle Schwäche also kaum auszumachen sein dürfte.

Als Alternative plädieren Hickel und seine Kollegen für einen umfangreicheren Staat - für mehr öffentliche Investitionsprogramme und für mehr "dauerhaft sozial abgesicherte Arbeitsplätze im öffentlichen Sektor". Zu finanzieren sei der über mehr Einnahmen - also höhere Steuern. "Haushaltskonsolidierung funktioniert nicht nur durch Sparen, sondern durch bessere Einnahmen", sagt Hickel. Für angemessen halten die Ökonomen, die umstrittene Vermögensteuer wieder einzuführen. Doch die Regierung "tabuisiert die Ausschöpfung von Besteuerungsmöglichkeiten bei Einkommensstarken und Vermögenden".

Und warum tut die Bundesregierung das alles? Weil sie muss, denn noch nie habe eine Bundesregierung unter derart "offenem, ungeniertem und aggressivem Druck von Seiten der Unternehmen, großer Konzerne und ihrer Verbände gestanden". Schon wissen die Autoren über "Diffamierungskampagnen" zu berichten, doch revanchieren sich kurz darauf bei Wirtschaftsminister Werner Müller (parteilos): Der nämlich unterstütze die "nur noch als erpresserisch zu bezeichnende Politik der Stromkonzerne", die mit Müller "einen geschickten Lobbyisten in der Regierung haben".

Keine Frage, die Wirtschaft und nicht mehr die Politik macht hierzulande inzwischen Politik. Beispiel Steuerreform: Da habe die rot-grüne Regierung Schritt für Schritt vor den Widerständen der Unternehmen und der "Einkommens- und Vermögensstarken" kapituliert - und an die Stelle eines Aufbruchs trat die "Anpassung an die Interessen der Großunternehmen".

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